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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


es überhaupt keine Wahl mehr; man hatte dafür gesorgt, daß sie mir erspart blieb. Meine ersten Schritte galten dem Versuche, zu erfahren, wie viel von unserer Sache verloren, wie viel davon gerettet war. Ich suchte meine Freunde auf und fand einen Empfang, auf den ich nun freilich nicht vorbereitet war. ‚Verrath!‘ schrie man mir entgegen; ‚Verrath!‘ tönte es von allen Seiten, wo ich mich nur blicken ließ. Haß, Empörung, Abscheu wogten mir in allen Tonarten entgegen. Im ersten Augenblicke begriff ich nicht, was das zu bedeuten habe – ach, es wurde mir nur zu bald klar.

Man hielt mich für den Verräther, der die Entdeckung herbeigeführt hatte. Meine amtliche Stellung, die offenbare Gunst meines Chefs hatten schon früher Anlaß zum Mißtrauen gegen mich gegeben; jetzt lag es klar am Tage: Ich war das Werkzeug, der Spion des Ministers gewesen; ich hatte ihm unsere Geheimnisse preisgegeben und verkauft. Meine eigene Verhaftung, so folgerte man, war nichts als eine Komödie, ein abgekartetes Spiel, um mich der Rache der Verrathenen zu entziehen, und meine Freilassung bewies ja sonnenklar, daß ich mit den Feinden im Bunde sei – ich erkannte es jetzt, daß die Großmuth meines Chefs keine so unbedingte war, wie ich glaubte. Er hatte sich gesichert, als er mich freiließ, und mir die Rückkehr in das ‚Demagogentreiben‘ ein für alle Mal verschlossen.

Anfangs stand ich fassungslos vor der furchtbaren Anklage, dann erhob ich mich mit vollster Empörung gegen dieselbe. Ich gestand offen meine Unvorsichtigkeit ein, die einzige Schuld, die ich mir beimessen konnte. Ich erzählte meine Unterredung mit dem Minister – es war umsonst, man hielt das für leere Ausflüchte. Das Verdammungsurtheil über mich war einmal ausgesprochen und wurde nicht zurückgenommen. Ein Einziger hätte mir vielleicht geglaubt – Rudolph Brunnow! Ihn traf der Schlag am schwersten und doch, hätte ich vor ihn hintreten können, Auge in Auge, und ihm sagen: ‚Es ist eine Lüge, Rudolph, ich bin kein Verräther!‘ er hätte mir die Hand gereicht und mit mir vereint die Verleumdung bekämpft. Aber er war im Gefängnisse. Ich konnte nicht bis zu ihm dringen. Ich gab den Uebrigen mein Ehrenwort, aber man antwortete mir, daß ich keine Ehre mehr zu verlieren habe, und verweigerte mir sogar die Genugthuung für diesen Schimpf, denn mit Spionen schlage man sich nicht. – Die verfolgten, gehetzten und bis zum Wahnsinn gereizten Menschen waren keines unbefangenen Urtheils fähig, und ich fürchte, ihr Verdacht ist absichtlich auf mich gelenkt worden. Erfahren habe ich es freilich nie, aber meine Begnadigung drückte das Siegel auf den Verdacht.

Nach vier Wochen stand ich wieder vor dem Minister. Ich hatte Alles versucht, mich von dem schändlichen Verdachte zu reinigen, und Alles war gescheitert. Ich blieb ausgestoßen, gemieden, verfehmt von meinen Parteigenossen, aber auch ich war jetzt fertig mit ihnen. Bis hierher war ich ohne Schuld. Noch lag ein letzter Ausweg vor mir: ich konnte mein Vaterland verlassen und anderswo ein neues Leben beginnen, um meiner Ueberzeugung treu zu bleiben, wie Rudolph es später that, als er frei wurde. Das hätte mich schließlich doch gerechtfertigt, wenn auch erst nach Jahren, aber für den Heroismus des Märtyrerthums habe ich nie Verständniß besessen. Auf der einen Seite stand das Exil, mit all seinen Entsagungen und Bitterkeiten, auf der anderen eine Laufbahn, die meinem Ehrgeiz volle Befriedigung verhieß. Ich täuschte mich nach den letzten Vorgängen nicht mehr darüber, was von mir verlangt wurde, wenn ich das Anerbieten meines Chefs annahm, aber Alles in mir gährte auf in glühendstem Hasse gegen die, welche mich verurtheilten, ohne mich auch nur zu hören. Der erlittene Schimpf, die Ungerechtigkeit der ehemaligen Freunde trieben mich geradewegs in das Lager der Feinde hinüber. Ich wußte, daß der Preis meiner neuen Laufbahn meine Ueberzeugung war, und – ich brach mit meiner Vergangenheit und leistete das geforderte Versprechen.“

Die Stimme des Freiherrn, seine kurzen, heftigen Athemzüge verriethen, wie furchtbar diese Erinnerungen in ihm wühlten. Gabriele hörte in angstvoller Spannung zu, aber sie wagte es jetzt nicht, ihn mit einer Frage zu unterbrechen. Er hatte sie aus seinen Armen gelassen, und sein Ton klang matt und dumpf, als er fortfuhr:

„Von diesem Augenblicke an kennst Du und die Welt meine Laufbahn. Ich wurde der Secretär des Ministers, wurde sein Freund und Vertrauter, schließlich sein Schwiegersohn. Sein mächtiger Einfluß räumte all die Hindernisse fort, die dem bürgerlichen Emporkömmlinge im Wege standen, und als die Bahn erst einmal frei war, da brauchte ich nur meine eigenen Kräfte zu regen. Daß meine ganze Vergangenheit dabei venichtet und verleugnet werde mußte, war selbstverständlich; ich hatte es ja gewußt und es lag nicht in meinem Charakter, irgend etwas halb zu thun. Meine Natur neigte ohnehin zum Despotischen, Macht und Herrschaft hatte stets für mich einen beinahe dämonischen Reiz gehabt, jetzt lernte ich sie kennen und eine unglaublich schnelle Carrière und glänzende äußere Erfolge halfen mir schneller, als ich glaubte, über die alten Erinnerungen hinweg. Der stete Einfluß meines Schwiegervaters, den ich aufrichtig verehrte, die Kreise, in denen ich fortan lebte, thaten das Uebrige. Ich mußte vorwärts, ohne umzublicken, und ging vorwärts. Der Weg führte freilich über die Trümmer meiner einstigen Ideale, aber ich erreichte das Ziel – um so zu enden!“

„Aber es ist ja nur eine Verleumdung, eine Lüge, die Dich stürzt!“ fiel Gabriele ein. „Das wird und muß doch offenbar werden.“

Raven schüttelte finster das Haupt. „Kann ich die Welt zu dem Glauben zwingen, den sie mir versagt? Ich habe es ja bereits aus dem Munde Rudolph Brunnow’s hören müssen, daß ich das Recht auf Glauben verwirkt habe. Er freilich kann jeder Anklage entgegentreten mit seiner reinen Stirn, seine Vertheidigung würde nicht ungehört verhallen, denn seine Vergangenheit, sein ganzes Leben zeugt für ihn – die meinige verurtheilt mich. Wer seine Ueberzeugung abschwor, der kann ja wohl auch seine Freunde verrathen haben. Der Fluch jener unseligen Stunde, in der ich mir selbst untreu wurde, fällt jetzt auf mich und macht mich ohnmächtig, der Verleumdung zu begegnen, die mich stürzt.“

„Und wer stürzt Dich?“ rief Gabriele aufwallend. „Die, um deren willen Du das Alles gethan, denen Du Alles geopfert hast. O, welche Undankbarkeit!“

(Fortsetzung folgt.)



Gefärbte Vögel.
Von Dr. Karl Ruß.

Auf der letzten großartigen Vogelausstellung in Berlin im Herbst 1877 fesselten unter mancherlei anderen interessanten Erscheinungen vorzugsweise eine Anzahl Canarienvögel, welche Herr A. F. Wiener aus London gesandt hatte, die Blicke der Kenner wie der Neulinge. Dieselben zeigte sich von allen uns bisher bekannten Canarien durchaus verschieden; weder das matte Weißlichgelb noch das kräftige Hochgelb, weder das schwärzliche Grüngrau noch die Isabellfarbe, welche wir bisher an den Canarienvögeln gesehen, weder die schlichte Gestalt des deutschen Vogels, die schlanke hochschulterige der holländischen Rasse oder die carrikirte des „Parisers“ oder „Trompeters“ mit Jabot und Epaulettes hatten diese Fremdlinge aufzuweisen, noch den wundervollen Gesang unseres Harzer Hausfreundes ließen sie hören – und trotzdem füllte sich der Raum vor ihnen immer mehr mit herandrängenden Beschauern.

Das Fesselnde in der Erscheinung dieser Vögel liegt zunächst in ihrer Färbung, die vom feurigen Dunkelgelb bis zum tiefen Orangeroth wechselt und dabei an den Exemplaren, welche nicht einfarbig sind, durch überaus gleichmäßige Abzeichen ausgeschmückt ist, sodaß der eine Vogel bei rein orangegelbem Körper eine schwarzgrüne Kappe und ebensolche Flügel, ein anderer eine breite dunkle Brille, ebenfalls mit Flügelzeichnung, und, ein dritter nur dieses oder jenes Abzeichen allein hat, während ein vierter am ganzen Körper gleichmäßig eidechsenähnlich geschuppt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_563.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2016)