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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Das Mädchen war am Morgen desselben Tages mit ihrem Bräutigam und dessen Mutter in’s Kaiserliche gegangen, um einige für den neuen Haushalt zu kaufende und drüben besser und billiger zu habende Gegenstände zu erwerben. Sie waren bald zurück und eben zur letzten Ueberfuhr über den Inn rechtgekommen, von wo dann der Weg abwechselnd durch buschige Niederungen, kleine Gehölze und über mehrere Nebenbäche und Altwasser führt, deren schmale, hohe Stege einen Wanderer voraussetzen, der die schwachen Bretter mit schwindelfreiem Auge zu betrachten und zu betreten vermag. Der Gedanke, daß das Mädchen nicht hinunter gefallen, sondern gestoßen worden, tauchte hier und da auf, aber es fehlte jeder Anhalt zur Begründung. Das Paar hatte sich sehr lieb; bei vielen Anlässen hatten Alle Gelegenheit gehabt, sich davon zu überzeugen. Sie waren schon im Pfarrhofe gewesen, um das Stuhlfest (Verlobung) zu machen, und sollte demselben in wenig Wochen die Hochzeit folgen. Selbst das Gericht hatte Erhebungen eingeleitet, ließ sie aber beruhen, als sich ein Zeuge fand, der den Vorgang mit angesehen und umständlich darüber berichtete, wie das Unglück sich zugetragen.

Nach dieser Aussage war der Zeuge noch am jenseitigen Ufer gestanden; es war Vollmond gewesen, derselbe hatte so hell geschienen, daß weithin Alles zu sehen und ganz genau zu erkennen war, wie am lichten Tage. Gori war voran auf dem Steg gegangen, weil der Vorsicht wegen immer nur Eine Person die dünnen Bretter betreten konnte – in beträchtlicher Entfernung hinter ihm folgte das Mädchen, schon von Anfang an ängstlich und unsicheren Schrittes. Als sie aber in die Mitte gekommen, stieß sie plötzlich einen Schrei aus, wankte – und taumelte im Nu in den Strom hinunter, gerade wo er mit besonderer Tiefe und Schnelligkeit dahinschoß. Die Unglückliche hob nur noch einmal einen Arm empor und versank dann ohne jede Möglichkeit, ihr zu Hülfe zu kommen. Hätte noch irgend ein Zweifel zu bestehen vermocht, so wurde er durch Gori’s Schmerz beseitigt, der anfangs zu so hohem Grade gestiegen war, daß man fürchtete, er werde sich ein Leid anthun.

Der Zeuge aber, der so entschieden aufgetreten, war Gori’s Mutter.

Nach einigen Wochen war das Ereigniß vergessen.

Gori benahm sich von nun an gesetzt und gelassen und war, wie um seinen Kummer zu vertreiben, noch arbeitsamer als vorher; es kam bald so weit, daß man den Burschen eher mit Mitleid, als mit Bedenken betrachtete und, als die Zeit des Spiels herbeigekommen war, keinen Anstand genommen hatte, ihn daran Theil nehmen zu lassen.

(Fortsetzung folgt.)




Aus Robert Blum’s Leben.
7. Wachsender Einfluß. Die deutsch-katholische Bewegung. (1840 bis 1845.)

Dem aufmerksamen Leser dieser biographischen Mittheilungen kann ein wesentlicher Unterschied zwischen den ersten und den letzten bisher veröffentlichten Abschnitten „Aus Robert Blum’s Leben“ nicht entgangen sein. Kindheit, Jugend und erste Mannesjahre dieses Lebens konnten dem Leser fast vollständig vorgeführt werden. Hier war vorwiegend von persönlichen Lebensschicksalen zu berichten, da die ganze Thätigkeit Robert Blum’s auf ein persönliches Emporkommen in materieller und geistiger Hinsicht gerichtet war. Je mehr er aber in das öffentliche Leben eintrat, je vielseitiger und umfassender sein Wirken wurde, je mehr Bekanntes dem Leser zu erzählen war, um so skizzenhafter mußten naturgemäß die Andeutungen dieses Gesammtwirkens sich gestalten. Wenn dagegen schon bisher die den Mann persönlich am meisten kennzeichnenden Züge seines Lebens und Wirkens hervorgehoben wurden, so soll dies auch in diesem und den folgenden Capiteln geschehen; denn in der „Gartenlaube“ können nur Einzelbilder gegeben werden. Wen aber eine vollständige Geschichte von Robert Blum’s Leben und seiner Zeit interessirt, der wird vielleicht gern vernehmen, daß eine solche noch in diesem Herbste im Verlage von Ernst Keil in Leipzig als billiges Volksbuch erscheinen wird.

Was zunächst das ökonomische Wachsthum Robert Blum’s in den Jahren 1840 bis 1845 anlangt, so ist dieses wohl dadurch am besten ausgedrückt, daß Blum sich schon 1843 in Leipzig ein eigenes Hausgrundstück (Nr. 8 der Eisenbahnstraße, an der Leipzig-Dresdener Bahn gelegen) erwerben konnte. Der dazu gehörige große Garten bot Blum reiche Gelegenheit, selbst zu graben und zu pflanzen, was er so gern that. Auch seiner Liebhaberei für die Züchtung edler Tauben konnte er hier behaglich obliegen. Hier wurde ihm sein drittes Söhnchen geboren, das jedoch kaum ein Jahr alt der tückischen Bräune erlag; weiterhin noch eine Tochter und ein Sohn.

Mehr und mehr bildete die Theilnahme und Mitwirkung an allen öffentlichen Interessen das vornehmste Bedürfniß seiner Seele. Selten wohl hat Jemand mit mehr Geschick als Robert Blum und mit größerer Ausdauer als er die verschiedensten Kreise und Persönlichkeiten, auf die er einzuwirken vermochte, dienstbar zu machen gewußt den Zwecken, welche das höchste Streben seines Lebens ausmachten. Dieses Streben aber war die Erziehung seines Volkes zu der großen politischen Arbeit, welche damals kaum noch begonnen war: zur Einheit und Freiheit unseres Vaterlandes. Alles nimmt unter seiner Hand das Gepräge dieses Strebens an.

Schon früher, am Schlusse des fünften dieser Artikel, wurde angedeutet, wie es ihm gelang, den Leipziger Schiller-Verein in diesem Sinne zu gründen und ganz mit diesem Geiste zu erfüllen. Man braucht nur Blum’s zum Schillerfeste gehaltene Reden[1] nachzulesen, um den Hauch dieses Geistes zu spüren. Schon in der ersten Rede, die in diesem Verein gehalten wurde, erklärt Blum: „Die in der neuesten Zeit vorzugsweise erkannte Seite von Schiller’s Wesen, die ihn mit tausend Liebesbanden festkettet an die Herzen seiner Nation und ihn zum Muster und Vorbilde macht für die edelsten Bestrebungen der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft, ist seine historisch-prophetische Bedeutung, sein Kampf für Wahrheit, Völkerwohl und Freiheit.“ Sofort wird natürlich der Schiller-Verein zu Leipzig in den reactionären Organen des Bundestages, Hannovers etc. verdächtigt, ein politischer Verein zu sein und Götzendienst zu treiben mit Schiller. Darauf antwortet Blum sehr scharf in seiner Rede zum Schillerfest 1842. Er wirft die Frage auf: „Was feiern wir am Schiller-Feste?“ und antwortet: „Seit dem halben Jahrhundert, wo Schiller gelebt und gewirkt, haben wir einen weiten Raum durchlaufen: das Vaterland ward zerrissen und zerstückelt durch den Eigennutz derer, die es zunächst hätten hüten sollen, und wir trugen das schmachvolle Joch der Fremdherrschaft; wir rüttelten wieder an unseren Ketten, zersprengten sie und setzten Gut und Blut an unsere Befreiung, an unsere Freiheit; wir empfanden schnöden Undank und grobe Täuschung; die schon entkeimende Frucht unseres Blutes wurde abgestreift vom Sturm der Willkür, der Gedanke und das Wort gefesselt und die begeisterte Vaterlandsliebe geächtet. Schiller hat uns begleitet auf dem ganzen weiten Wege, hat Jubel und Freude, Schmerz und Entrüstung, Muth und Ausdauer, Duldung und Ergebung, Kraft und Begeisterung, Mäßigung und Klugheit in unsere Seelen gehaucht. ... Der schwierige Weg ist zurückgelegt; vor uns liegt eine offene, eine ebene Bahn. Nicht weil unsere gerechten Forderungen befriedigt, die Güter uns gewährt sind, die wir prompt vorausbezahlten, sondern weil die Gesinnung, die sie erstrebt, so stark geworden im Vaterlande, daß sie unwiderstehlich ist. Was vor einem Jahrzehnt noch leiser Wunsch und tiefe Sehnsucht einzelner Herzen war, was ausgesprochen als Hochverrath galt, um deßwillen Hunderte in den Kerkern schmachteten, Hunderte dem Vaterlande den Rücken kehren mußten – es ist heute der ausgesprochene Wunsch, die laute Forderung jedes Ehrenmannes; es erschallt aus allen Gauen, aus jedem Herzen, aus jedem Munde; es erschallt selbst von den Festtafeln der Fürsten. ‚Ein einiges, großes, starkes Vaterland! Fest wie seine Berge.‘[2] Die Idee hat gesiegt; sie ist Fleisch und Blut, ist allmächtig geworden trotz aller Verfolgung

  1. Gesammelt in dem „Gedenkbuch an Friedrich Schiller“, das 1855 der Schiller-Verein bei Theodor Thomas in Leipzig herausgegeben.
  2. Anspielung auf den bekannten Toast des Erzherzogs Johann von Oesterreich.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_492.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2016)