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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aufg’setzt.
Eine baierische Bauerngeschichte.
Von Herman von Schmid.
(Fortsetzung)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
4.

Unter dem schönen Nußbaum im Wirthsgarten zu Flintsbach saß am Abend des ereignißreichen Tages dieselbe Gesellschaft zusammen wie am Abend zuvor, aber sie dachte nicht daran, sich zu trennen, obwohl der Vollmond schon lange durch dessen Krone schien und das Ave Maria schon längst die Ruhe im Dorfe eingeläutet hatte. Das kam, weil die Gesellschaft um eine Person zahlreicher war. Linkow saß dem Oberforstrath und Lina gegenüber, und man konnte nicht zu Ende kommen, sich Alles, was von beiden Seiten durchlebt und durchlitten worden, zu erzählen, sich der unvermuthet glücklichen Wendung der Dinge zu erfreuen und das weitgedehnte, unabsehbare Land der Zukunft mit Luftschlössern der Liebe und des Glückes zu bebauen. Nur das freundliche Angesicht Gertl’s fehlte; sie war heute, als an einem Werktage, zur Aushülfe nicht nöthig und mußte des andern Tages in aller Frühe wieder beim Gutsherrn zum Heumachen sich einfinden, doch war sie wohl vertreten durch den Wirth, der fast nicht vom Tische wich: aus Neugierde, bis er Alles erfahren hatte, was die Familie und den Maler, deren Begegnung gestern eine so unfreundliche war, auf einmal so vertrauensvoll zusammengeführt hatte – aus Theilnahme, als man ihn davon verständigt hatte, und aus Freude, daß so merkwürdige Ereignisse sich gewissermaßen in seinem Hause zugetragen.

Andere Gäste waren nicht mehr anwesend, nur an dem Tische neben dem Eingang saß Gori; er hatte die Arme auf den Tisch gelegt, das Gesicht darauf gedrückt, und schien, in tiefen Schlaf versunken, an Allem, was vorging, keinen Antheil zu nehmen. Niemand achtete seiner, und so entging es Jedem, daß er manchmal, wenn irgend ein Geräusch sich vernehmen ließ, leise den Kopf hob und aufhorchte, als ob er etwas erwartete.

Endlich mahnte der alte Oberforstrath zum Aufbruch. Man müsse genügsam sein, sagte er, man habe einen tüchtigen Zug aus dem Becher der Freude gethan und solle auch für den andern Tag ein Neiglein darin übrig lassen. Die Liebenden sagten sich wieder und wieder Gute Nacht; Linkow wollte in seine Wohnung nach Brannenburg zurückkehren und mit dem ersten Morgenstrahl wieder eintreffen, um den ganzen Tag mit der Familie zuzubringen und Alles zu ordnen, was noch geordnet und beredet werden mußte. Als die ganze Gesellschaft durch den Garten zur Thür schritt, schlug der Wirth dem schlafenden Gori auf die Schultern, daß er in gut gespielter Ueberraschung und Schlaftrunkenheit aufsprang und, sich die Augen reibend, fragte, was es denn gebe.

„Stell’ Dich nicht so!“ sagte der Wirth. „Ich kenn’ Dich und weiß: es schlafen nicht alle Leut’, die die Augen zu haben. Aber bei mir wird jetzt das Haus geschlossen; darum mach’, daß Du heimkommst! Bist den ganzen Abend dagesessen, hast ein Krügel um’s andere ausgetrunken und könntest genug haben.“

Der Bursche antwortete nur mit undeutlichen Lauten und anscheinend unsicheren Schrittes folgte er durch den Flur, wo die Magd den Gästen die Treppen hinanleuchtete, während Linkow und der Wirth sich der Hausthür näherten, vor der das Geräusch eines verspätet heranrollenden Fuhrwerkes hörbar wurde.

Ein hübsches, leichtes Wägelchen, wie sie bei reisenden Kaufleuten üblich waren, dazu eingerichtet, um größere Entfernungen schnell und leicht zurückzulegen, hielt vor der Thür. Der Reisende, ein wohlgekleideter älterer Mann, der das Fuhrwerk selbst leitete, verlangte nur nach einem frischen Trunk, indem er gesonnen sei, die Nachtkühle zu benützen und noch ein Stück weiter zu reisen. Er fuhr, als er das gereichte Glas ergriffen und fast geleert hatte, bedächtig um sich blickend, fort:

„Die Nacht ist mondhell, daß man fast lesen könnte, wie bei Tag. Kann man mir wohl sagen, wann der Mond untergeht?“

Der Wirth besann sich einen Augenblick – statt seiner antwortete Gori, der sich an den Thürpfosten gelehnt hatte und nun wie erwachend auffuhr. „Der Mond geht um neun Uhr unter,“ sagte er zum Ergötzen des Wirthes, der in lautes Lachen ausbrach.

„Du mußt schön geladen haben,“ rief er. „Der Mond soll um neun Uhr untergehen!? Es ist jetzt schon bald zehn, und er steht noch hoch am Himmel. – Lassen Sie sich nichts weiß machen, Herr! Vor ein Uhr geht der Mond nicht unter, und Sie können bis dahin noch eine gute Strecke zurücklegen.“

„Es ist gut,“ sagte der Reisende, zahlte und gab das Glas zurück, indem er gleichzeitig das Pferd antrieb. „Ich weiß nun, was ich wissen will. Gute Nacht, Herr Wirth!“

Das Wägelchen flog davon, wie vom Winde getragen. Bedenklich und kopfschüttelnd sah ihm der Wirth nach.

„Das muß auch ein besonderer Heiliger sein,“ sagte er vor sich hin, indem er die Thür schloß. „Was das wohl für ein nothwendiges Geschäft sein mag, das ihn noch in die Nacht so hineintreibt? Etwas Richtiges ist es nicht – da fehlt sich nichts.“

Gori warf noch einen forschenden Blick um sich; dann ging

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_537.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)