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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Sie ahnte nicht, daß Gori ihr Schritt auf Schritt gefolgt war und sie nicht aus den Augen verloren hatte.

Nicht nur sein geräuschloses Schleichen, sein Lauern und Kriechen durch die Büsche machte ihn einem Raubthiere ähnlich, das sich zum Sprung auf seine Beute vorbereitet, auch was in seinem Innern vorging, glich den Begierde eines solchen.

Seit der Zurückweisung während des Spiels und vollends seit dem Vorgang der darauf folgende Nacht hatte er keine anderen Gedanken, als an dem Mädchen, das seine Neigung verschmähte, Rache zu nehmen. Das Gefühl flammte wie ein Brandmal in seinem Innern, und je gewisser er sich selber sagen mußte, daß er Gertl’s Liebe nie erringen werde, desto verzehrender loderte das Verlangen in ihm empor. Wie zwei Ungeheuer rangen der Vorsatz der Rache und die Sehnsucht verwilderter Liebe mit einander und schlangen ihre zermalmenden Windungen und Knoten um ihn – in einem Augenblick nahm er sich vor, noch einen Versuch der Werbung zu machen, im nächsten war er entschlossen sie nur noch einmal zu sehen, um sie zu vernichten. Wie er über das, was er wollte, im Unklaren war, so war er es auch über die Art, wie er sein Vorhaben ausführen und eine Rache ersinnen sollte, die das stolze Mädchen so recht in’s tiefste Herz zu treffen vermöge. Der Gedanke, ihr auf das kleine, heimathliche Hüttchen den rothen Hahn zu setzen, trat am öftesten und hellsten vor seine Seele. Wenn sie ihre Heimath verlor, war sie, wenn nicht eine ausgemachte Bettlerin, doch nichts mehr als eine heimatlose Magd. Dann war doch vielleicht Aussicht, sie mürbe zu machen, denn eine Möglichkeit, ihr Haus wieder aufzubauen, war nicht denkbar.

Die Hauptursache dieses Schwankens war die Aeußerung, welche Gertl bei dem Zwiegespräch im Theater gemacht. War dieselbe nur ein zufälliges bedeutungsloses Wort oder lag geheime Beziehung darin? Hatte sie Wissenschaft oder auch nur eine Ahnung des Vorgefallenen? Darüber, so lautete zuletzt sein Entschluß, darüber mußte er vor Allem Gewißheit haben, und nach der Antwort, die er hierauf erhalte sollte, wollte er seine Handlungen einrichten. Hatte sie wirklich eine Ahnung der Wahrheit, dann mußte sie entweder trotz allen Widerstrebens sein werden, um sie zum Schweigen zu verpflichten, oder sie mußte völlig zu Grunde gehen. Ohne eigentlich sich selbst klare Rechenschaft zu geben, war er vor Gertl’s Haus geschlichen, auf ein zufälliges Begegnen, auf irgend eine Aufklärung hoffend. Diese war ihm so vollständig geworden, daß er keinen Zweifel mehr hegen konnte; damit waren in seinem Innern die Würfel über Gertl’s Schicksal gefallen; das Mädchen, das ihn verschmäht hatte, das sein Geheimniß kannte, durfte nicht leben. Die Botschaft von einer neuen großen Schmuggelei, die ausgeführt werden sollte, kam ihm daher sehr willkommen; sie sollte ihm die Mittel verschaffen, um sich einen andern Aufenthaltsort zu wählen, denn was er auch vornahm, soviel war gewiß, daß es für ihn überall sicherer sein mußte, als in der Heimath.

Im Gebüsche versteckt, belauschte Gori den Eintritt Gertl’s in die Scheune. Er schlüpfte unter die Hollunderbüsche neben dem Eingange, die eben hinreichten, ein Versteck zu gewähren. Er verweilte jedoch nicht lange daselbst, denn im Augenblicke war ihm der Weg klar geworden, wie er seine Rache am beständigsten zu befriedigen vermöge. Behutsam schob er den äußeren Holzriegel am Scheunenthore vor und lehnte an dasselbe ein paar aufgestellte Balken, daß es von innen nicht aufgedrückt werden konnte. Dann ging er vorsichtig den Bach entlang aufwärts, damit durch das Brausen desselben das Geräusch, das er machen mußte, übertönt wurde. Er holte Stahl und Stein aus der Tasche, nur einige Schläge, und der verderbliche Funke blitzte auf. Wie zuvor glitt er, einer Natter ähnlich, lautlos durch das Gras und schob den glimmenden Schwamm durch einen Bretterspalt in die Scheune, umwickelt mit Ranken von grauem dürrem Bartmoos, das er von einer Fichte gerissen, damit es schnell zur Flamme werden und den Heustadel ergreifen sollte – dann sprang er hinweg, und ein gegen die Maiwand und den Wasserfall gelegenes großes Felsstück diente ihm als Wall, um vom Verborgenen aus das ganze fürchterliche Schauspiel, das nun beginnen mußte, in der Nähe unsichtbar zu beobachten.

Kaum war er in seinem Schlupfwinkel angelangt, als es in den Fugen und Spalten der Scheune schon heller zu werden begann; aus den Luken drang dichter, dunkelroth angeschienener Qualm und verkündete, daß sein Verbrechen gelungen, daß seine Rache ihr Opfer erreicht hatte.

Es währte geraume Zeit, ehe Gertl aus dem tiefen Schlafe auffuhr, in den Ermüdung nach der Erregung sie versenkt hatte. Hastig schnellte sie empor und rieb sich die Augen, die der Feuerschein blendete und der Rauch kaum zu öffnen gestattete.

„Heilige Mutter Anna!“ rief sie mit fast erstickter Stimme, denn die ganze Hütte war bereits mit Dampf gefüllt, der sich nicht zu entfernen vermochte – „was ist da geschehen? Es brennt, und ich bin ganz allein, kein Mensch weiß, daß ich im Stadel bin; kein Mensch kann mir zu Hülfe kommen; ich muß ersticken oder elend verbrennen bei lebendigem Leib. Hilf heilige Mutter Anna, hilf!“ fuhr sie, taumelnd und fast der Besinnung beraubt, fort, indem sie durch Rauch und Feuer der Thür zutappte. Sie wollte dieselbe öffnen, aber der Riegel war von außen vorgeschoben. Mit einem Aufschrei des Entsetzens stemmte sie sich gegen die Thür, um sie aufzusprengen, aber das Brett wich nicht; es mußten von draußen Balken oder Steine vorgelegt sein, die das Aufgehen verhinderten. „Jesus, Maria und Joseph!“ keuchte sie mit vergehenden Sinnen. „Die Thür ist von draußen vermacht – das ist mit Fleiß geschehen – das ist auf mich abgesehen,“ und mit dem Worte „Gori!“ stürzte sie besinnungslos an der Thür zusammen. In demselben Augenblicke hatte die Flamme die dürren Balken des Dachgerüstes erreicht; es wich dem Luftdrucke, und wie ein furchtbares Nothzeichen stieg eine Feuersäule funkensprühend in den Nachthimmel empor.

Verwirrte Stimmen, Hülferufe und Kindergeschrei erschollen aus dem anstoßenden Bauernhause herüber. Die Bewohner waren erwacht und stürzten, wie sie dem Bette entsprungen, aus dem Hause, um ihre furchtbare Ahnung in furchtbarster Weise bestätigt zu sehen. Schon leckte die Flamme nach dem Dache des Wohnhauses hinüber; schon glimmten einzelne Funken auf den Schindeln – es war keine Möglichkeit, der Wuth des entfesselten Elementes Einhalt zu thun; nichts blieb übrig, als das Beste an Fahrniß und Habe aus dem gefährdeten Hause zu schaffen, das Gebäude selbst aber der Zerstörung zu überlassen. Betten, Kleider, Hausrath aller Art wurden in die Büsche und zwischen die Trümmer der Ruine geschleppt; die Frau des Baumannes mit ihren schreienden Kindern sank wie ohnmächtig darauf nieder, während die Magd noch mit dem Austragen von Gegenständen beschäftigt war, der Mann selbst aber mit dem Knechte den ohnmächtigen Versuch machte, Wasser aus dem Bache in einen Kübel zu schöpfen und in die Flammen zu schütten.

Es währte nicht lange, so hatte die aufsteigende Feuersäule die Bewohner der Niederungen geweckt; von den Kirchtürmen der benachbarten Orte begannen die ängstlichen Feuerglocken zu ringen; bald waren auch die Bewohner der nächsten Häuser zur Hülfe da, aber die Hülfe kam zu spät. Das Feuer hatte schon den größten Theil seiner Zerstörung vollendet; das Dach des Hauses stand schon in voller Gluth; aus den Fenstern loderten Feuerzungen empor; die Scheune drohte jeden Augenblick in sich selbst zusammenzustürzen.

Auch die Bewohner von Flintsbach kamen herbei, mit ihnen der Wirth und der alte Förster; selbst die Grenzaufseher fehlten nicht. Sie waren eben auf ihrem nächtlichen Rundgang begriffen, als sie den Feuerschein erblickten und hülfsbereit herbei eilten. Von den Einwohnern der Häuser am Abhange des Falkenstein fehlte natürlich Niemand – unter ihnen stand, gleich einer Verzweifelten, Gertl’s Mutter.

„Wo ist mein Kind?“ schrie sie, sich die Haare raufend. „Wo ist meine Gertl? – Gertl, Gertl, wo bist Du? Gieb Antwort – um’s Blut Christi willen, gieb Antwort!“

Es dauerte einige Augenblicke, bis man aus ihren verworrenen Reden begriff, daß das Mädchen wegen der Morgenarbeit schon den Berg heraufgekommen sei und die Absicht gehabt habe, bis zum Beginne derselben sich in die Scheune in’s Heu zu legen. Wie versteinert, lautlos vor Entsetzen standen Alle einen Augenblick; das Blut wollte in den Adern gerinnen. – Wenn die Unglückliche ihren Vorsatz wirklich ausgeführt hatte, war sie verloren. Unfehlbar mußte sie entweder erstickt oder gar verbrannt sein oder sie mußte, wenn sie noch lebte, von dem sich bereits zum Einsturz neigenden flammenden Giebelbalken erschlagen werden. Die Mutter, als sie die furchtbare Wirklichkeit begriffen, stürzte bewußtlos zusammen. Niemand wagte den Versuch, sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_539.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)