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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

als sie bemerkte, wie sein Gesicht sich veränderte und ein trauriger Zug darüber flog, „mir ist heute so bang um’s Herz – geh nicht fort!“ Sie lächelte schon wieder zu ihm auf. „Sieh, Erving, ich freue mich auch, wenn sie einen lieben Mann bekommt, er muß aber auch ebenso gut und so ehrenwerth sein, wie Du –“

Er sah ihr innig in die Augen. „Der Allerbeste muß es sein,“ bestätigte er, „und Du sollst entscheiden.“

„Erving,“ sagte sie dann nachdenklich und schaute der schlanken Gestalt entgegen, die da oben den Gartenweg hinaufschritt mit der Schürze voll Blumen. „Erving, ich muß jetzt einmal Acht haben auf Deinen Selldorf da drüben.“

„Thu das, Minnachen!“ erwiderte er und ließ ihre Hand frei, „Du wirst ein braves Gemüth kennen lernen.“ Und damit küßte er sie freundlich auf die Stirn und ließ sie allein mit ihren Träumen. Die duftige Arbeit glitt von ihrem Schooß; ihre Gedanken schweiften in eine ferne Zukunft, und allmählich legte sich ein weiches, glückliches Lächeln um ihren Mund. –

Und so war nun der erste Pfingstag angebrochen; vor der Hausthür der Mühle standen zwei kerzengerade hellgrüne Maibäumchen, und von den obersten Zweigen wehten rothe Bänder im warmen Frühlingswinde; die Tauben saßen alle der Reihe nach auf dem Dache und gurrten und putzten sich, und der Peter, der so stolz von seinem Bock aus die muthigen Braunen regierte, hatte ebenfalls ein rothes Band an die Peitsche gebunden. An den Seiten des bequemen offenen Wagens steckten frische Birkenzweige, und nun erklang von da unten aus dem Dörfchen die Kirchenglocke, und die Mine – die Dörte mußte heut daheim bleiben und kochen – ging im schönsten Sonntagsstaat, das Gesangbuch in der Hand, am Wagen vorüber und nickte dem Peter verstohlen zu. Nun trat auch der Hausherr aus der Thür und hob seine Frau in den Wagen. Lieschen und die Muhme folgten hinterdrein. Erstere sah in ihrem duftigen weißen Kleide mit den blauen Schleifen hübscher denn je aus, und die Muhme prangte im schwarzen Seidenkleid; ihre Haube war heut mit Spitzen und blauen Bändern verziert und in der Hand hielt sie das Gesangbuch nebst Taschentuch und Sträußchen; auch Lieschen hatte ein paar Rosenknospen in der Hand.

Dörte schloß knixend die Wagenthür.

„Laß die Hühner nicht verbrennen,“ ermahnte die Muhme.

„Schon nicht!“ erwiderte jene, und fügte dann, das junge Mädchen anblickend, hinzu: „Beten’s für mich mit, Fräulein!“

Lieschen nickte. „Warum denn gerade ich?“ fragte sie lächelnd.

„O, weil der liebe Gott gewiß seine Freud’ an Ihnen hat,“ meinte Dörte.

Herr Erving lachte. „Na, Peter, vorwärts denn!“ und so rollte der Wagen dem Dorfe entgegen, und seine Insassen hatten genug zu thun, die vielen Grüße zu erwidern, die ihnen von allen Seiten zugerufen wurden. An des Herrn Pastors Hause flog der Liesel ein ganzer Blumenregen in den Schooß und die kleinen Trabanten versteckten sich kichernd hinter den Zaun, um dann, als der Wagen vorüber war, „Guten Morgen, Tante Lieschen, Tante Lieschen!“ hinterher zu rufen.

An der Kirchenthür stand Herr Selldorf; er erröthete über und über, als er Lieschen beim Austeigen die Hand bot und Herrn Erving um die Erlaubniß bat, mit in seinen Kirchenstand treten zu dürfen. Und so saß er denn während der Predigt neben ihr auf der Bank, denn die Muhme hatte mit den Eltern auf den vorderen Stühlen Platz genommen – Ehre dem Ehre gebührt! Frau Erving und die Frau Pastorin, die mit ihren beiden ältesten Jungen in dem Predigerstuhl saß, nickten einander verstohlen zu, und Herr Otto Selldorf, der sich in der kleinen Kirche umsah, in der sich die andächtige Gemeinde zahlreich versammelt hatte, meinte zu bemerken, daß Aller Augen auf seine reizende Nachbarin gerichtet seien. Diese aber saß da, den Kopf unter dem feinen Strohhütchen tief gesenkt, ihre kleinen Hände ruhten, in einander gefaltet, im Schooß und ihre Lippen bewegten sich leise; auch während der Predigt blieb ihr Blick gesenkt, und ihrem Nachbar war es gar einmal, als falle ganz rasch ein großer glänzender Tropfen auf das weiße Kleid. Aber nein, das war ja nicht möglich – was sollte wohl so ein junges liebreizendes Geschöpf für Grund haben zu weinen an einem so wundervollen Pfingsttage?

Und in der That, als der Herr Pastor den Segen gesprochen und die Gemeinde den Schlußgesang anstimmte, da hob sich ihr Blick, und in den blauen Augen glänzte es wieder ruhig und fröhlich auf.

Als sie heimwärts fuhren, freute sich Lieschen über den Sonnenschein und das bunte bewegte Leben auf der Landstraße. An der großen Linde mußte Peter halten und Lieschen stieg aus. „Nun grüß’ mir Nelly, Liesel!“ rief ihr die Muhme nach, und sie ging mit leichten Schritten vorwärts, den schattigen Weg entlang. Zwar fing ihr das Herz etwas an zu klopfen, als sie nun in die Lindenallee einbog; sie nahm den Hut ab und ging langsamer; dort aber trat schon das mächtige Portal hervor, und die beiden steinernen Bären schienen heute ganz besonders drohend die Tatzen zu erheben. Sie blieb stehen und preßte die Hand auf das klopfende Herz; am liebsten wäre sie umgekehrt, aber was sollte Nelly denken, wenn sie nicht einmal kam, Nelly, zu der sie sonst fast täglich gegangen? Sie könnte am Ende glauben, sie fürchte sich vor der fremden Cousine. Nein, nur vorwärts!

Sie schritt rasch dem Ausgange der Allee zu, blieb dann aber wieder stehen – vor Ueberraschung, denn nicht weit vor ihr auf dem Rasen, im Schatten der mächtigen alten Bäume, die den freien Platz vor dem Schlosse begrenzten, stand vor einer der Sandsteinbänke ein servirter Tisch, und davor saß die junge Baronin in einem der Lehnstühle, aber so, daß sie dem nahenden Mädchen den Rücken wandte; ihre Schwiegermutter hatte ihr gegenüber Platz genommen und las eifrig in einer Zeitung. Eine Anzahl Tassen und Couverts zeigte an, daß man offenbar den schönen Morgen hier im Freien gefrühstückt hatte. Lieschen wagte nicht weiter zu gehen. Die alte Dame hob die Augen und gewahrte das junge Mädchen; bei ihrem Anblick schrak sie zusammen, daß sie eine zierliche Tasse vom Tische stieß und diese auf der Steinbank klirrend zerbrach. Noch ehe Lieschen sich dem Tische nähern konnte, rief sie ihr heftig entgegen:

„Wie unpassend, uns so zu erschrecken!“

„Guten Morgen, Lieschen!“ sagte die Schwiegertochter; sie richtete sich im Sessel auf und reichte dem jungen Mädchen die Hand.

„Ich bitte um Verzeihung,“ wandte sich Lieschen an die alte Baronin, „ich war schon mehrere Minuten hier, ehe ich wagte mich bemerkbar zu machen, denn ich fürchtete zu stören.“ Es klang ruhig gegenüber den leidenschaftlichen Worten der alten Baronin. „Und,“ fuhr sie fort, „ich komme nur auf einige Augenblicke, um fröhliche Feiertage zu wünschen, wie ich es jedes Jahr gethan, und Nelly einmal zu sehen.“

„Setz’ Dich, Lieschen!“ bat die jüngere Baronin. „Nelly wird gleich hier sein; sie ist mit Blanka und Army ein wenig in den Park gegangen, und – da ist sie schon; ich höre sie sprechen.“

Die alte Dame zuckte ungeduldig die Schultern, als sich Lieschen ruhig auf die Sandsteinbank setzte und teilnehmend nach dem Ergehen der blassen Frau fragte, von deren Wangen das flüchtige Roth, welches die wenig artigen Worte ihrer Schwiegermutter darauf gemalt hatten, wieder verschwunden war.

Indessen kamen die Stimmen näher, und Lieschen unterschied deutlich das klangreiche tiefe Organ ihres einstigen Spielgefährten. Es überfiel sie ein erstickend heißes Gefühl und verwirrte einen Augenblick ihr ruhiges Denken, aber dann nahmen ihre Augen den Ausdruck des höchsten Erstaunens an, denn dort seitwärts an dem leeren Sandsteinbecken des Springbrunnens erblickte sie neben Army eine junge Dame, deren Erscheinung durch das Fremdartige, das ihr anhaftete, ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

War es denn eine erwachsene Dame oder nur ein Kind, das da so elfenhaft zierlich auf dem Pferde schwebte? Und jetzt rief sie mit süßer Stimme, aber mit der Betonung eines verzogenen Kindes:

„Laß los, Army, laß los! Ich will jetzt der Tante etwas allein vorreiten!“

Army trat zurück, und das Pferd begann im langsamen spanischen Tritt zu ihnen herüber zu schreiten; bei jeder Bewegung, die das Thier machte, flog das weiße spitzenbesetzte Kleid wie eine duftige Wolke um die zierliche Gestalt, die so sicher auf seinem Rücken saß; die Augen in dem blassen Gesicht waren gesenkt, über der Stirn aber flimmerte es goldig auf in dem heißen Sonnenschein und wallte auf dem Rücken hinunter – üppiges rothes wundervolles Frauenhaar.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_722.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2016)