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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Soll – – Da haben wir’s schon,“ unterbrach sie sich, „da ist der Förster schon und ein Haufen Bauern mit ihm; sie haben Dich richtig schon auskundschaftet und holen Dich ab.“

„Heilige Anna, hilf!“ rief Gertl, indem sie Franzl um den Hals fiel. „Hilf, Mutter! Sie dürfen ihn nicht finden. Sag’, wo wir ihn verstecken? Oder das Beste wird sein – mach’, daß Du fortkommst, Franzl! Ich laß’ Dich durch den Kuhstall hinaus; da passen sie nimmer auf.“

Der Bursche trat kaltblütig an’s Fenster und überblickte die Umgebung des Hauses.

„Es ist zu spät,“ sagte er, „sie haben das Häusel umstellt, ich kann nimmer fort – sie würden mir eine Kugel nachschicken.“

Es war wirklich zu spät; im nächsten Augenblick schon öffnete sich die Thür, und auf der Schwelle stand der Förster mit der Büchse im Anschlag liegend.

„Rühr’ Dich nicht, Wilddieb, vermaledeiter!“ rief er. „Jetzt ist’s Dein Letztes. Gieb Dich oder ich schieß’!“

„Thu Deinen Schießprügel weg!“ entgegnete Franzl kaltblütig und drängte Gertl sanft von sich, die, wie um ihn zu schützen, sich an seine Brust geworfen hatte. „Du siehst, ich hab’ kein Gewehr; ich kann mich nicht wehren und muß wohl mitgehen, ob ich will oder nicht.“

„Das ist Dein Glück,“ sagte der Förster, indem er das Gewehr absetzte und den Hahn in Ruhe stellte. „Packt ihn, Bauern! Bindet ihm die Händ’ auf den Rücken!“

„Was?“ rief Franzl zurückspringend, indem helle Gluth über sein Angesicht emporschlug. „Bandeln wollt Ihr mich? Wer mir auf drei Schritte zu nah’ kommt, der fliegt zum Fenster hinaus. Was stellst Dich denn so wüthig an, Förster?“ fuhr er, ihm näher tretend, fort, „warum sollt ich mich denn wehren, wo’s doch nichts hilft? ‚Heut mir, morgen Dir!‘ das ist ein altes Jägersprüchl – ich hab’ Dich auch schon einmal bei der Falten gehabt und hab’ Dich laufen lassen; heut’ hast Du mich und hältst mich fest – ein Jeder nach seiner Meinung. Jetzt aber macht, daß wir weiter kommen!“

Er wandte sich den Bauern zu, die den kühnen Burschen nicht ohne eine gewisse Theilnahme betrachteten.

„Behüt’ Dich Gott, Gertl!“ sagte Franzl, indem er zu dem Mädchen trat und unbekümmert um die staunenden Zeugen den Arm um sie schlang. „Behüt’ Dich Gott! Das ist eine kurze Zeit, daß mir zwei wieder zusammengekommen sind – aber ich mein’, es könnt’ nit so weit gefehlt sein mit mir. Wart halt eines kurz’ Zeitl auf mich, bis ich wiederkomm’!“

Gertl weinte leise an seiner Brust, er aber fuhr, eine leichte Rührung niederkämpfend, fort: „Und wenn ich nit wiederkomm’ – wenn’s wirklich aus sein sollt’ mit der glückseligen Stund’, in der wir uns wiedergefunden haben – nachher vergiß mich nicht ganz und denk dieweilen an mich!“

„Ich hab’ kein anderes Gedenken mehr, als Dich, Franzl,“ sagte Gertl, „und werd’ kein anderes haben – aber ich sag’ Dir nur auf kurze Weil’ Behüt’ Gott! Du kommst wieder, Du mußt wieder kommen, und ich wart’ auf Dich, und wenn ich darüber ein altes Mütterl werden müßt’. Ich hab’s nit glauben wollen; ich hab’ gefrevelt, aber jetzt weiß ich, Du mußt wieder kommen, es ist uns aufg’setzt, daß Du wieder kommst.“

Franzl legte die weinende Tochter in die Arme der mitweinenden Mutter, und im nächsten Augenblick war der Zug mit seinem Gefangenen in der Nacht verschwunden. Die Fackel, die einer der Bauern trug, zeigte, wie sie den Bergweg hinunter wandelten – auch die erlosch endlich in der Ferne wie ein letzter Leitstern in dem Dunkel der Hoffnungslosigkeit, das mit der Nacht sich auf die Zurückbleibenden niedersenkte.


5.

Ein Jahr später schaute der graue Römertthurm des Falkensteins auf die fröhliche Zurüstung zu einem Feste herab, das in seinen Räumen und Trümmern sich vorbereitete.

Noch der Herbst hatte Lina und Linkow vor dem Altare durch ein heiliges Band vereint, etwas, das Beiden noch vor kurzer Zeit so unmöglich geschienen wie die Erfüllung eines Märchentraumes. Der Kreislauf des Jahres hatte den Tag wieder gebracht, der das erlösende Wort über sie ausgesprochen hatte; er fand das Paar in glücklicher Vereinigung. Es wurde beschlossen, einen Ausflug in das Innthal zu machen und auf dem Falkenstein einige festliche Stunden der Erinnerung zu begehen. Traf es sich doch auch, daß ein Fest der Gegenwart mit demselben zusammenfiel.

Der Wirth von Flintsbach hatte sich’s nicht nehmen lassen, den Platz herzurichten, zu schmücken und mit Allem zu versehen, was nöthig ist, daß über den Freuden des Gemüths auch der Körper nicht leer ausgehe. Im untern Burghofe waren einige Tische und Bänke ländlich zusammengezimmert; in dem Bergeinschnitt des Baches unter dem dichtesten Ahornschatten lagen in der Kühle ein paar Fäßlein voll jenes Labetrunks bereit, ohne welchen in baierischen Gauen kein Fest begangen wird, und am Fuße der von der einstigen Burgcapelle noch übrigen Giebelwand waren Steine zu einem Feldherde zusammengetragen, auf welchem ein lustiges Feuer emporprasselte. Mit vergnügter Miene ging der Wirth hin und wider, die getroffenen Anstalten überblickend, rieb er sich die Hände und rief: „So, jetzt kann der Zug jeden Augenblick kommen. Der Rehbraten ist in einer Viertelstunde gar, und die Hühner stecken schon am Spieß; die Stadtherrschaften werden wohl zufrieden sein … da fehlt sich nichts.“

„Sie werden auch bald kommen, Wirth,“ erwiderte einer der Grenzjäger, der eben durch den Thorbogen hereingekommen war. „Ich bin fort, wie die Predigt angefangen hat – es war ein großes Gewühl von Menschen, aber dennoch war es schön und feierlich, und wie das Paar copulirt wurde, war es ringsum so still, man hätte eine Nadel fallen gehört.“

„Glaub’s wohl, daß es schön gewesen sein muß,“ sagte der Wirth, „daß der Herr Propst selber gepredigt, wär’ allein werth, daß man sich ein paar Sohlen wegläuft. Ueber was hat er denn gepredigt?“

„Ich habe nur den Anfang gehört,“ antwortete der Grenzer. „Er hat gesagt, er wollte von der göttlichen Fürsichtigkeit predigen und an dem Schicksal der Brautleute zeigen, wie der Mensch niemals verzweifeln sollte und wie der, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt, auch da noch einen Ausweg zu finden vermöge, wo uns die ganze Welt mit Brettern vernagelt scheine.“

„Er hat Recht,“ sagte kopfnickend der Wirth; „es ist auch eine merkwürdige Geschichte, die wir da erlebt haben. Wer hätte damals, wie wir in meinem Schankgarten gesessen sind und ich den Tiroler Stummerl hinterm Zaune aufgestöbert habe und die Gertl so an ihm erschrocken ist, wer hätte sich damals einfallen lassen, daß die Zwei über’s Jahr die Ringe wechseln würden!“

„Jawohl,“ rief lachend der Grenzer, „es ist merkwürdig, was man in einer so kurzen Zeit, wie ein Jahr ist, Alles erleben kann, Lustiges und Trauriges! Gestern hat es sich auch wieder gejährt, wie der Gori seinen grauslichen Tod genommen hat. Wenn ich an der Hütte vorbei muß, möcht’ ich immer lieber einen Umweg machen.“

Der Wirth lachte. „Ihr seid mir auch der rechte Wächter,“ sagte er, „der einer halbverfallenen Hütte aus dem Wege geht und einem alten Weib, das drin logirt hat.“

„Ich fürcht’ mich nicht, Wirth,“ entgegnete der Grenzer, „zum wenigsten vor etwas Lebendigem – aber es giebt doch Sachen, bei denen den Couragirtesten eine Gänsehaut überläuft. Die Alte war eine scheusame Person, von der man gar nicht einmal weiß, wo sie hin gekommen ist. Wie wir die Hütte visitirten und sie erfahren hatte, was mit dem Gori geschehen war, that sie gar nicht dergleichen, daß sie die Nachricht verstanden hätte, und kurze Zeit darnach, wie sie mir in der Nacht begegnete, sagte sie mir, ich solle sie nicht aufhalten, ihr Mann habe ihr Botschaft gethan, er werde nächstens mit einem Schiffzug kommen und sie abholen – sie solle ihn nur draußen am Wasser erwarten. Sie ist auch etliche Tage am Gestad gesessen, und wie man sie hat wegholen wollen, ist sie nicht mehr da gewesen, und kein Mensch hat weiter etwas von ihr gehört.“

„Das alte Weibel wird halt in seiner Narrheit in den Inn gefallen sein,“ sagte der Wirth. „Sie ist am besten aufgehoben – Gott geb’ ihr die ewige Ruh’ und dem Gori auch!“

„Horch, sie kommen!“ rief der Grenzer, als aus weiter Ferne und Höhe schallende Trompetenklänge in den hellen Morgen hinein schmetterten. „Sie müssen schon um die Ecke am Petersstein herum sein, weil man die Musik schon so deutlich hört.“

„Fehlt sich nichts!“ rief der Wirth und winkte ein paar nebenan beschäftigten Burschen zu, sich bereit zu machen. „Seppel, schlag’ den Spund auf – zapf an! Und Du, Hies, lauf’ in

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