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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Religiosität ist, wie aus seinen Dichtungen zur Genüge hervorgeht, ein gut Theil Pantheismus beigegeben; Religion war ihm jene Geistes- und Lebensmacht, welche das menschliche Dasein mit dem ewigen Urquell aller Dinge in Verbindung setzt, die dem menschlichen Geiste im wechselnden Strome der Endlichkeit das Bewußtsein, daß er selbst unendlich ist, verleiht, die ihn erhebt über die sichtbare Welt und ihn auf eine unsichtbare ideale Höhe stellt, von welcher er die Zeitlichkeit zu beherrschen, die wilden Wallungen der Gefühle zu mäßigen und die Stürme der Leidenschaften zu beschwichtigen vermag. Die Quintessenz seines poesievollen Gottesglaubens hat er in den Worten ausgesprochen: „Ewige Liebe umschließt in ihren schützenden Armen die Erde, den Himmel und das Meer.“

Unter seinen neueren und neuesten Arbeiten verdienen noch die Ode, welche er dem erschütternden Ende Abraham Lincoln’s weihte, seine Uebersetzung von Homer‘s „Iliade“ und das längere Gedicht erwähnt zu werden, welches er unter dem Titel „Die Fluth der Jahre“ bei Gelegenheit der Säcularfeier der hundertjährigen nationalen Existenz der Vereinigten Staaten im Jahre 1876 verfaßte.

Was nun noch Bryant’s Wirken als Journalist und Politiker betrifft, so mag erwähnt werden, daß er als Herausgeber und Leiter der „New-York Evening Post“ ein Vertheidiger des Präsidenten Andrew Jackson war, daß er seit 1840 die sogenannte Freiboden-Partei unterstützte und die allmähliche Aufhebung der Negersclaverei empfahl; 1856 half er die republikanische Partei mit gründen; 1860 wirkte er eifrig für die Erwählung Abraham Lincoln’s, bekämpfte stets das übermäßig hohe Zollsystem und die unter der Grant-Administration zu Tage getretenen starken Centralisationsbestrebungen und verfolgte mit unserm talentvollen Landsmann Karl Schurz bei der Präsidentenwahl im Jahre 1872 und ebenso im Jahre 1876 eine weise und durchgreifende Reformpolitik. Er befürwortete eine ehrliche Abzahlung der Nationalschuld und die locale Selbstregierung, die nach dem Rebellionskriege im Süden der Union arg bedroht war, und war zu allen Zeiten der entschiedenste Gegner aller schwindelhaften Gewinne und der Corruption im Aemterwesen der Vereinigten Staaten. Während der letzten fünfzehn Jahre trat er häufig bei feierlichen Gelegenheiten als öffentlicher Redner auf, so z. B. bei dem großen Friedensfeste, welches am Ostermontage des Jahres 1871 in New-York von den dort lebenden Deutschen zur Feier des Sieges von Deutschland über Frankreich veranstaltet wurde, und im Jahre 1875, als der deutsche „Goethe-Club“ in New-York beschlossen hatte, eine wohlgelungene Büste unseres großen Dichterfürsten im dortigen Centralpark aufzustellen. Bryant’s letzte öffentliche Handlung war sein Auftreten als Redner bei Enthüllung der Büste von Giuseppe Mazzini im New-Yorker Centralparke am 29. Mai dieses Jahres. Er hatte sich bei dieser Gelegenheit zu sehr den Sonnenstrahlen ausgesetzt und wurde, als er auf dem Heimwege in das Haus des ihm befreundeten Generals James G. Wilson eintreten wollte, von einer Art Schlaganfall getroffen. Die bei diesem Unfalle erhaltene Gehirnerschütterung führte, wie schon erwähnt, am 12. Juni seinen Tod herbei.

Seit dem Jahre 1847 hielt sich Bryant gern, oft den größeren Theil des Jahres, auf seinem Landsitze bei Roslyn auf der in der unmittelbaren Nähe von New-York gelegenen Insel Long-Island auf. Seine dortige Villa, die einfach, aber bequem eingerichtet ist, liegt auf einer waldigen Anhöhe, dem sogenannten Hempstead-Hafen gegenüber, der zur Zeit der Fluth den Anblick eines großen und schönen Sees gewährt. Roslyn hieß früher North-Hempstead; um es von gleichnamigen Ortschaften zu unterscheiden, vertauschte man auf Bryant’s Vorschlag den letzteren Namen mit dem ersteren. Bryant wählte aber den Namen Roslyn, weil im Jahre 1781 die noch aus Long-Island befindlichen englischen Truppen diese Insel unter den Klängen der Melodie von Roslyn Castle räumten. In Roslyn wurden auch die irdischen Ueberreste des Dichters unter zahlreicher Betheiligung der angesehensten Bewohner New-Yorks am Freitage 14. Juni zur Erde bestattet.

In seiner äußeren Erscheinung war Bryant von schlanker und hoher Gestalt, mit einem ausdrucksvollen, mächtigen Kopfe, den lockiges Silberhaar umwallte. In seiner Jugend soll seine Gesundheit nicht die stärkste gewesen sein, doch besserte sich dies im Laufe der Jahre, sodaß er noch bis kurz vor seinem Tode geistig und körperlich thätig und rüstig war. Er stand durchschnittlich um fünf Uhr Morgens auf und nahm dann körperliche Uebungen vor, worauf ein Bad zu folgen pflegte. Darauf arbeitete er, bis er zum Frühstück gerufen wurde; dasselbe war sehr einfach und bestand meistens aus Maisbrod, gebackenen Aepfeln, buchweizenem Kuchen und Milch. Thee und Kaffee liebte er nicht, wohl aber zuweilen eine Tasse Chocolade; Früchte waren ihm sehr willkommen. Nach dem Frühstücke studirte er wiederum oder ging, wenn er in New-York war, auf das Geschäftslocal der „Evening Post“; nach etwa drei Stunden kehrte er heim. Wenn er sich auf seinem Landsitze befand, beschäftigte er sich mit literarischen Arbeiten, bis er ermüdet entweder ausfuhr oder ausging, um in der frischen Luft selbst wieder frisch zu werden. Auf dem Lande nahm er sein Mittagsmahl, welches ebenfalls sehr frugal ausfiel, früher, als in der Stadt. Er trank gewöhnlich Wasser, doch verschmähte er zu Zeiten ein Glas Wein nicht. Tabak liebte er in keiner Weise. Da er früh aufstand, ging er auch früh zu Bette: in New-York um zehn Uhr Abends, auf dem Lande noch früher. Des Abends war er seit längerer Zeit literarisch nicht beschäftigt; er schrieb dann kaum einmal Briefe, um jede nervöse Aufregung zu vermeiden.

Was Bryant einen so hohen Rang in der amerikanischen Literatur einräumt, das ist neben der plastischen Anschaulichkeit und schillernden Farbenpracht, mit welcher er die Landschaften seiner Heimath dichterisch nachzugestalten versteht, das durchaus nationale Gepräge seiner poetischen Schöpfungen, namentlich jener ausgesprochen amerikanisch-patriotische Zug, der ihn zu einem dichterischen Interpreten der freiheitlichen Ideen Nordamerikas macht. Uns Deutschen aber ist er besonders sympathisch, weil er zu jener Gruppe transatlantischer Dichter gehört, welche, wie auch Bayard Taylor, einen guten Theil ihrer Bildung auf den Wegen deutscher Literatur und Wissenschaft gefunden, und deutschen Geistesgrößen und deren Schöpfungen jenseits des Oceans mit Wärme und Verständniß allzeit das Wort geredet haben.

Rudolf Doehn.






Die Insel der Aphrodite.

Auf dem viel gepriesenen Eiland, wo einst die schaumgeborene Göttin der Schönheit dem Meere entstieg, wo der Venus Anadyomene geweihte Tempel, Cypressen, und Myrthenhaine prangten, da wehen jetzt die Banner und Flaggen der meerbeherrschenden Thetis unserer Tage, der Königin Britanniens. Wo einst rosenbekränzte Jünglinge in erotischen Reigen amathusische Feste feierten, da tummeln sich jetzt britische Theerjacken, verwetterte Seemänner und ungeschlachte Schiffsknechte.

Cypern ist am 4. Juni dieses Jahres unerwartet Besitzthum Englands geworden.

Mag nun der Dichter immerhin klagen:

„Es ist dahin, es ist verschwunden,
Jenes hochbegünstigte Geschlecht“ –

die Gegenwart antwortet keck:

„Wir, wir leben. Unser sind die Stunden,
Und der Lebende hat Recht.“

Das Ereigniß der englischen Annexion Cyperns ist so bedeutsam, daß ein Rückblick auf dessen viertausendjährige Schicksale und Wandlungen, die Natur und Weltstellung dieses Eilands gerechtfertigt ist, um darnach auf den Werth jener Annexion für Großbritannien, auf die möglichen und voraussichtlichen Folgen für die russische und englische Machtentwickelung, für die Schicksale einzelner Länder in Asien und die Rückwirkungen dieser Verhältnisse auf Europa hinzuweisen.

In dem nordöstlichen Winkel des Mittelländischen Meeres, zwischen der Südküste Kleinasiens und Syrien, erstreckt sich Cypern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_544.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)