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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Verstärkt durch den Abschaum der Gesellschaft, durch Tagediebe und Verbrecher aller Art, die sich ihnen anschlossen, wurden sie zu dem, was sie heute sind, zu einer wahren Pest, die in manchen Landestheilen die Sicherheit der gesellschaftlichen Verhältnisse ernstlich bedroht und nur durch die härtesten, gleichviel ob grausam erscheinenden Mittel bekämpft werden kann.

Die Tramps ziehen meistens in kleinen Gesellschaften von zwei bis sechs Mann umher. Städte werden von ihnen gewöhnlich gemieden; das Land ist ihr natürliches Operationsfeld. Man darf nicht vergessen, daß es Dörfer im europäischen Sinne des Wortes eigentlich in Amerika nicht giebt; der Farmer wohnt meist allein, umgeben von seinen Ländereien, und kann daher im Falle der Noth nicht auf augenblickliche Hülfe von seinen Nachbarn rechnen. Darauf baut der Tramp seinen Plan. Er erscheint plötzlich am Farmhaus, dessen Besitzer vielleicht abwesend im Felde ist. Er verlangt von der Frau zu essen, und aus Furcht giebt diese ihm, was sie hat. Im besten Fälle verläßt er die Farm, wenn er sich satt gegessen hat, in vielen Fällen aber endet der Einfall weit trauriger, besonders wenn sich die Vagabonden stark genug fühlen. Dann wird der Frau Gewalt angethan, der zu Hülfe eilende Mann ermordet und das Gehöft in Brand gesteckt. Die Buben aber, welche die Unthat verübten, haben gewöhnlich Zeit genug, ihren Verfolgern einen genügenden Vorsprung abzugewinnen, um zu entkommen und ihr schändliches Handwerk anderswo fortzusetzen. Fallen sie den nacheilenden Nachbarn in die Hände, dann freilich wird nicht lange Gericht gehalten; Kugel oder Strick sind bereit, den Urtheilsspruch auf der Stelle auszuführen. Aber ein paar solcher Gesellen genügen ja, um auch Unheil in größerem Maßstabe auszuüben. Vor einigen Monaten – um nur ein Beispiel anzuführen – wurden etwa dreißig Meilen vom Wohnorte des Schreibers die Eisenbahnschienen von zwei Tramps nächtlicherweise aufgerissen; als der Zug in der Morgendämmerung herankam, bemerkte der Zugführer die losgerissenen Schienen eben noch rechtzeitig genug, um die Locomotive rückwärts arbeiten zu lassen. So traf sie die Unglücksstätte mit geschwächter Kraft; der Zug blieb theilweise auf dem Geleise, und nur die vordersten Wagen, die Locomotive und der heldenmüthige Führer lagen zerschmettert am Fuße des Bahndammes. Die Verbrecher wurden später eingebracht und erwarten ihr Urtheil.

Zuweilen erscheinen die Tramps in größeren Haufen, manchmal 2 bis 300 Mann stark. Dann bemächtigen sie sich der Eisenbahnen, überwältigen die Beamten, nehmen einen Zug in Beschlag und setzen ihre Reise herrenmäßig per Eisenbahn fort, bis es der Polizei mit Hülfe der aufgebotenen Bürger oder Milizen gelingt, sie zu vertreiben. Solche Haufen statten gelegentlich kleineren Städten einen Besuch ab, und bei der geringen Zahl der regelmäßigen Polizisten und der gänzlichen Abwesenheit von Militär ist ein solcher Besuch von einigen hundert verworfenen und verwogenen Vagabonden wohl im Stande, Schrecken und Furcht vor Raub und Brandstiftung einzuflößen. Im Staate Iowa, der zu den vom Tramp-Unwesen am schwersten heimgesuchten gehört, mußte der Gouverneur die Staatsmiliz auffordern, sich bereit zu halten, um die Bürger vor der überhandnehmenden Frechheit des Gesindels zu beschützen.

Dem deutschen Leser mag es sonderbar erscheinen, daß Zustände, wie die eben geschilderten, in einem wohlgeordneten civilisirten Staate stattfinden können, und daß nicht das Gesetz strenger gehandhabt wird, um das Uebel einzuschränken oder auszurotten. Viele messen eben dieses Land mit ihrem auf europäische Verhältnisse wohl passenden Maßstabe, der aber hier nicht immer angewandt werden darf. Erstens sind die räumlichen Verhältnisse ganz verschiedene. Die Bewohner der Ansiedelungen wohnen, wie schon erwähnt, selten dicht beisammen; die Ansiedelungen selbst sind meist durch größere Zwischenräume getrennt: ausgedehnte Waldstrecken und weite Prairien ziehen sich zwischen den bewohnten Gegenden hin, sodaß es dem Tramp leicht wird, sich schnell und sicher aus dem Bereiche seiner Verfolger zu bringen, wenn diese überhaupt im Stande sind, eine längere Jagd auf den Frevler anzustellen. Ferner darf nicht vergessen werden, daß wir kein Militärstaat sind, und daß die würdigen Beschützer des ruhigen Bürgers und der Schrecken der Vagabunden, die Gensd’armen, eine hier unbekannte Größe sind. Wer soll also die Ruhestörer einfangen? Wir haben wohl eine Miliz, aber sie erinnert stark an die alte vaterländische Bürgerwehr seligen Angedenkens und kann zu solchem Dienst doch auch nur verwandt werden, wenn es einen größern Feldzug gegen diesen innern Feind gilt. Die eigentliche Polizei dagegen ist in den kleinern Städten meist auf eine sehr geringe Anzahl beschränkt und existirt auf dem Lande gar nicht. Der Angegriffene ist demnach gegen die Trampsplage meist auf Selbsthülfe angewiesen, und diese wird von der öffentlichen Meinung als gerechtfertigt anerkannt.

Daß die Tramps mit der communistischen Bewegung, die gewisse Schichten der amerikanischen Arbeiterbevölkerung ergriffen hat, in Verbindung stehen, wird vielfach behauptet und ist auch höchst wahrscheinlich. Dasselbe Princip, welches den wilden Träumen dieses gemeinen Communismus zu Grunde liegt: leben wollen, ohne zu arbeiten – dieselbe Wuth gegen Jeden, der etwas besitzt, und das diebische Gelüst, das zu nehmen, was Andere sich mit Mühe und Arbeit errungen haben: all dies finden wir bei den Tramps wieder. Die Communisten arbeiten in ihren geheimen Verbindungen am Umsturz alles Bestehenden; die Tramps sollen ebenfalls ihre Organisation haben und sich allenthalben im Lande an Paßworten, Zeichen und Griffen erkennen. Im Falle eines Arbeiteraufstandes, wie er im vorigen Jahre versucht wurde, würden sie ein über das ganze Land verzweigtes, gefährliches Heer von Guerillas abgeben, um Telegraphen und Eisenbahnen zu zerstören und Raub, Mord und Brand, nach Indianerart, überall hin zu tragen. Ein anderer gemeinsamer Zug der Communisten und Tramps ist der Haß gegen Fabrik- und Maschinenarbeit, hervorgerufen durch das Geschrei der Demagogen, daß dadurch der Handarbeit Abbruch geschähe. Sie verlangen daher häufig von den durch sie heimgesuchten Farmern, daß diese ihre landwirthschaftlichen Maschinen zerstören, oder sie legen selbst Hand an und verbrennen sie. Ein Farmer in Minnesota traf zwei dieser Gesellen bei dem Geschäfte, Feuer an seine Maschinen zu legen; er holte seine Flinte und jagte jedem eine Kugel durch den Kopf, dann übergab er sich dem nächsten Gerichte, welches ihn auf der Stelle frei sprach. Wie wenig es übrigens diesen Vagabonden darum zu thun ist, die Maschinenarbeit durch ihrer Hände Arbeit zu ersetzen, erhellt einfach aus der Thatsache, daß die Farmer während der diesjährigen Erntezeit nicht im Stande gewesen sind, Leute genug zu finden, die für hohen Lohn gearbeitet hätten. In vielen Fällen weigerten sich diese Landstreicher, für zwei und drei Dollars den Tag eine Hand zu rühren.

Die Sympathie, die sich eine Zeit lang für die Tramps regte, als noch ein Theil derselben aus wirklich nach Arbeit suchenden Leuten bestand, hat aufgehört, seit dieses Element fast ganz verschwunden ist. Räuber und Mordbrenner, die der menschlichen Gesellschaft den Krieg angekündigt haben und als ausgesprochene Feinde aller socialen Ordnung das Land durchziehen, stellen sich auf dieselbe Linie mit wilden Thieren, die man nicht zähmen kann, sondern ausrotten muß. Die Tramps haben sich den Indianern ebenbürtig an die Seite gestellt, nur daß die Letzteren Wilde sind, die durch erduldetes Unrecht gereizt wurden, während jene zum größten Theil aus Menschen bestehen, die durch Geburt und Umgebung Gelegenheit gehabt haben, nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft zu werden.

Communisten wie Tramps, verwandt im Princip wie in ihrer Stellung gegen die übrige Gesellschaft, sind gleichzeitige Erscheinungen in der socialen Geschichte dieses Landes. Sie sind mit einander groß geworden und kämpfen beide gegen denselben eingebildeten Feind: Capital und Besitz. Es darf darum wohl mit Recht angenommen werden, daß ihre weiteren Schicksale ähnliche sein werden. Weil beiden jeglicher Rechtsgrund für ihr Dasein fehlt, werden sie auch beide mit einander untergehen. Die Tiraden der Einen, welche gegen die sogenannten „Capitalisten“ geschleudert werden, und die praktische Uebersetzung dieser Tiraden in Thaten gemeiner Diebe und Räuber durch die Andern, muß und wird dem ehrlichen Arbeiter, der sich von den hochklingenden Phrasen und Versprechungen demagogischer Marktschreier eine Zeit lang vielleicht bethören läßt, die Augen öffnen. Wir haben zu viel ehrenwerthe Arbeiter im Lande, die selbst kleine Capitalisten sind und die ihrer Hände Arbeit, ihre wohlerworbene Heimath nicht mit den Tramps zu theilen gedenken. Ebenso weiß es jeder, der es wissen will, daß Erfolg und Wohlstand hier am wenigsten an ererbtes Capital oder an Gunst gebunden sind,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_791.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)