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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Körbchen Beeren auf das Schloß kam. ‚Sie erinnere sie an ihre Heimath,‘ hatte sie gesagt, und so kam Fränzel in den Dienst der gnädigen Frau und ging einher so bunt geputzt, als wären unseres Herrgotts christliche Tage eitel Mummenschanz.

Wir hörten aber auch bald, daß sie noch immer die tolle Fränzel sei; da verkehrten so viele fremde Cavaliere im Schloß und hübsch war ja die Fränzel, zu hübsch, und sie hätt’ gewiß ’nen braven Burschen gefunden, der sie als seinen ehrlichen Schatz hätt’ küssen mögen, aber sie war leichtfertig als der Schlimmsten Eine, und – Gott sei Dank! – noch galt ja Zucht und Ehrbarkeit bei uns daheim.

Und so kam sie denn daher; in den kleinen Ohren hingen große glänzende Goldreifen, und einen Ring hatt’ sie auch an der Hand, mit der sie so recht auffällig an der schneeweißen Schürze bändelte.

‚Guten Tag!‘ rief sie uns entgegen, und die Lisett sagte wieder:

‚Guten Tag!‘ und fragte: ‚Was soll’s, Fränzel?‘

‚Nun Jesses, ich sah die Mamsell hier drüben sitzen und wollt’ mal sehen, wie’s bei Euch ausschaut. Ihr braucht Euch ja meiner nicht zu schämen, sind wir doch zusammen confirmirt worden – oder bist Du stolz geworden?‘

‚Nein,‘ erwiderte die Lisett, ‚ich bin nicht stolz, aber wenn Du kommst, so hat’s was zu bedeuten – sag’ mir rasch, was Du willst!‘

‚Gar nichts, meine Gute,‘ erwiderte sie und that wie beleidigt, ‚brauchst Dich meiner nicht zu schämen; betteln thu’ ich nicht mehr; hab’ mein Brod übrig genug,‘ und dabei lachte sie, daß man alle die weißen Zähne sah, und drehte sich auf dem Fuße herum, daß der rothe Rock und die Zöpfe nur so flogen. ‚Siehst so blaß aus,‘ sagte sie dann plötzlich und fixirte das Gesicht der Lisett, ‚hast Liebeskummer, he?‘

Lisett erröthete über und über. ‚Was geht’s Dich an, wie ich ausseh?‘ erwiderte sie kurz und erhob sich so rasch, daß die feinen Federn aus ihrer Schürze nur so in der Luft herumwirbelten. Auf einmal sah ich, daß ihr die Augen schier aus dem Kopfe traten und daß sie sich leichenblaß mit der Hand nach dem Herze faßte und auf die Bank niedersank, und als meine Blicke den ihrigen folgten, da fielen sie auf ein kleines goldenes Herz, das sich aus dem Busentuch der Fränzel geschoben.

‚Allmächtiger Gott!‘ schrie die Lisett – dann aber war sie mit einem Sprunge neben der Fränzel, hatte sie an der Schulter gepackt und fragte mit einer Stimme, die mir durch Mark und Bein ging – so voll schriller Herzensangst war sie –: ‚Woher hast Du das Herz, Fränzel?‘“

(Fortsetzung folgt.)





Joseph Gay-Lussac.
Zum hundertjährigen Geburtstage desselben.

Heutzutage, wo der Krieg, welcher die Nationen entzweit, auch in das friedliche Reich der Wissenschaft eingedrungen ist und französische Eroberer auf dem Gebiete des Geistes ihre deutschen Waffenbrüder befehden, als hätten diese die verhängnißvolle Kriegserklärung Napoleon’s verschuldet, ist es doppelt geboten, an Zeiten zu erinnern, in denen Beide trotz Krieg und Völkerzwist treu zu einander hielten, und dazu wird uns die bevorstehende Säcularfeier eines der größten Chemiker Frankreichs und der Welt eine willkommene Gelegenheit bieten.

Joseph Louis Gay ist am 6. December 1778 in St. Leonard, einer kleinen alten Stadt der französischen Provinz Limousin geboren, woselbst sein Vater Richter und Procurator des Königs war. Reich begütert bei dem nahen Dorfe Lussac, fügte er diesen Namen dem seinigen zur Unterscheidung bei, da die Familie der „Heiteren“ – gaya, gay, gai heißt: lustig, froh – in Frankreich sehr verbreitet ist. Und lustig, ja sogar ein wenig wild und tollkühn war auch Joseph, der älteste Sohn, in seiner Jugend. Man erzählt, daß er einst eine Stange aus seinem Dachfenster nach demjenigen des benachbarten Pfarrhauses legte, um auf derselben reitend mit Lebensgefahr die verbotene Frucht des Paradieses, das vortreffliche Obst eines Baumes im Pfarrgarten zu pflücken. Bei einer dieser Luftfahrten stieß er das geistliche Dachfenster ein, wurde auf die Anklagebank versetzt, leugnete – aber wurde seines Vergehens so vollkommen überführt, daß er sich in seiner großen Beschämung gelobte, nie wieder die kleinste Unwahrheit zu sagen. Wahrscheinlich hat sich mit aus dieser Affaire der strenge Gerechtigkeitssinn entwickelt, der den großen Mann sein Lebelang auszeichnete.

Nur zu bald begann der Ernst des Lebens für unseren Helden, denn in der Revolutionszeit wurde der Vater als Procurator des Königs und als Gutsbesitzer natürlich in das Gefängniß geworfen. Joseph Gay, wie er sich jetzt schlechthin nannte, wußte durch seine geduldigen Bitten bei dem Commissionär des Convents und sein kluges Benehmen wenigstens die drohende Abführung nach Paris, die mit Hinrichtung gleichbedeutend gewesen wäre, zu hintertreiben und die Gefangenschaft am Orte bis zum Tode Robespierre’s hinzuziehen, wo dann die schlimmste Gefahr vorüber war. Natürlich war in dieser Zeit der Besitzstand der Familie sehr zurückgegangen, und Joseph wurde zu der wenig kostspieligen Laufbahn eines Advocaten bestimmt.

Er kam mit guter Vorbildung 1794 nach Paris, um sich für den Stand seines Vaters vorzubereiten, aber die damals herrschende und namentlich in der Hauptstadt empfindliche Theuerung veranlaßte die Auflösung der Pension, in welcher er sich befand, und er suchte in Nanterre, später zu Passy bei Paris, wo die Theuerung nicht ganz so empfindlich war, bei einem gewissen Sensier ein Unterkommen. Aber die Theuerung steigerte sich zu einer Hungersnoth, und auch Sensier entließ alle seine Pensionäre bis auf Gay-Lussac, den er wegen seiner Aufrichtigkeit wie ein eigenes Kind liebgewonnen hatte. Seine Pension wurde mit Mehl bezahlt, welches die Schwestern so verpackten, daß man es einschmuggeln konnte. Damals, über sechszehn Jahre alt, hatte Joseph sich noch nicht mit Mathematik und Naturwissenschaften beschäftigt, aber die Neigung begann sich stark zu regen. Seine ersten mathematischen Studien begann er, nach seiner Erzählung, auf dem Milchkarren der Madame Sensier, die er, als sie in der Noth der Zeit einen Milchhandel nach Paris angefangen hatte, zu ihrem Schutze bewaffnet zu begleiten pflegte.

Inzwischen hatte er sich für das Studium der Naturwissenschaften entschieden und fand nach mehrjährigen fleißigen Vorbereitungen und glänzend bestandener Prüfung Ende 1797 Aufnahme in die Polytechnische Schule. Es war dies jene drei Jahre vorher ins Leben gerufene Musteranstalt, welche als Urbild der polytechnischen Schulen überhaupt betrachtet wird, die einzige ruhmvolle Schöpfung, welche aus den Zeiten der ersten Republik noch übrig ist. Gay-Lussac wurde bald „Chef der Brigade“, die da auf Staatskosten in den exacten Wissenschaften unterrichtet wurde, und bezog als solcher ein doppeltes Monatsgeld, sodaß er seiner Familie keine weiteren Kosten verursachte. Mit ihm zugleich gingen aus dieser Anstalt die meisten jener berühmten Männer hervor, welche in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts Paris wie niemals vorher oder nachher, zu einem Brennpunkte der Wissenschaften erhoben, und später, als der im November 1800 mit Ruhm entlassene Professor an dieser Schule geworden war, blieb es einer seiner Lieblingsträume, den längst verblichenen Glanz derselben wiederherzustellen.

Mit seinen Kenntnissen und Zeugnissen wäre es ihm leicht gewesen, bald eine einträgliche Anstellung im Staatsdienste zu erhalten. Aber da die Chemie seine Lieblingswissenschaft geworden war, zog er es vor, als Assistent des berühmten Chemikers Grafen Berthollet und in dessen wohlausgestattetem Laboratorium sich weiter auszubilden. Schon in einer der ersten Untersuchungen, die ihm der Meister überließ, kam er zu Ergebnissen, die den von diesem erwarteten vollkommen entgegengesetzt, aber so richtig waren, daß Berthollet ihm sagte: „Junger Mann, Ihre Bestimmung ist, Entdeckungen zu machen, Sie werden von nun ab mein Tischgenosse sein; ich will, sicher, daß dies einst ein Ruhmestitel für mich sein wird, ‚Ihr Vater in der Wissenschaft‘ sein.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_807.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2019)