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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

denn, daß er den Befehl zum Feuern gegeben hätte. Die Behörden, deren übereinstimmende Rathlosigkeit, Schwäche und Unüberlegtheit die furchtbare Katastrophe in erster Linie verschuldet hatten, verloren nun vollends den Kopf. Der Bürgermeister Groß, ein pedantischer alter Bureaukrat, glaubte die Erregung durch einen seiner vorsündfluthlichen Erlasse bekämpfen zu können, in welchem er von der Einsperrung aller Lehrlinge und Kinder (!) von acht Uhr Abends an, von dem Verbote „aller größeren Gruppen“ und Einsetzung der Polizeistunde auf neun Uhr Abends die Rückkehr paradiesischer Ruhe erhoffte. Die Militärbehörde, erschrocken über ihren leichten blutigen Sieg, überließ die Stadt völlig ihrem Schicksale, indem sie alle Truppen in der Caserne consignirte.

Seit dem Nachmittage des 13. August tagte im Schützenhause zu Tausenden eine erregte Versammlung von Bürgern, Studenten, Einwohnern jeden Standes. Immer leidenschaftlicher wurden die Reden, die Anträge. Was aus der Ruhe und Zukunft der Stadt werden würde, wenn diese durch glühende Reden und leidenschaftliche Beschlüsse erregten Massen sich über die Stadt ergossen, zum Rathhause eilten, um dort das Gebot ihres Willens zu erzwingen, vermochte Niemand vorherzusagen! Seit einst der fliehende Napoleon seinen Myrmidonen den Befehl hinterlassen, daß den Siegern der Völkerschlacht bei ihrem Einzuge in die bezwungene Stadt nur ein Aschenhaufe zu überliefern sei, hatte die Stadt in keiner schwereren Gefahr geschwebt.

Da trat Robert Blum in die wilderregte Versammlung. Er war am 12. und 13. August in Geschäften in Dresden gewesen – als er am Nachmittage des dreizehnten August in Leipzig ankam, erfuhr er schon am Bahnhofe die Schreckenskunde des Geschehenen. Er eilte sofort in das Schützenhaus. Plötzlich beherrschte seine tiefe, klare, wohlbekannte Stimme die zügellosen Massen. „Verlaßt den Boden des Gesetzes nicht!“ waren die ersten, die letzten Worte seiner ergreifenden Rede. „Blickt mit Vertrauen auf die Behörden, die unseren gerechten Beschwerden Abhülfe verschaffen werden!“, das war der Kern dessen, was er sagte. Ebenso schnell als treffend hatte er erkannt, was zu fordern, zu erreichen sei. Er beantragte bei der Versammlung, die über die Ziele ihres Thuns so rathlos war, wie die Behörden, daß eine Deputation der Versammlung sich auf das Rathhaus begebe, gefolgt von den Massen der Versammlung. Vom Rathe solle gefordert werden: Consignation der Schützen, feierliches Begräbniß der Erschossenen ohne Betheiligung von Militär, strenge Untersuchung und Bestrafung der Urheber der blutigen That.

Jubelnd begrüßte und genehmigte die Versammlung diese Vorschläge. Ruhig und lautlos folgten die Tausende dem Führer. Den weiten Marktplatz füllten sie, als Blum an der Spitze der Deputation auf das Rathhaus eilte und ihnen das Gebot zurückließ: „Wartet ruhig, bis wir wiederkommen!“ Nicht einmal der volle Rath ist oben beisammen. Nur der unglückselige Bürgermeister und einige Räthe. Trotzdem wird im Namen des Stadtrathes Alles bewilligt, was vom Schützenhaus gefordert wird. Ja, um das Maß der Erniedrigung und Würdelosigkeit der vollziehenden Behörde der Stadtgemeinde voll zu machen, verkündet nicht der Bürgermeister oder einer der Räthe diese Beschlüsse, sondern Blum tritt, umgeben von der Deputation und allen anwesenden Räthen auf den Balcon des Rathhauses und verkündet im Namen des Rathes die Annahme der gefaßten Beschlüsse. Noch heute trifft man vielfach einen Holzschnitt, welcher Blum inmitten dieser denkwürdigen Scene darstellt. Die Rathhausuhr zeigt auf vier Uhr. Unten jubelt die Menge.

Mit derselben Bereitwilligkeit ging die Polizei- und Regierungsbehörde, selbst der Militärcommandant auf die Forderungen der Deputation ein, deren Sprecher Robert Blum war. Der Militärcommandant ließ sich sogar dazu herbei, die gemeinen Soldaten – also nicht einmal die Officiere – zu rechtfertigen, daß sie auf höheren Befehl geschossen hätten.[1] Kurz, es herrschte eine Anarchie ohne Gleichen. Wohl der Stadt, daß in solcher Stunde ein so maßvoller Mann wie Robert Blum der Sprecher der Wünsche der Bürger, der Rathgeber ihrer Beschlüsse war! Auch am Grabe der Gefallenen sprach er in maßvoller, überzeugender Weise unter dem Beifall Aller.

Aber rasch wandelte sich das Bild. Auf die rührenden Ergebenheitsadressen der Stadt, welche noch am Nachmittag des 13. August Rath und Stadtverordnete beschlossen und vor die Stufen des Thrones entsendet hatten, und in denen auch die loyale und selbstverständliche Forderung einer strengen Untersuchung ausgesprochen war, entsandte die Regierung als Special-Commissar den Geheimen Rath von Langenn, der später nur durch seinen berufenen, heute noch im Gedächtniß der Mitlebenden unvergessenen „Schiedsspruch“, der das mecklenburgische Verfassungsrecht brach, eine noch traurigere Berühmtheit erlangte, als durch die Mission, die er nun in Leipzig vollzog. Er kam in Leipzig an mit der schroffen Erklärung, daß die tiefgebeugte, lediglich Gerechtigkeit heischende Stadt in Allem nur zu geben, nichts zu fordern oder zu erwarten habe. Und er hat dieses Programm treulich durchgeführt. Ein undurchdringliches Geheimniß breitet sich für die große Mehrzahl des Volkes noch heute über das Verhalten, die Namen der Schuldigen. Nur für diejenigen, die allen Quellen der Zeit nachzugehen in der Lage sind, ist der Schleier gelüftet. Sie müssen übereinstimmen in dem Urtheil, daß das Blut der Gefallenen nutzlos vergossen wurde.

Bald folgten „Erörterungen“ gegen Blum und alle andern Bürger, die sich um die Aufrechterhaltung der Ordnung in den erregten Tagen Verdienste erworben hatten. Diese „Erörterungen“ wurden zwar eingestellt, da sie nichts gegen den verhaßten Volksmann ergaben. Aber als Blum im November 1847 zum Stadtrath gewählt wurde, „wünschte“ die Leipziger Kreisdirection mit großer Eile von dem Vereinigten Criminalamt „von demjenigen näher unterrichtet zu sein, was gegen den ... Robert Blum allhier theils in Bezug auf die Ereignisse im August 1845, theils sonst etwa bei dem Vereinigten Criminalamte allhier vorgekommen ist, und es erhält daher Letzteres andurch Veranlassung die darüber ergangenen Acten baldmöglichst anher einzureichen.“ Selbstverständlich wurde im weiteren Verlaufe Blum als Stadtrath nicht bestätigt.

Um so treuer stand die Bürgerschaft seit den bewegten Augusttagen zu ihrem Sprecher. Zu seinem Geburtstage 1845 schon ward ihm eine von Tausenden von Unterschriften bedeckte Adresse überreicht, in welcher ihm der allgemeine Dank ausgesprochen wurde. Eine große Anzahl gleichartiger Adressen traf bei Blum auch aus den entlegensten Theilen Deutschlands ein. Unter diesen nenne ich blos die mir vorliegenden aus Mannheim, Heidelberg und Schwetzingen, weil sie die Original-Unterschriften aller badischen Berühmtheiten der damaligen Zeit tragen. Wir finden hier in traulichem Verein die Männer, die sich später so bitter befehdeten: Karl Mathy, C. Th. Welcker, Dr. Paulus, Itzstein, Hecker, Struve, von Soiron, Bassermann, den alten Winter, Hergenhahn, Thilo und Andere. – Die Stadt Leipzig aber wählte Blum am Ausgang des Jahres 1845 zum Stadtverordneten.

Die Augustereignisse hatten den tiefen Zwiespalt, der zwischen der damaligen Regierungsmethode und den gerechtesten Wünschen des Volkes bestand, zum ersten Male Tausenden offenbart, ihn als unheilbar erscheinen lassen. Mit Neujahr 1846 wurden auch die „Vaterlandsblätter“, das einflußreichste Organ der liberalen Partei in Sachsen, Robert Blum’s insbesondere, unterdrückt. Rasch entschlossen ersetzte Blum das unterdrückte Blatt durch die „Constiutionelle Staatsbürgerzeitung“ unter Rüder’s Redaction. Daneben setzte er im Taschenbuch „Vorwärts“, in einem jedesmal zu Weihnachten ausgegebenen „Weihnachtsbaum“ und vor Allem auch in dem von Ernst Keil begründeten „Leuchtthurm“, welcher nach einander die Portraits aller Volksmänner in trefflichen Abbildungen brachte, seine geschickte und unermüdliche Einwirkung auf die Massen fort. Denselben Zweck beabsichtigte und erreichte mit ungewöhnlichem Erfolg der von Blum gegründete Leipziger Redeübungsverein. Ein furchtbares wirthschaftliches Unglück, die Mißernte von 1846, steigerte die allgemeine Unzufriedenheit in’s Ungeheure und streute die Saat aus, welche Sturm ernten läßt. Mit gleichem Ungeschick unternahmen Regierungen und Volksmänner die Heilung der schweren Krankheit. Roscher’s epochemachende Schrift über Korntheuerung und Kornpolitik verhallte in der allgemeinen Erregung.

Immer unhaltbarer wurde für Blum bei einer so aufreibenden unermüdlichen politischen Thätigkeit seine Stellung beim Leipziger

  1. Karl Biedermann. „Unsere Gegenwart und Zukunft“, I. Band. Leipzig, Gust. Mayer, 1846. „Sächsische Zustände“ S. 340.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_606.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)