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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Versteck geduldig des Momentes gewartet, wo sie als eine werthvolle Reliquie aus demselben hervorgehen wird.

Ein zerknitterter und vergilbter Briefbogen ist es, auf dem sich in eleganter, aber abgeblaßter Druckschrift der folgende Wortlaut befindet: „Hiermit zeige ich ergebenst an, daß ich unter dem heutigen Datum an hiesigem Platze ein Verlagsgeschäft unter der Firma Ernst Keil errichtet habe. Das Nähere über meine Unternehmungen behalte ich mir vor. Leipzig, 3. August, 1845. Ernst Keil.“ Ein einfaches Etablissements-Circular also im trockensten und allerknappsten Geschäftsstil, an sich nichtssagend, ohne irgend einen neuen Inhalt, und doch unter den gegenwärtigen Umständen, nach Ablauf von beinahe dreiunddreißig Jahren so ergreifend für uns, wenn wir uns die Winzigkeit des Lichtpünktchens vorstellen, von dessen Heraufsteigen am literarischen Horizont es die erste und damals jedenfalls nicht sonderlich beachtete Kunde gab. Je öfter ich das Papier in der letzten Zeit betrachtet habe, um so lebhafter hat es meine Erinnerungen geweckt an die Sturm- und Jubeltage, das gewaltige Ringen und die heißen Kämpfe des reich beseelten und strebenswachen Menschenlebens, das an jenem 3. August zu einer so wichtigen Stufe seiner Kraftentfaltung gediehen war. Manche dieser persönlichen Erinnerungen werden sich in die nachfolgenden Mittheilungen verwebt finden, viele andere aber müssen für dieses Mal hier ausgeschieden und einer weiteren Darlegung vorbehalten bleiben. Ein Leben wie dieses kann nach seinen verschiedenen Seiten hin nicht so kurz nach seinem Erlöschen, noch kann es erschöpfend im engen Rahmen einiger Journalspalten geschildert werden.


An einem Sonntagmorgen im Juli oder August 1846 trat der damals erst seit Kurzem nach Berlin übergesiedelte Otto Ruppius dort mit einem Fremden zu mir ein, den er als seinen Freud und thüringischen Heimathsgenossen Ernst Keil aus Leipzig vorstellte. Die aufrecht straffe, burschikos-militärische Haltung, die feste und bestimmte Redeweise, das ernste und doch so offene und frische Gesicht des schlanken jugendlichen Mannes mit dem vollen blonden Haupt- und Barthaar, dem zugeknöpften Rock und breitkrämpigen hellen Strohhut bildete einen eigenthümlich anziehenden Contrast zu der weich-geschmeidigen Beweglichkeit seines Begleiters. Und dieser Eindruck wurde bei mir noch gesteigert, als ich im Laufe des Gesprächs die Bestätigung erhielt, daß ich längst eine innere Berührung mit dem Fremden gehabt, ohne ihn jemals gesehen zu haben. Vor meinem frühzeitigen Abgange zur Universität hatte ich unter den in meinem elterlichen Hause gehaltenen Journalen auch regelmäßig die Zeitschrift „Wandelstern“ gelesen. in welcher die kleinen Erzählungen und die frisch, scharf, gewandt und kernhaft geschriebenen Miscellen Ernst Keil’s die Aufmerksamkeit des jungen Gymnasiasten beschäftigten. Oft hatte ich später dieser vielfach polemischen Feuilletons wieder gedacht, und ich weiß noch heut, daß sie anregend auf mich gewirkt haben. Jetzt sah ich zu meiner besonderen Freude diesen kecken Journalisten und schriftstellerischen Buchhändler vor mir. Nur auf einen einzigen Sonntag war er nach Berlin gekommen, und es zeugt für das Ansehen, dessen er sich bereits erfreute, daß er von einer hervorragenden buchhändlerischen Firma eigens dorthin berufen war, um in Bezug auf ein projectirtes großes Verlagsunternehmen mündlich seinen Rath zu ertheilen.

Da überdies einige meiner nächsten Bekannten aus den Kreisen der jungen Literatur seit Jahren gleichfalls zu seinen Freunden gehörten, hatten sich bald genügende Beziehungspunkte zwischen uns gefunden. Wohl ein paar Stunden lang spazierten wir am Nachmittag im bunten Sonntagsgetümmel durch die sehenswürdigsten Straßen der Hauptstadt, und noch erinnere ich mich z. B. genau, mit welcher herzlichen Wärme er mir von dem Glücke seiner jungen Ehe erzählte. Ebenso ausführlich sprach er auch von seiner neuerrichteten Firma und namentlich von dem Programm einer soeben begründeten Zeitschrift, verhehlte aber in seiner Offenheit nicht, daß sein Anfang geschäftlich auf einem wenig gesicherten Boden ruhe, daß er für die Verwirklichung seiner Pläne einzig und allein auf seinen Kopf, seine Arbeits- und Unternehmungskraft angewiesen sei. In der Nähe des Bahnhofes hatten sich die anderen Bekannten zu einer kleinen Abschiedsfeier eingefunden. Die Stimmung der Zeit war ernst und ahnungsvoll, eine tiefe Erregung ging durch die Gemüther der geistig bewegten Sphären. Wenn damals Männer dieser Art beisammen waren und von den herabgedrückten Zuständen, den traurigen politischen Verhältnissen im Vaterlande sprachen, verstummte der Ton heiterer Geselligkeit und es flammte bald ein Feuer verhaltener Entrüstung und Kampfeslust aus den Augen und Worten der Alten und Jungen. Auch in jener Abendstunde drehte sich die Unterhaltung um diese großen Fragen. Keil sagte wenig, aber es klang entschieden und hoffnungsvoll. Wie ein aufrichtender und erfrischender Lichtblick war die schnell vorüberziehende Gestalt des sympathischen Mannes in der heißen Unruhe jenes Berliner Kreises erschienen. Aus Allem, was man von ihm sah und hörte, war auf eine energisch aufstrebende Kraft zu schließen, die mit natürlicher Wärme des Herzens, mit gebildetem und ritterlichem Sinne damals schon so viel besonnene und vorsichtige Klugheit, so viel praktisches Geschick im Angreifen der Dinge verband, daß kein sonderlicher Scharfblick dazu gehörte, ihm eine nicht bedeutungslose Zukunft vorauszusagen. Bei der Abreise bekräftigten feste Handschläge eine Verbindung für das ganze Leben. In einem Paketchen hatte er mir auch die zwei allerersten Artikel seines jungen Verlags zurückgelassen. Es waren dies zwei Broschüren „Die Jesuitenpest“ und „Die Kartoffelseuche“. So verschieden die Gegenstände sind, welche die beiden Schriften behandeln, prägen sie doch für unser heutiges Urtheil eine Hauptrichtung aus, welche ihr Verleger bis zu seinem Ende mit dem wachsamsten Eifer verfolgt hat: den Kampf für das Volkswohl gegen schädliche Uebel auf geistig-sittlichem, wie auf materiellem Gebiete.


Die obigen kleinen Bilder haben uns den Mann auf bereits von ihm erklommenen Höhepunkten seiner Laufbahn gezeigt. Die äußeren Erfolge, welche er auf diesem Wege gewonnen hat, sind aller Welt bekannt und in den verschiedensten Tonarten des Wohlwollens und der Mißgunst zur Genüge besprochen worden. Für unsere Würdigung seiner Persönlichkeit kommt jedoch gerade dieser Wandel der Umstände nur wenig in Betracht. Denn all jenes sogenannte „Glück“, das ihm für seine Person zugefallen, würde ihn doch höchstens in die lange Reihe der „selbstgemachten“ Industriemänner stellen, die in moralischen Schriften als aufmunternde Beispiele vorgeführt werden, wie Einer ein armer Knabe und Jüngling sein und es durch Fleiß, Bravheit und Tüchtigkeit doch zu großem Besitze und hohem Ansehen bringen kann. So allerdings wird auch das Emporsteigen Keil’s von der immer selbstgewissen Plattheit spießbürgerlicher Urtheilsweise aufgefaßt, aber so hatte sich in der Wirklichkeit dieser Aufschwung nicht gemacht. Wo den Verhältnissen, unter welchen derselbe sich vollzog, ein irgend tieferer Einblick gewidmet wird, da besteht kein Zweifel, daß er als ein geschichtlich denkwürdiges und in seiner Art einzig dastehendes Phänomen bezeichnet werden muß. Eine derartige Bedeutung aber können literarische Bestrebungen niemals als blos kaufmännische Speculationen, sondern nur dadurch erhalten, daß sie vorwiegend von innerlichen Mächten bestimmt und getragen, aus idealen Keimen entsprossen sind und aus dem Safte solcher edelgearteten Wurzeln auch fort und fort alle Beseelung, alle Wärme und Triebkraft ihres weiteren Lebens empfangen. In diesem einfachen Umstande lag zum nicht geringen Theile das Geheimniß des Keil’schen „Glückes“. Wenn Keil seinem Verlage die für ihn charakteristisch gebliebene volksthümlich freisinnige und demokratische Farbe gab, so that er das nicht zufällig oder um buchhändlerisch eine Specialität zu pflegen, die übrigens damals nur Gefahr und wenig Gewinn versprach. Thatsache ist es im Gegentheil, daß er von vornherein seine ganze Thätigkeit in den Dienst der Volkserweckung und der liberalen Forderungen stellte, weil diese ihm selber im Blute lagen, weil er von vornherein selber ein begeisterter Anhänger der auf Neugestaltung der öffentlichen Verhältnisse, auf Befreiung von Druck und Willkür gerichteten Zeitbewegung gewesen ist.

Hier aber trat, im Unterschiede von ähnlichen Absichten, das Merkwürdige der Erscheinung zu Tage. Während unsere mehr als hundertjährige Freiheitsbewegung trotz ihrer gewaltigen Fortschritte sich bis heute fast überall noch in der ungesicherten Lage eines ringenden Martyriums befindet, haben ihre Kämpfe in dem Wirken Keil’s allmählich die Merkmale des Leidens abgestreift

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_570.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)