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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Sogar ein neues Stück also? Und welchen Inhalts?“

„Die Geschicht’ von der heiligen Genoveva,“ sagte der Wirth und ließ seine Gäste über die Schwelle der Gartenthür hinaustreten. „Sie werden’s wohl kennen die Geschicht’ vom bösen Golo und vom kleinen Schmerzenreich und von der Hirschkuh.“

„Das ändert freilich die Sache,“ rief der alte Herr. „Einen solchen Genuß dürfen wir uns nicht entgehen lassen und müssen also wohl übernachten, wenn Sie uns Herberge gewähren wollen.“

„Fehlt sich nichts,“ sagte der Wirth, „bei mir sind Sie aufgehoben wie im Himmelreich. Solche Betten finden Sie in der Stadt im ersten Gasthof nicht, und meine Zimmer …“ Er wollte in der Lobeserhebung seiner Einrichtungen fortfahren, aber der junge Bergsteiger unterbrach ihn. Er hatte in der Residenz schon oft das Hoftheater besucht und war also wohl dazu geeignet, zu wissen, was Schauspiel und Bühnendichtung sei; schon bei der ersten Erwähnung hatte es ihm spöttisch um die Mundwinkel gezuckt; er konnte es nicht über sich gewinnen – er mußte mit der Frage heraus, wer denn der Dichter des neuen Dramas sei, und wer die Personen desselben, vor Allem die Genoveva darstellen würde.

„O, junger Herr, da fehlt sich nichts,“ war die Antwort des Wirthes. „Wir haben gar geschickte Leut’ im Ort’ und in der Gegend. Das Stück, das hat der Maler-Anderl von Tegerndorf gemacht; das ist ein Ausgestochener, der mehr kann, als Birn’ braten. Der ist in seiner Jugend in der Stadt gewesen als Maler auf der Akademie, der kann mit der Feder so gut umgeh’n, wie mit dem Pinsel. Und Spieler – Spieler haben wir erst; der König selber kann keine bessern haben. Den Siegfried, den Pfalzgrafen, den eifersüchtigen Mann von der Genoveva, den spielt ein Hammerschmied von Kiefersfelden, und die Genoveva selber das ist eine reiche Müllertochter aus der Gegend, gescheidt, daß sie jeden Augenblick einen Professor abgeben könnt’, und bildsauber obendrein.… Nun, hab’ ich nicht Recht?“ fuhr er fort, als man in den Garten eingetreten war. „Ist das nicht ein lieb’s Platzl und ein schön’s dazu?“

Der Wirth hatte wirklich nicht zu viel gesagt; der Garten war in der That ein Aufenthalt, den man mit Lust begrüßen mußte und wohl nur mit Leid wieder verlassen konnte. Es war ein schön gehaltener Rasenplatz, auf welchem frisches Heu, in Hädern zusammengerecht, durch verstärkten Duft sein Welken verkündete; mit Vorliebe gepflegte Obstbäume haben in angenehmen Abständen ihre blatt- und fruchtreichen Kronen empor, und in der einen Ecke stieg der Boden zu einem kleinen Hügel an, von welchem aus sich über den dichten Heckenzaun hinweg ein überraschender Ausblick auf das ganze Flußthal und die es umgrenzenden Berge aufthat. Ein mächtiger Walnußbaum breitete seinen duftigen Schatten über die Anhöhe, über den um seinen Stamm angebrachten Tisch mit Rundbänken, den bevorzugten Ruheplatz, welcher besonderen Gästen zu Ehren angeboten wurde und an welchem an gewöhnlichen Zeiten der Lehrer, der Förster und der Wirth sich mit dem Pfarrer zu einem damals noch nicht verpönten Abendtrunk und Kartenspiel zusammen zu finden pflegten. Unweit des Hügels, die Rückseite des Hauses entlang, waren ebenfalls einige Sitze angebracht, in einer entfernteren Ecke aber befand sich ein mit hohen Brettern abgegrenzter Bretterverschlag, einem Gehege ähnlich, worin irgend ein nicht ganz alltägliches Hausthier verwahrt zu werden schien.

Der angenehme Ruheplatz wurde von allen Seiten mit frohen Ausrufungen begrüßt und einhellig beschlossen, hier die Bergforellen und am Spieße gebratenen Hühner zu verzehren, welche der Wirth als in kurzer Zeit zu rüstenden Imbiß in Aussicht stellte. Das Gepäck wurde abgelegt, und während der Gymnasiast sich anschickte, an dem gelbblühenden Löwenzahne, der krausen Zaunrübe und den Brennnesseln, die am Fuße der Hecke wucherten, seine botanischen Studien zu beginnen, der Vater aber zur näheren Besichtigung der Oertlichkeiten noch einen kleinen Rundgang unternahm, hatte das schwermüthige Fräulein schon seine Mappe geöffnet und fing an mit sichtlich kundiger und gewandter Hand das sich darbietende Bild in flüchtigem Umriß festzuhalten.

Der Spitz lag ruhig im Grase; die Kühlung nach dem langen heißen Laufe schien ihm ebenso zu behagen, wie der halbabgenagte Knochen, den er unter den Halmen gefunden hatte.

Niemand gewahrte und beachtete, daß es in der Ecke, wo der lebende Zaun besonders dicht war, sich manchmal regte und raschelte, als ob irgend ein Geschöpf, etwa ein erschrockener Vogel oder ein verscheuchtes Häslein sich darin verberge. Der alte Herr, als er von seinem Ausgange zurückam, hielt bei den Tischen am Hause inne und schien mit besonderem Anteil den Gesprächen der dort sitzenden Gäste zu lauschen, welche jedenfalls zu den bevorzugten Persönlichkeiten des Ortes, den sogenannten Honoratioren, gehörten. Zwei davon waren durch die dunkelgrüne Uniform mit dem schwarzen Lederwerk und dem kurzen glanzlosen Gewehrstutzen als Grenzwächter gekennzeichnet, während dem Dritten, einem grauen schnauzbärtigen Trutzkopfe, unschwer der Waidmann anzusehen war, auch ohne das wetterharte und wetterbraune Gesicht, Jagdtasche und Büchse, die, von einem Dachshunde bewacht, neben ihm auf der Bank lagen.

Der Gegenstand ihres Gesprächs mochte den alten Herrn anziehen; nach flüchtigem Grüßen und ein paar entschuldigenden Worten nahm er auf einer Bank nebenan Platz und ersuchte den Grenzer, sich durch seine Gegenwart nicht beirren zu lassen und in der eben begonnenen Erzählung fortzufahren.

„Was ist da noch viel zu erzählen?“ entgegnete dieser, ohne viele Umstände zu machen. „Es war immer schlimm bei uns mit der Schwärzerei; die Gelegenheit ist eben gar zu verführerisch. Das österreichische Ufer, wie unser Gestad’, ist nicht viel bewohnt; der Inn ist ein wildes Wasser, das gar oft sein Bett wechselt und die Ansiedelung schwer macht. Mit Tabak, Salz und besonders der Seidenwaare schaut immer noch ein guter Gewinn heraus, und so ist die Verlockung immer noch groß genug. Seit wir nun vollends die neue Freiheit haben, ist dem Faß der Boden ausgestoßen; die Leute glauben, es sei Alles erlaubt, und thun was sie können, uns zu hintergehen und wohl gar zu foppen.“

„Sie meinen überhaupt, das Schwärzen sei nichts Unrechtes,“ schaltete, wie zur Erklärung, der Jäger ein, „sie denken, wenn etwas über’m Inn um sechs Kreuzer weniger kostet, müßte man ein Narr sein, wenn man es diesseits theurer kaufen wollte.“

„Ganz recht,“ begann der Grenzer wieder, „aber wir haben gar Viele, die wohl auch dem Gewinn nachgehen, denen es aber doch mehr um das Müßiggehn, das Streunen bei Nacht und Nebel und selbst um die Gefahr zu thun ist. Erst heute Nacht haben sie uns wieder ein Stückchen aufgeführt, das ihnen aber nur halb hinausgegangen ist. Sie wissen, daß wir Vollmond haben und daß die Nacht glöckelhell war, fast wie am Tage – wir haben daher unsere Patrouille am Ufer nur gemacht, weil es unsere Schuldigkeit ist, wir dachten aber nicht daran, daß sie wagen würden, irgend etwas zu unternehmen – dennoch sahen wir, wie es gegen Mitternacht ging, von der Rußdorfer Gegend her einen schwarzen Punkt über das Wasser herankommen und lautlos mit dem Strom treiben, damit das Geräusch des Ruderns vermieden werde. Leise schlichen wir der Stelle zu, wo das Ding landen mußte, und erkannten bald, daß es eine Waidzill’n war, daß in derselben ein Paar ansehnliche Päcke lagen und hinter denselben ein Bursche niederduckte, um nicht gesehen zu werden und doch für den Nothfall den Lauf des Schiffchens in der Hand zu haben. Wir standen athemlos – noch war es halbe Schußweite vom Ufer entfernt, und wir waren schon sicher, in einigen Augenblicken den Schmuggler sammt der Beute in Empfang zu nehmen. Da blieb ich, wie ich gebückt unter dem Gesträuch vorwärts schritt, mit dem Gewehrhahn an einem Aste hängen … der Schuß knallte durch die Nacht, und im selben Augenblicke that es auch einen Schlag in’s Wasser. … In ein paar Augenblicken konnten wir richtig den Kahn mit den Waarenpäcken an’s Gestade ziehen, aber der Schiffer war verschwunden – er war im Moment der Entdeckung in’s Wasser gesprungen und untergetaucht und muß eine Strecke unter’m Wasser fortgeschwommen sein.“

„Und Sie haben keinen Verdacht, wer der verwegene Schmuggler sein könnte?“ fragte der Fremde.

„Verdacht?“ entgegnete der Grenzer lachend. „Verdacht, so viel, daß es hinreichte, einen Heuwagen damit voll zu beladen, aber keinen Beweis. Ich wollte wohl einen Eid darauf schwören – es war kein Anderer als der, den ich meine, aber der Bursch ist mit allen Wassern gewaschen und läßt sich so leicht nicht fangen. Wie wir die Zillen an’s Ufer gebracht und die Waare etwas geborgen hatten, was doch ein halbes Stündchen dauerte, lief ich sogleich nach dem Haus desjenigen, den wir im Verdacht haben, denn wenn er nicht zu Hause war und sich nicht ausweisen konnte, wo er gewesen, hätten wir einen guten Grund gegen ihn gehabt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_439.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)