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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

aber unter diesen Verhältnissen giebt’s keinen andern Ausweg; ich nehme ihr Anerbieten an.“

„Du wolltest – Du könntest das? Du könntest zu ihr gehen, die mich betrogen hat, Großmama?“ fragte der junge Mann und faßte nach ihrer Hand.

„Es bleibt mir nichts Anderes übrig; ich mag nicht mit jenen Leuten dort unten Gemeinschaft haben; ich will es nicht, und ich thue es nicht,“ beharrte sie.

„Dann ist es freilich besser, Du gehst,“ sagte er leise und wandte sich um.

„Das ist also der Dank für all meine Liebe! Das ist die Erfüllung aller Hoffnungen die ich auf Dich gesetzt hatte!“ stieß sie hervor. Incredibile! „Wenn ich mir denke, Du dort unten im Comptoir auf dem Schreibstuhl des Herrn Schwiegervaters!“ fuhr sie athemlos fort, „schreibend und Geschäftsbücher führend, Du, der Du die Aussicht auf eine glänzende Carrière so unsinnig um die Ohren schlägst –“

„Ich müßte auch zufrieden sein, hätte mir mein Schwiegervater den Schreibstuhl angewiesen, aber er hat es besser mit mir gemacht, Lieschen bringt mir als Mitgift unser altes Familiengut zu, ich werde wieder Herr auf Derenberg sein.“

Er hatte langsam gesprochen und jedes Wort betont.

Sie wandte sich mit einem Ruck herum; ihre großen Augen sahen wie verschleiert zu ihm herüber, als glaube sie seinen Worten nicht. „Theuer genug erkauft!“ stieß sie dann mühsam hervor.

„Wieso?“

„Weil Du unaufhörlich an eine Frau gekettet sein wirst, die Deine Standesgenossen über die Achsel ansehen, und endlich, die Du nicht liebst, nie lieben wirst!“

„Wer sagt Dir das?“ fragte er, und ein feines Lächeln spielte um seinen Mund, „sollte das Letztere so unmöglich sein? Ich dächte, Du wüßtest das Gegentheil aus eigener Erfahrung. Denke doch an den verschollenen Großonkel Fritz und die schöne Lisett! –“

Die alte Dame antwortete nicht; sie setzte sich mit einer heftigen Bewegung in den Lehnstuhl zurück, und ihre Finger zerknitterten den Brief Blanka’s, aber ihr Gesicht war bleich geworden, so bleich, wie die Spitzen ihrer Haube.

„Mein Schwager hat nie daran gedacht, jenes Mädchen zu heirathen,“ sagte sie endlich, „darauf hin muß ich ihn in Schutz nehmen, es war so eine Liebschaft, wie Cavaliere sie zu Dutzenden zu haben pflegen; die Kenntniß dieser Geschichte sollte Dich erst recht von dem unsinnigen Gedanken abhalten, ein Mädchen aus jenem Hause zu Deiner Frau zu machen!“

„O nicht doch, im Gegentheil! Wenn mich etwas in meinem Beschluß noch bestärken konnte, so war es dies, ich mache dadurch in Etwas gut, was sinnloser Hochmuth und unedle Rache einst verbrach.“

„Diese dunklen Andeutungen sind mir gänzlich unverständlich,“ unterbrach sie ihn, und erhob sich erregt, „der Bruder Deines Großvaters war ein Mensch, der keine Direction über sich hatte, der ein lockeres, leichtsinniges Leben führte – er ist verkommen, Gott weiß wo? Er war ein Heuchler, der seine frivolen Gesinnungen unter der Maske eines biederen ehrenwerthen Exterieurs vortrefflich zu verbergen wußte; es thut mir leid, daß Du Dir eine Legende aufbinden ließest, in welcher dieser moralisirende Husarenofficier sammt jener Lisett die Rolle der Heiligen spielt. – Aber deshalb gerade, weil bereits einmal solch unpassende Beziehungen angeknüpft waren zwischen uns und Jenen dort unten, Beziehungen, die – Gott sei Dank! – durch ein höheres Einsehen zerrissen wurden, deshalb wiederhole ich Dir, werde ich nun und nimmermehr das Mädchen als Deine Braut betrachten, nun und nimmermehr ihr je meine Hand reichen, und bestehst Du auf Deinen Willen – gut, so gehe ich – ich weiß jetzt wohin“ – sie hob den Brief Blanka’s empor; „und obgleich es mir schwer wird, diesen Schritt zu der zu thun, die Dich betrog, ich ziehe ihn doch vor gegenüber der Aussicht, mit dieser Person in einem Hause zu leben.“

Ihre Lippen bebten, und ihre Augen funkelten im Zorn.

„Gut, so geh’, Großmama! Es thut mir leid, daß es so kommt, aber Du hättest das vollste Recht, zu sagen, ich sei kein Mann, ich sei ein weichlicher Träumer, dem das bischen Unglück den Arm gelähmt hat – wenn ich meinen Entschluß änderte; ich kann es nicht als Mann von Ehre, ich will es nicht, weil ich nicht so thöricht sein werde, eine ganze Zukunft voll Glück von mir zu werfen.“

„Du selbst heißest mich gehen?“ fragte die alte Dame athemlos.

„Nein, Großmama, am liebsten sähe ich, daß Du in meinem Hause friedlich weiter lebtest, aber da Du mich vor die Wahl stellst: Dich oder sie – so kann ich nur aus vollster Seele sagen: ‚meine Braut!‘“

Er hatte laut gesprochen, und die Worte hatten einen ehrlichen, freudigen Klang.

„Gut,“ erwiderte sie, „ich gehe, und wenn Du auf den Knieen vor mir lägest und Ihr Alle zusammen händeringend flehtet, ich sollte bleiben, ich werde dennoch gehen. Es ist schändlich; es ist unerhört –“ Sie riß mit zitternder Hast an der Glockenschnur und begann verschiedene Fächer ihres Schreibtisches auszuziehen; Briefe, Kästchen, kleine Schachteln flogen in wirrem Durcheinander hinaus.

„Meine Reisekoffer,“ befahl sie der eintretenden Sanna, „pack’ Deine Sachen auch! Wir reisen.“

In diesem Moment flog ein kleiner blitzender Gegenstand über den Teppich und blieb zu Army’s Füßen liegen; er hob ihn auf und betrachtete ihn – es war ein kleines goldenes Herz, zerkratzt und blind, und darauf standen die Buchstaben L. E. eingravirt. Er sah lange starr darauf hernieder; es war ihm nicht möglich, ein Wort zu sagen; er trat nur zu ihr und hielt ihr das kleine goldene Herz entgegen. Sie heftete die Augen darauf, dann stützte sie sich plötzlich fest auf die Platte des Tisches; die Röthe verschwand von ihren Wangen, und eine fahle Blässe breitete sich über ihr Gesicht. Kein Laut unterbrach die Stille, nur die kleinen Figuren auf dem Schreibtische klirrten leise; so fest lehnte sich die bebende Gestalt der Baronin darauf.

„Ich habe kein Recht, Dir Vorwürfe zu machen,“ sagte er endlich und zog die Hand, die den kleinen Gegenstand hielt, zurück, „Du bist die Mutter meines Vaters, und – es wäre auch nutzlos. Aber ich werde mich doppelt bemühen, an meiner Braut wieder gut zu machen, was Du einst verbrochen an einem jungen, liebreizenden Geschöpf; wollte Gott, daß es mir gelinge!“ Er wandte sich, um hinauszugehen.

Da trat ihm Sanna in den Weg. „Was wollen Sie von meiner Herrin?“ rief sie, „ich habe das goldene Amulet dem Baron Fritz genommen; ich allein that es; meine Signora ist unschuldig. Jagen Sie mich fort, Herr, aber nehmen Sie ihr nicht die Heimath, den einzigen Platz, wo sie ihr Haupt niederlegen kann!“ Das alte Mädchen war zur Erde geglitten und streckte ihm flehend die Hände entgegen; in ihren kalten, grauen Augen schimmerte eine Thräne.

„Ich weise Deine Gebieterin nicht fort,“ sagte Army, gerührt von der Treue der alten, harten Person, „im Gegentheil, ich –“

„Steh auf!“ befahl die Baronin erregt, „und thu’, was ich Dir geheißen – kein Wort weiter. Ich gehe noch heute!“

Misericordia!“ schluchzte die Alte in ihrer Todesangst, und ergriff die Falten des schwarzen Kleides ihrer Herrin, „lassen Sie mich mitgehen, Signora Eleonora! Ich sterbe ohne Sie.“

Er sah schmerzlich zu der gebietenden Gestalt hinüber, die da mitten im Zimmer stand, den Kopf stolz zurückgeworfen, scharf und feindselig blickten ihn die schwarzen Augen an, als stände ein fremder Bettler vor ihr, den sie hinausweisen wollte. Er hatte sie immer so geliebt, so bewundert, seine schöne Großmutter; selbst jetzt, da der Nimbus, mit dem sein Herz sie einst umgab, geschwunden war, selbst jetzt blieb diese Liebe Siegerin; er vergaß ihre Herrschsucht, ihre Schroffheit; er sah nur noch die stolze, imponirende Frau, die ihn einst mit abgöttischer Zärtlichkeit erzog.

„Großmama!“ bat er, und trat ihr einen Schritt näher, „laß es vergessen sein, was einst geschehen! Ich biete Dir die Hand, nichts soll Dich hier an Vergangenes erinnern –.“

„Geh’!“ bedeutete sie kurz, und ihre Hand winkte ihm, in ihrer stolzen und doch so graziösen Weise, den Abschiedsgruß; „geh’! Ich will allein sein; ich habe noch viel zu ordnen.“

Er trat zu ihr. „Leb’ wohl!“ sagte er, „und wenn Dich jemals das Heimweh treibt, so komme! Du wirst –“

„Adieu!“ fiel sie ein und entzog ihm die Hand, die er an den Mund führen wollte, „Du hast gewählt.“ Sie wandte ihm den Rücken.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_856.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2020)