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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

und sah in die finstere Nacht hinaus; sie trat zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter, „Army,“ sagte sie leise; er wandte sich und blickte sie fragend an. Sie sprach kein Wort mehr, aber ihre Augen ruhten ängstlich forschend auf dem schönen, stolzen Gesicht, als er ihre Hand an den Mund zog.

„Sei ruhig, Mama!“ sagte er hastig, und seine Stimme klang nicht ganz so fest wie sonst, „sie ist ein verzogenes Kind, ein sehr verzogenes Kind, aber sie hat mich lieb – gewiß, ich weiß es, und sie wird sich ändern; sieh, es that ihr schon wieder leid, daß sie so heftig war.“

Die Mutter unterdrückte die hervorquellenden Thränen und strich leise über seine Stirn. „Gute Nacht, Army,“ flüsterte sie und wandte sich rasch ab.

„Gute Nacht, Mama,“ gab er zurück und küßte ihr schmeichelnd den Mund, „hab keine Sorge um mich!“ – –

Wohl vierzehn Tage waren vergangen seit jener Pfingstnacht. Sturm und Regen hatten damals all die Blüthenfülle der Bäume und Sträucher herabgeweht und sie wie frischen Schnee auf die Erde gestreut, aber dafür brachen jetzt in Müllers Garten die Rosen auf in schönster Pracht, und die Linden der alten Allee im Schloßpark standen in vollster Blüthe. Gar oft war Lieschen in der letzten Zeit diesen Weg gegangen, den sie so bald nicht wieder zu betreten gedacht hatte, war doch Nelly ernsthaft erkrankt, und der alte Heinrich hatte auf ihren Wunsch die Freundin an das Lager der Kranken holen müssen. Nun hatte Lieschen stundenlang dagesessen in dem hohen, dämmerigen Gemach und die kleine, fieberheiße Hand in der ihrigen gehalten.

Die Botschaft, welche sie auf das Schloß rief, war in der Mühle gerade in den „Kribbel-Krabbel“ gefallen, von dem die Muhme gesprochen hatte. Pastors mit den Kindern und Oberförsters waren richtig erschienen, und Lieschen hatte alle Sinne zusammen nehmen müssen, um in alter Weise mit den Kindern zu verkehren, und war diesmal froh gewesen, in dem jungen Herrn Selldorf eine Hülfe zu finden. Da war Heinrich mit der beunruhigenden Botschaft eingetreten, und Lieschen hatte nur einen Augenblick gezögert, Urlaub zu erbitten, der ihr sofort gewährt worden war, wie ungern man sie auch gerade heute in dem fröhlichen Kreise vermißte. „Tante Lieschen, komm bald wieder – adieu Tante Lieschen!“ hatten ihr die frischen Kinderstimmen der kleinen Trabanten nachgerufen, welche die Näschen platt an die Fensterscheiben gedrückt hatten. Hinter der Gardine aber hatte ein junger Mann mit blondlockigem Haar und zwei ehrlichen hellen Augen gestanden und die schlanke Gestalt verfolgt, die unter dem Regenschirm dort eben in dem Waldwege verschwand und ein unmuthiger Zug hatte sich um seinen Mund gelegt. Was war aus diesem sehnlichst erwarteten zweiten Pfingsttage geworden! Statt einer Waldpartie – Regenwetter, statt sehnsüchtiger Blicke in blaue Augen – die Quälereien der wilden Jungen, bei denen Selldorf bereits zum Onkel avancirt war – –

Auf dem Schlosse war sonst noch allerlei passirt in den vierzehn Tagen. Army hatte von einer flüchtigen Reise zu Tante Stontheim deren Einwilligung und außerdem eine allerliebste kleine Equipage für seine Braut heimgebracht, und ein freundliches Schreiben von Blanka’s Vater hatte die Verlobten gesegnet. Die junge Braut war wieder die Liebenswürdigkeit selber; sie hatte aus freien Stücken erklärt, es thue ihr leid, an ihrem Verlobungsabend so heftig gewesen zu sein, aber ein Gewitter verstimme ihre Nerven stets so entsetzlich, und Army – nun, der war der glücklichste Bräutigam, den man sehen konnte; so meinte wenigstens Lieschen. Er trat manchmal in das düstere Krankenzimmer, um die Schwester zu begrüßen, und dann leuchtete sein Gesicht immer so stolz und glücklich, wenn er sich zu ihr niederbeugte und ihr einen Gruß von seiner Braut brachte. Letztere war nur einmal an dem Lager der Cousine erschienen, aber die helle Gestalt mit der lang nachrauschenden Schleppe und dem goldflimmernden Haar hatte die Kranke mächtig aufgeregt, als sie so hastig gefragt hatte: wie es gehe? ob sie nun bald wieder aufstehen könne? und so weiter, und so lebhaft von den Spazierfahrten erzählt, die sie mache, und von den Plänen für ihre Heirath, daß das junge Mädchen in Thränen ausgebrochen war, als sie wieder hinausgerauscht war.

„Wenn sie nur nicht so bald wieder kommt,“ hatte sie gesagt, „mir wird so schwül in ihrer Nähe, und das Parfüm, das sie gebraucht, macht mir Kopfweh.“

Von Lieschen hatte Blanka gar keine Notiz genommen, obgleich sie deren schlanke Gestalt hochaufgerichtet am Bette stehen sah; die Großmama kam überhaupt nie in das Krankenzimmer, so lange sie Lieschen dort wußte, und Sanna murmelte Etwas von Eigensinn und daß sie ebenso gut pflegen könne, wie das einfältige Ding aus der Mühle; „das solle nur so etwas heißen von der jungen Baronin.“

Endlich war die Krankheit überstanden, die dunklen Vorhänge in dem Krankenzimmer zurückgeschlagen, die Fenster geöffnet, und das junge Mädchen lag auf dem Sopha und athmete mit Behagen die reine Waldesluft, die so schmeichelnd in’s Zimmer drang und richtete ihre Augen dankbar auf Lieschen, die neben ihr saß und mit ihr plauderte. Es befand sich Niemand weiter bei ihnen, denn es war noch Besuch gekommen: Blanka’s Vater, wie Nelly flüsternd berichtete, der mit Großmama und Army im Auftrage der Tante Stontheim zu sprechen habe. „Ich bin ordentlich froh, Lieschen,“ fügte sie hinzu, „daß ich nicht dabei zu sein brauche, denn Großmama macht schon seit dem Moment, wo der Brief eintraf, der den Onkel anmeldete, so ein böses, böses Gesicht. Aber sage einmal, Lieschen, Du siehst so blaß aus?“ fragte sie dann. „Du hast Dich gewiß zu sehr angestrengt bei meiner Pflege.“

Das junge Mädchen wehrte erröthend ab. – Von draußen her schallten jetzt Stimmen und das Trappeln von Pferden herauf. „Ah, sie werden vom Spazierritt wiederkehren,“ sagte Nelly, „komm, Lieschen – wir müssen es sehen.“ Sie erhob sich etwas matt und trat an’s Fenster. Dort unten auf dem Platze war, wie es schien, die ganze Familie versammelt; Blanka saß noch auf ihrem Pferde im schwarzen Reitkleide, das kecke Hütchen mit der langen schwarzen Feder auf dem üppigen Haar, das heute in mächtigen Puffen am Hinterkopfe aufgesteckt war, statt wie sonst aufgelöst über den Rücken herabzufallen. Das Pferd war unruhig, aber sie saß vollkommen sicher im Sattel und klopfte mit der kleinen behandschuhten Hand liebkosend den Hals des schönen Thieres. Army war bereits von seinem Goldfuchs gesprungen; er stand vor seiner Braut, um ihr beim Absteigen behülflich zu sein, und sah zu seinem Schwiegervater hinüber, der eben langsam zwischen den beiden Baroninnen herankam. Letzterer war ein kleiner corpulenter Herr, wie Lischen bemerken konnte, und schien sehr eifrig eine Meinung zu vertreten, denn er gesticulirte heftig beim Sprechen.

Die Blicke von Nelly’s Mutter streiften das Fenster, an dem die beiden jungen Mädchen standen; sie nickte freundlich hinauf, und die Augen der mit ihr Gehenden folgten diesem Gruße. Die ältere Dame sah gleichgültig wieder hinweg, während der Oberst, stehend bleibend, seinen Hut abnahm und hinauflächelte: dann hörten sie, wie er nach Lieschen fragte; was geantwortet wurde, konnten sie nicht mehr verstehen.

Inzwischen war Blanka abgestiegen, und Lieschen führte ihre Freundin wieder nach dem Sopha zurück; bald nachher verkündete lautes Sprechen im Nebenzimmer das Eintreten der Gesellschaft. Lieschen nahm ihr Buch wieder auf und wollte die unterbrochene Lectüre beginnen, als drinnen die Stühle gerückt wurden und plötzlich die Stimme des alten Herrn durch die hohe Flügelthür deutlich zu ihnen herüberdrangt:

„Es thut mir leid, meine Gnädige, daß die Sache so wenig nach Ihrem Geschmack zu sein scheint, indessen –“

„Scheint sie desto mehr nach dem Ihrigen zu sein, Herr Oberst,“ unterbrach ihn die scharfe Stimme der alten Baronin.

„Pardon, ich komme nur als Abgesandter der Gräfin Stontheim und habe vorhin schon einmal betont, daß ich mich keineswegs in das Arrangement der Angelegenheiten mischen werde; ich will jedoch nicht leugnen, daß es mir so am vernünftigsten erscheint.“ Seine Stimme verrieth eine gewisse Gereiztheit.

„Ansichten, liebster Derenberg!“

Allerdings, aber Sie müssen selbst zugeben, daß Army noch zu jung, zu unerfahren ist, um sich aus dem Wirrwarr – verzeihen Sie, Frau Baronin! – herauszuwickeln, in dem leider die ganze Derenberg’sche Angelegenheit total versunken scheint. Es gehört ein sehr, sehr gewiegter Landwirth dazu, um die

heruntergekommenen Güter wieder heraufzubringen, vorausgesetzt, daß man sie überhaupt wieder zurückerwerben kann; der Wald zum Beispiel – Gräfin Stontheim sprach mit dem Justizrath Hellwig über diese Verhältnisse – der Wald ist so gut wie verloren; der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_740.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2016)