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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Es ist schön hier,“ sagte der Fremde, „so friedlich und weltabgeschieden,“ und dabei hob er ihr das entfallene Garn auf. Sie hatte für diese Galanterie kein Verständniß, nahm es aus seiner Hand und ließ es in den Korb gleiten, ohne zu danken.

„Friedlich, ja, wenn man Frieden in der eigenen Brust hat – und den habe ich, Herr.“

„Ich wollte, Großmutter, denn das seid Ihr gewiß und deshalb darf ich Euch auch so nennen, ich könnte hier bei Euch bleiben und Euch Gesellschaft leisten in solch einsamen Morgenstunden.“

Sie fixirte ihn scharf, legte das Strickzeug hin und erwiderte:

„Ja, warum könnte das nicht sein? Ihr nehmt das obere Zimmer, das seit Jahren leer ist – wenn Ihr das wollt.“

Er blickte freudig überrascht auf, „Ihr wollt mich als Miethsmann, Großmutter? Topp, sage ich, es gilt.“

„Wenn ich’s sage, ist’s Ernst. Mein Sohn hätte zwar ein Wort mit drein zu reden, aber er thut’s nicht; wenn ich etwas gut finde, so ist er’s zufrieden. Und für das Kind ist jede Ersparniß ein Segen; die Zeiten sind jetzt schlecht. Wollt Ihr gleich dableiben?“

„So ohne Sack und Pack, Großmutter?“ lachte er. „Wie harmlos und gutdenkend man hier noch ist! Ich muß mir mein Hab und Gut selber auf der Post einfordern.“

„Thut’s,“ versetzte sie, weiterstrickend, „und seht, dort ist mein Sohn, der Gottlieb.“

Ein etwas gebückt gehender Mann kam näher, nahm die kurze Pfeife aus dem Munde, die Mütze vom weißen Haupte und grüßte.

„Wen ich hier habe, Gottlieb, räthst Du nicht – einen Miethsmann für das obere Stübchen neben Deinem. Wir sind eins geworden; es gefällt ihm hier.“

Der Ankommende blickte nicht einmal verwundert. „Was Ihr thut, Mutter, ist immer recht. Es ist aber rauh und kalt bei uns, Herr, und einsam für Leute, die aus dem Lande kommen.“

„Sage mir nichts gegen den Harz, Gottlieb! Du bist doch ein echter Harzer und hast Deine Heimath lieb.“

„Ob ich’s bin!“ versetzte der Alte; „was mir nur leid thut, ist, daß ich habe Schicht machen müssen. Aber wenn der Sinn auch noch wollte, die Hand zittert schon lange, und der Fuß ist nicht mehr sicher und die Augen, ja, es fehlt an allem, was ein tüchtiger Bergmann braucht.“

„Setzt Euch dahin!“ sagte die Großmutter, vertraulich ihren neuen Miethsmann am Aermel zupfend, „ich gehe hinein.“

„Sie waren Bergmann?“ fragte der Graue und ließ sich gehorsam auf dem Sitze der alten Frau nieder.

„Viele Jahre – unsere Vorväter und Väter waren’s, und wir kannten das nicht besser und wollten’s auch nicht anders haben. Wir sind dazu geboren und von Gott hier auf die Berge gesetzt, um aus ihrer Tiefe das heraufzuholen, was er dort versteckt hat. Es ist, damit der Mensch fleißig sein soll, daß er nicht alles oben auf der Erde findet – es ist weislich eingerichtet.“

„Und Eure Söhne werden, was die Eltern waren – ist’s nicht so, Freund?“

Ein Seufzer entfloh den Lippen des greisen Mannes, und er schüttelte traurig den Kopf.

„Doch wohl nicht, Herr! Die Zeiten sind anders. Der Bergbau wird zurückgehen. Warum? Nun, das erzähle ich Euch wohl noch ein andermal, wenn ich Euch hinausgeführt habe an die Gruben und Ihr einen Begriff bekommen habt von dem Leben und Treiben der Bergleute. Es hat noch seine Eigenthümlichkeiten bei uns von Alters her, und die sind schön, und wir ehren sie, weil unsere Väter es thaten. Wenn ich einmal die Augen schließe, hinterlasse ich keinen Sohn, der mit meinem Werkzeuge einfährt.“ Er klopfte seine Pfeife an der Mauer aus und setzte dann noch hinzu: „Aber es thut mir nicht mehr weh, daß er vor mir ging, weil die Welt anders wird.“

„Man sagt,“ fiel der Fremde ein, „daß Ihr Harzer ein ganz besonderes Völkchen seid, bieder und brav, hart und doch stets lustig.“

„Ja, ja,“ schmunzelte der Alte, „man kann uns nichts Schlechtes draußen im Lande nachsagen. Seht, täglich umgeben uns die Gefahren; es steigt Niemand hinab in die Erde, ohne Gott seine Seele zu empfehlen! – denn vielleicht ist’s ihm bestimmt, nie mehr das Tageslicht zu erblicken. Ist er aber wieder droben, dann wirft er alle Sorgen hinter sich und ist lustig, und darin liegt auch eine Dankbezeugung gegen Den, welcher ihm das Leben erhielt. Im Lande haben sie uns auch stets gern gehabt, namentlich die Regierung. Nun, das hat sich auch ändern müssen, wie das oft so in der Welt ist. Wir haben von Alters her ein Sprüchwort über die im Lande und die Harzer, das sagt: ‚In dem Land die Ehre winkt, aus dem Harz der Thaler klingt‘ – aber das wird bald seine Bedeutung verlieren.“

„Vater,“ sagte da plötzlich eine weiche Stimme hinter dem Redenden, „der Ohm zu Buntenbock läßt Euch – –“ aber dann stockte dieselbe, denn der Alte war zur Seite getreten und gab so den Blick auf seinen Gast frei, und sie standen einander staunend Auge in Auge gegenüber, der Fremde und das schwarzhaarige Mädchen, welches ihm droben aus der Höhe so kurz geantwortet.

„Meine Tochter, Herr, ein gutes Kind!“

Der Fremde zog fast ehrerbietig den Hut; das blauäugige Mädchen nickte dankend; keins von Beiden erwähnte etwas von der früheren Begegnung.

„Wie sieht’s dort aus?“ fragte der Bergmann.

„Schlecht, Vater, der Ohm will Euch sehen, denn –“

„’S wird bald Schicht mit ihm sein,“ sagte er halb fragend, halb gewiß. „Ja, ja – will den Weg nicht lange aufschieben; wer weiß, wie viel Zeit ich noch habe.“

„Ich gehe zur Großmutter, Vater,“ sagte das Mädchen und ging.

Des Alten Pfeife dampfte stärker, und er versank in stille Träumerei. Der Fremde störte ihn nicht; die Aufmerksamkeit desselben war sichtlich abgelenkt, und er neigte das Haupt wie in’s Innere des Hauses lauschend. Nach einer Weile erhob er sich, „weil er das Grundstück ansehen wolle“, und schritt um das Häuschen herum, vergnügt vor sich hinlächelnd.

Hinter dem Hause lag das Gärtchen, hoch gegen den Berg hingestreckt, eine schmale Steintreppe führte aus dem engen Hofraume hinaus, und hatte man die erstiegen, so war man in gleicher Höhe mit dem oberen Stocke des kleinen Bergmannshauses. Herbstgewächse standen dort oben; nur ein ganz winziges Beet war der Anpflanzung von Blumen überlassen; ein Bündel Georginenstauden erhob sich daraus und streckte seine halbverwelkten Blumen stolz empor, und bescheidene Reseda bedeckte den Boden. Zu letzterer hatte sich das schöne Mädchen herabgebeugt, um zu pflücken. Sie vernahm den Schritt des Kommenden nicht, und so blieb ihm Muße, sie ungestört in ihrer graziösen Stellung zu betrachten. Sie hatte das schwarze, unkleidsame Tuch vom Kopfe genommen und zeigte dadurch den Reichthum der glänzend schwarzen Flechten, welche sie wie einen Kranz um das Haupt gelegt trug. Ihr Anzug bestand aus einem dunkelwollenen Kleide der einfachsten Art: eine blaue Leinenschürze schützte dasselbe bei den häuslichen Geschäften. Die Füße steckten in groben Schuhen, aber bereits auf der Höhe hatte der Fremde bemerkt, daß diese Füße außerordentlich klein waren im Verhältniß zu ihrer hohen, schlanken Gestalt.

„Wird es ein Strauß für die Großmutter?“ fragte der neue Miethsmann.

Ohne zu erschrecken, schaute das Mädchen empor, maß ihn ruhig mit den kalten, blauen Augen und erwiderte ebenso:

„Nein.“

„Und darf man nicht erfahren, für wen Sie sich Ihrer letzten Lieblinge berauben?“

Eine kleine Falte zeigte sich zwischen den schöngeschwungenen Brauen des Mädchens, aber sie entgegnete doch:

„Für den Besuch, welchen die Großmutter erwartet.“

Er lächelte, indem er sagte:

„So soll er zum Willkommen auf dem oberen Zimmer stehen?“

Erstaunt sah sie auf.

„Ja.“

„Dann – dann,“ er dehnte seine Worte seltsam, „ist er für mich.“

„Für Sie?“

Er weidete sich eine Secunde lang an ihrer Verwunderung, ehe er hinzusetzte: „Noch heute räumt mir die Großmutter das Stübchen ein – aber womit habe ich das böse Gesicht verdient? Bin ich Ihnen unwillkommen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_587.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2016)