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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Herrn Oberst und ebenso gegen seine hochblonde Frau Gemahlin, die er Gott weiß in welchem Winkel Englands oder Schottlands aufgelesen hat – sie ist ja wohl eine Miß Smith oder Newman? Nun, so etwas Obscures war es. Nein, Cornelie, das ist einmal wieder eine Deiner ganz grundlosen, hervorgesuchten Geschichten, mit denen Du Dich und Andere ängstigst.“

Es klang etwas Ironisches aus ihrer Rede, wie immer, wenn die stolze Frau das Wort an ihre Schwiegertochter richtete.

„Ich meinte nur,“ erwiderte diese sanft, „daß man durchaus nicht mit Bestimmtheit – –“ sie brach ab. „Das Leben bringt schon so viele Täuschungen mit sich, daß man wirklich –“

„Army wird es schon verstehen,“ fiel ihr die alte Dame gereizt in die Rede, „der alten grämlichen Tante das Herz so zu wenden, daß ihm das wahrhaft fürstliche Vermögen zufällt.“

„Wie meinst Du das, Großmama?“ ertönte plötzlich die klare Stimme des jungen Mannes. „Du verlangst doch hoffentlich nicht, daß ich – erbschleichen soll, wie man das so nennt? Ich werde ihr höflich begegnen, wie es einem Cavalier einer Dame gegenüber zukommt, aber das ist auch Alles – scherwenzeln kann ich nicht; was sie mir aus freien Stücken nicht geben will, mag sie behalten!“

Die Großmntter richtete sich erstaunt aus ihrer nachlässigen Stellung im Sessel auf, und ihre Augen sahen funkelnd vor Entrüstung über diese unumwundene Erklärung in die des Enkelsohnes. „Sollte man das von so einem jungen Grünschnabel für möglich halten?“ fragte sie mit einem Tone, in den sie sich bemühte, etwas Scherzhaftes zu legen, aber ihre Stimme bebte vor Aerger. „He, Army! Hast Du den Respect mit dem Cadettenrock ausgezogen und meinst, weil Du seit acht Tagen die Epaulettes trägst, Du könntest Deiner Großmutter gute Lehren geben und ihren guten Rath verschmähen? Du bist eben noch zu jung, um die Verhältnisse, in die Du jetzt eintreten wirst, richtig zu beurtheilen. Ist es Erbschleichen, wenn man das Herz einer alten einsamen Verwandten zu gewinnen sucht?“

„Ja, Großmama,“ sagte Army fest, und kein Zug veränderte sich in seinem hübschen Gesichte. „Ja, es ist Erbschleichen, sobald man mit dem Herzen eines Menschen auch sein Geld zu gewinnen sucht –“

„Das man äußerst nöthig hat, wenn man nicht zeitlebens am Hungertuche nagen und in einem Schloß ohne Herrschaft und Einkünfte darben will,“ fiel die alte Baronin zornig ein und rückte ein Stück mit ihrem Sessel zurück.

„Das gebe ich zu, Großmama, ich würde auch den schroffen Ausspruch nie gethan haben, wenn nicht noch eine Erbin da wäre; aber weil Blanka –“

„Schon wieder diese Blanka! Kennst Du sie überhaupt? Weißt Du, ob sie noch lebt, das kränkliche Geschöpf? Wie fatal es ist, diese Kinderweisheit, die stark nach der Confirmationsstunde schmeckt, auskramen zu hören! Ich wünsche dringend, Army, daß Du zur Stontheim reisest; ich dulde keinen Widerspruch; noch heute geht der Brief ab, der Dich anmeldet.“

„Gewiß, Großmama, ich werde reisen,“ sagte Army mit kalter Höflichkeit, „sobald Du es wünschest.“

Sie erhob sich; ihr stolzes Gesicht war von einer dunklen Röthe überflammt, und um den Mund lag ein eigenthümlich hartnäckiger Zug; nie war die Aehnlichkeit zwischen Großmutter und Enkel auffallender gewesen. Mit blitzenden Augen und fest auf einander gepreßten Lippen, in schroffer Haltung, so standen sie sich gegenüber, Keines dem Andern weichend.

„Du reisest morgen Nachmittag mit der Fünf-Uhr-Post,“ sagte die Alte kalt und bestimmt, und ohne die zustimmende Verbeugung des jungen Mannes abzuwarten, grüßte sie die bestürzte Schwiegertochter mit einer leisen Neigung des Kopfes und schritt hinaus.

Eine peinliche Stille herrschte, als sich die Flügeltüren hinter der hohen Gestalt der alten Baronin geschlossen hatten. Der es gewagt hatte, der stolzen Frau zu widersprechen, deren Wort Befehl für Alle im Hause war, er stand in so ruhiger Haltung am Kamin und schaute so gleichmütig in die Flammen, als sei nichts passirt. Nelly blickte den Bruder mit verwunderten Augen an; er war nicht mehr er selbst. Niemand sprach ein Wort. Nach einer Weile trat die alte Sanna in’s Zimmer; sie hielt einen Brief in der Hand und fragte:

„Haben die Frau Baronin aus dem Dorfe etwas mitzubringen? Der Heinrich muß zur Post; es schneit just so arg, und vielleicht wär’s mit Eins abzumachen.“

Die Baronin verneinte, und die Alte verschwand eilig. Army hatte sich indessen an den Tisch gesetzt und blätterte in dem Buche, das er vorhin aus den Händen der Großmutter genommen.

„Da finde ich etwas von unserer schönen Agnese Mechthilde droben im Ahnensaal,“ rief er freudig; „komm einmal her, Schwesterchen! Das ist interessant – höre nur!“

Das junge Mädchen trat zu ihm heran, bog sich über die Lehne seines Stuhles und sah mit neugierigen Augen auf das vergilbte und mit schwer zu entziffernder Schrift bedeckte Papier. Er las, mühsam buchstabirend:

„‚An dem 30. Novembris von Anno 1694 ist allhier zu Schloß Derenberg die Leiche der Hochgeborenen Frauen Agnese Mechthilde Baronin auf und zu Derenberg, Schüttenfeld und Braunsbach, so eine geborene Freiin Krobitz aus dem Hause Trauen gewesen, in dem hiesigen Erbbegräbniß solenniter begraben, und zwar alles nach ihrer eigenhändig bei Lebezeiten gemachten Verordnung. Und hat gestanden die hohe Leiche in dem Saal neben der Kapellen, und hat den Sarg gedecket erstlich ein groß weisses und über diesem ein schwarz sammetenes Leichentuch mit darauf von Silbern Toile genähetem Kreuz; obendrauf lag ein silbernes vergüldetes Crucifix, und waren auf jeder Seite acht kleinere, zu Häupten und Füssen aber größere und auf orange farben Atlas reichgestickte doppelte Wappen, so das der Derenbergs wie der Trauen, geheftet. Den Sarg trugen Die von Adel in die Kapellen, so in der Nachbarschaft seßhaft und gar oft hieselbst gebankettiret hatten. Zunächst dahinter gingen die sechs Söhne der Verstorbenen, sodann der Wittwer, so sehr betrübet war.‘“

„Das ist langweilig,“ unterbrach sich der junge Officier, „aber hier – höre weiter!“

„Und ist die Frauen Agnese Mechthilde, Baronin auf und zu Derenberg eine gar stolze und kluge Fraue gewesen, so ihrem Manne wacker beigestanden in allen Fährden. Sie hat eine lange feine Gestalt gehabt und rothes Haar, so eigentlich kein gut Zeichen sein soll, indem es in einem alten Sprüchlein heißet:

‚Frawen undt auch pferdt,
Sindt sie schön, so sindt sie wehrd,
Sindt sie aber ohne Tück,
so ist’s fürwar ein großes glück;
Darum nimb war, wasz für Haar!
Ist solches roth, hatz groß Gefahr.‘

Doch hat sie sonsten nicht mehr Tück gehabt als andere Weibsbilder auch, und ist eine feine schöne Fraue gewesen, und hat sich ihretwegen ein Cavalier, so ihr in Liebe zugethan und sie ihn nicht hat erhöret, das Leben aus Desperation selbsten genommen, was ihm Gott verzeihen möge, und hat sie ihn in seinem Blute schwimmend vor der Thür ihres Gemaches gefunden, was sie also erschrecket, daß sie zur Stund ist in ein hitzig Fieber verfallen, also daß man gemeinet hat, sie werde elendiglich ihr Leben aufgeben. Der allgütige Gott hat ihr aber eine fröhliche Genesung geschenket, doch soll sie nie wieder gelachet haben nachhero, und ist der Cavalier, so ein Junker von Streitwitz gewesen, im Schloßgarten allhier begraben.“

„Was sagst Du dazu, Mamachen?“ rief Army ganz erregt, „ich glaub’s schon, daß sich ihretwegen Einer das Leben nehmen konnte; es ist ein wundervolles Gesicht. Ich wünschte, ich könnte mir das Bild mitnehmen und in meine Lieutenantsstube hängen; sie muß ein reizendes Geschöpf gewesen sein, diese Agnese Mechthilde.“

„Ei, Army!“ lächelte die Baronin, „ich habe ja noch gar nicht gewußt, daß Deine erste Schwärmerei einer Todten gilt. Nun es ist wenigstens nicht gefährlich – was meinst Du, Nelly?“

Nelly erwiderte nichts; die heitere Stimmung wollte in den kleinen Kreis nicht wieder einkehren; das junge Mädchen saß stumm über ihre Arbeit gebeugt und dachte daran, was sie Lieschen zur Entschuldigung sagen könnte; Army vertiefte sich wieder in die Lectüre des alten Buches, und um den Mund der Baronin war das flüchtige Lächeln verschwunden. Dann und wann fuhr sie mit der Hand über die Augen und seufzte tief auf, und jedesmal, wenn ein so banger Seufzer das Ohr ihrer Kinder traf, wandten sie gleichzeitig den Kopf und ein paar traurige Blicke ruhten einen Augenblick fragend auf dem bekümmerten Gesichte der Mutter; dann nahm Jedes seine Beschäftigung wieder auf.

„Die gnädige Frau Baronin wünschen den Thee auf ihrem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_651.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2016)