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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

oder wieder so elend zu werden, wie zuvor – elend und arm wie eine gebadete Maus. Was bleibt mir sonst übrig? Ich muß schauen, daß ich die Mutter im Gemeindehaus unterbring’, und muß in die weite Welt gehen; ich will’s einmal draußen probiren, daheim ist es ja doch, als wenn mir lauter Unglück aufg’setzt wäre.“

„Und giebt’s denn gar nix, was sich machen könnt’, daß Du bleibst und ich nit in’s Hirtenhaus muß?“ fragte die unglückliche Alte.

„Nichts,“ sagte Gori mit traurigem Kopfschütteln und mehr in sich hinein als zu der Fragenden. „Eins hätt’s gegeben. Das wär’ das Einzige gewesen! Das, wenn’s mir hinaus’gangen wär’, das hätt’ mich vielleicht wieder zusammengericht’ und ich hätt’ geglaubt, daß mir auch noch ein Mal ’was Gutes beschieden wär’. Aber mit dem ist’s vorbei. – Ich hätt’s mir’s aber vorher denken können, daß es nichts ist. Ich hab’s nimmer in mir, daß ich schmeicheln und schön thun kann. Ich sag’ Dir, Mutter, es ist besser, wenn ich geh’ … O Mutter, Mutter!“ setzte er plötzlich in’s tiefste Herz erschüttert hinzu, „warum hat sie mich auf die Welt gebracht? Warum hat sie mich nicht lieber erstickt, wie ich den ersten Schnaufer gethan hab’?“

Er glitt von der Bank, auf welche sich die Mutter neben ihn gesetzt hatte, herab, brach in’s Knie und verbarg die hervorstürzenden Thränen in ihrem Schooß. Sie legte ihm die Hand auf den Kopf und spielte ihm sinnlos in den Haaren. „So ist’s recht, da leg’ Dich her, mein Bub’, wenn Du schlafen willst,“ sagte sie, „ich will Dich einsingen – hab’s ja gar oft gethan.“

Sie begann mit zitternder Stimme eine Art Wiegenlied, er aber schnellte gleich wieder besonnen auf und zog die an ihn Geklammerte mit sich. „Laß mich, Mutter! Mir ist nicht zu helfen,“ rief er; „ich muß fort und will fort, ich muß das Geschäft machen; ich hab’ es geschworen und ich thu’ es.“

„Und ich laß’ Dich nicht,“ erwiderte die Mutter, deren Besinnung sich augenblicklich wieder erhellte. Die Wolken waren wieder darüber hinweggezogen. „Ich weiß nicht, was Du vorhast, aber es ist nichts Gutes. Ich laß’ Dich nicht, bis Du mir’s sagst.“

„Die Mutter will mich aufhalten? Das möcht’ ich mit ansehen,“ schrie er auflachend und schüttelte die schwachen Hände, mit denen sie ihn wieder gefaßt hatte, von sich.

„Ja, ich halt’ Dich, ich halt’ Dich doch,“ sagte sie mit eigenthümlicher Betonung. „Nicht mit meinen schwachen Kräften – aber mit einem einzigen Wörtel.“

„Das müßt ein starkes Wörtel sein,“ entgegnete er, indem er innehielt und sie anstarrte. Sie aber neigte sich etwas zu ihm und sagte mit gedämpfter Stimme: „Das Wörtel heißt: ‚Denk’ an den Steg über den Inn!‘ – Ich weiß Alles.“

„Und was weiß die Mutter?“ schrie Gori, dessen Gesicht die Blässe des Todes überzog, während sein Körper bebend zusammenbrach, wie der eines Sterbenden.

„Ich weiß, daß die Kathel nicht über den Steg hinuntergefallen ist – Du hast sie hinuntergestoßen.“

Gori fuhr auf und erhob die Faust über dem Haupte der Alten, als ob er sie darauf niederschmettern wollte – er faßte sich aber und drückte die Alte auf die Bank nieder. „Meinetwegen!“ sagte er dann dumpf. „Wenn denn die Mutter Alles weiß, dann soll sie auch wissen warum ich’s gethan hab’. Die Mutter denkt vielleicht noch daran, daß wir schon unterwegs einen heimlichen Disput mit einander gehabt haben – sie hat vielleicht geglaubt, es wär’ nichts als eine Neckerei, wie sie wohl Brauch ist unter Liebesleuten. Aber es war nit so. Die Kathl hat mir unterwegs die Lieb’ ausgesagt; sie hätt’ sich anders besonnen, hat sie gesagt: sie wollt’ nicht in eine solche Baracken hinein heirathen, wie die unserige; sie hätt’ andere und bessere Aussichten und wolle von dem Verspruch, den sie mir gegeben, zurückgehen. Ich war ganz außer mir. Mit aufgehobenen Händen hab’ ich sie gebitt’; geflennt hab’ ich, wie ein kleiner Bub’, sie soll mir die Schand nit anthun, sie aber ist fest dabei ’blieb’n. Wie wir nachher mitten auf dem Steg waren, hab’ ich sie nochmal gefragt, ob sie bei mir bleiben wollt. ‚Nein!‘ hat sie gesagt; da hat mich der Zorn über’gangen, und ich hab’ ihr einen Stoß gegeben. Ich hab’ nur noch gesehen wie sie nochmals aufgetaucht ist und den einen Arm ausgehoben hat aus dem wilden Wasser; dann ist sie unter’gangen, und mir ist’s gewesen, als müßt ich ihr nachspringen vor Wehthun im Herzen – aber ihr, der Falschen, ist’s recht geschehen.“

Er schwieg. Die Mutter saß wie versteinert. Es war nicht zu ersehen, ob sie die Erzählung vernommen und ihren Sinn gefaßt.

„Jetzt kann die Mutter sagen, daß sie ‚Alles weiß,‘“ begann Gori wieder. „Aber wie ist denn das? Warum hat dann die Mutter vor Gericht das Gegentheil gesagt?“

„Weil ich Dir hab’ helfen wollen,“ sagte sie, wie sich mühsam besinnend, „weil ich Dich noch immer gern gehabt hab’, wenn Du auch ein Mörder bist. Weil ich gemeint hab’, Du könntest doch noch umkehren und Dich bessern – deswegen hab’ ich falsch geschworen. Du bist verdammt, Gori – Du mußt in der Höll’ brennen in Ewigkeit; ich bin Deine Mutter und hab’ Dich nicht verlassen wollen. Wegen Deiner hab’ ich falsch geschworen. Ich will Dir’s nur sagen,“ fuhr sie mit kläglichem Wimmern fort, „deswegen kommt der Vater in der Nacht und klopft an den Laden – der brave Mann ist vom Mund auf in den Himmel gekommen – ich komm’ nimmer zu ihm; ich seh’ ihn nimmer. Drum kommt er und mahnt mich, daß ich mir das Herz wieder leicht machen, daß ich Alles angeben soll. Da ist er schon wieder,“ schrie sie plötzlich auf, als der Wind einen losgerissenen Laden an die Wand schlug. „Hörst? Er will herein; er will zu mir.“

Mit heftigem Aufschrei brach sie zusammen, von Zuckungen geschüttelt; der Sohn trug sie auf ihr ärmliches Lager. – Die ausgehende Lampe flackerte noch einmal auf; in ihm schlug ebenso ein entsetzlicher Gedanke empor – ein Druck an die alte schwache Kehle genügte, die einzige Zeugin seiner That zu beseitigen, die ihm wider Willen in ihrer Geistesverwirrung gefährlich sein konnte. Aber der Gedanke erlosch mit der Lampe.

„Nein, nein, das will ich nicht thun,“ sagte er, „es ist meine Mutter.“

Er ging in die anstoßende Kammer, um Geräte und Kleider zu sich zu nehmen; die erste Dämmerung sah ihn das Haus verlassen. Von draußen erst, durch das Fenster, warf er noch einen Blick auf die in betäubenden Schlummer versunkene Mutter.


3.

Die Nacht mit Sturm und Gewitter hatte sich verzogen und nichts zurückgelassen, als Spuren der Erquickung und Zeugen des Segens, den sie so reichlich gebracht, daß noch die Mittagssonne an den etwas gedeckteren Stellen sich in den Perlen spiegeln konnte, die, an den Blättern und Blumen hangend, noch im Verdunsten Duft und Kühle in die steigende Gluth der vorgerückten Tageszeit verhauchten. Ueber der ganzen Gegend ruhte die Stille des Friedens, die Heimischen beglückend, den fremden Wanderer zum Verweilen einladend. Besonders lieblich und kühl war es um die kleinen Bauernhöfe und Häuser her, die sich an den Abhang des Schloßberges schmiegten, auf welchem die Burg Falkenstein ihre altersgrauen ehrwürdigen Zinnen erhebt. Die sonnendurchschienenen Schatten dichter Obstbäume zitterten auf dem darunter hingebreiteten üppigen Rasen, in welchen Feldblumen aller Art bunte Farbenmuster stickten. Wie liebkosend strich der Ostwind durch die schwankenden Aeste, die sich mit ihrem saftvollen Grün kräftig abhoben von dem altersbraunen Holze der Gebäude und der ergrauten Dachung der Häuser. Bienen summten und schwärmten von halb eingebrochenen Ständen zwischen den Bäumen und Körben hin und zurück, und als ob auch er sich des Schatten- und Lichterspiels erfreue, sprang der kleine Bach rauschend und schäumend neben dem steilen Fußpfade herab, der zur Ruine emporführt.

Vor einer der kleinsten Behausungen formte sich ein besonders anmuthiges Plätzchen, an dem wohl Niemand vorübergegangen wäre, ohne einen Augenblick anzuhalten aus dem davor aufgeschichteten Holzstoße oder dem daneben gestellten Klotze zum Dengeln der Sensen und einen Blick auf die freundliche Umgebung zu werfen. Eine ganz zu dem Bilde passende Staffage bildete das Mädchen, das auf der Hausbank neben der Thür saß, ein Stück grober, aber blendend weißer Leinwand auf dem Schooße, und so emsig mit Nähen beschäftigt, als ob sie, wie das Sprüchwort sagt, keine Zeit gehabt hätte, wenn ihr ein Auge hinunterfiele, es aufzuheben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_506.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)