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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

auf einander haben und dafür sorgen daß keine sich über die andere erhebt, allein Alle für Einen gegen die niederen Stände und leider auch gegen die Kirche einstehen, die nirgends weniger Freiheit genießt, als in dieser erlauchten Republik. Indessen ich bin ein armer Diener und Schreiber des Hauses Venier und habe weder Recht noch Verständniß, mich über so hohe und gefährliche Dinge zu äußern. Die Dame Contarini kannte von ihrer Jugend her einen armen Priester, der sie damals das Schreiben gelehrt und der jetzt die uralte, einsam in der Düne des Lido gelegene Kirche des heiligen Nicolaus bediente. San Nicolò ist überdies von einem Dogen aus dem Hause Contarini erbaut worden, und wie viele hundert und aber hundert Jahre auch seitdem verflossen sind, wird San Nicolò doch noch immer von der Familie mit werthvollen Altardecken, Kerzen und Geräthschaften beschenkt, sodaß die Priester, die darin walten, sich als Clienten der Contarini’s betrachten. Fra Ambrogio, so hieß der Priester, besann sich darum auch nicht lange, dem Wunsche seiner Patronin zu willfahren. Im schlimmsten Falle, wenn der Rath der Zehn gegen ihn einschreiten sollte, versprach ihm Messer Francesco, ihm auf seinen Gütern auf dem Festlande Schutz und Sicherheit zu gewähren. Ist Einer, er sei hoch oder niedrig, vom Schicksal zwischen zwei gleich starke Antriebe gestellt, zwischen Hoffnung und Furcht, von denen die erste unmittelbar wirkt, die zweite erst in der Zukunft ihre Wirkung geltend machen kann, so wird er unbewußt der Hoffnung sich zuneigen, und wird er nun noch, wie Fra Ambrogio, von der Leidenschaft eines verliebten Jünglings, von den Bitten und Geschenken einer vornehmen Dame bestürmt, so wird er sich über jedes Bedenken wegsetzen und das Glück versuchen.

Als nun alle Vorbereitungen nach menschlicher Voraussicht auf das Beste getroffen waren, fuhren am Freitag, den 30. September – der Freitag war bis dahin in den Jahrbüchern der Venier’s ein Glückstag gewesen, und noch Messer Francesco’s Großvater war an einem Freitage zum Dogen gewählt worden – in den Nachmittagsstunden zwei Gondeln nach dem Lido di Malamocco; in der einen, die zuerst Venedig verließ, saßen Madonna Violanta mit ihrer Muhme und ihrer Amme, in der andern Messer Francesco Venier und seine Schwester Emilia mit einer Dienerin. Zwei vertraute Diener hatte Messer Francesco schon am Vormittage hinübergeschickt, welche die Umgebung der kleinen Kirche durchstreifen und überwachen sollten. Der Lido, wie Jedermann weiß, ist eine langgestreckte schmale Düne, die, in der Entfernung einer guten Stunde im Südosten der Stadt gelegen, die Lagunen, diese Meerseen, von dem offenen adriatischen Meere trennt. Nur mit spärlichem Gras, niedrigen Gebüschen und wenigen Baumgruppen ist dieser Erdstreifen bedeckt, hier und dort erheben sich einige Hütten und Häuschen. Die Nordspitze, dem Kirchlein von San Nicolò gegenüber, hat die Republik von dem hochberühmten Baumeister Sammicheli befestigen lassen und dort ein gewaltiges Castell aus istrischen Steinen aufgeführt, das jedem Feinde den Zugang wehrt. Der Anblick der ganzen Gegend hat etwas Düsteres und Trostloses, und die Wolken hingen an diesem Tage grau und schwer hernieder. Dennoch, wie sorgenvoll auch ihre Herzen sein mochten, tauschten die Liebenden entschlossen die Ringe und gelobten einander in Glück und Noth unerbrüchlich anzugehören, und der Priester betonte, wie um sich selbst zu beruhigen, das Wort der Schrift: Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht scheiden. So vereinigt aber vergaßen Messer Francesco und Donna Violanta Alles um sich her und verscheuchten die Zweifel über die Zukunft, die in ihnen eben aufsteigen mochten, mit gegenseitigen Liebesbetheuerungen und lagen einander ist den Armen und herzten sich.

Eine und noch eine Stunde verrann ihnen so, während sie Hand in Hand am Strande des Meeres in den Dünen saßen und die Wellen weißschäumend heran- und wieder zurückrauschen sahen. Dabei donnerte die Brandung gegen die Steinmauern des Castells: in der Ferne tauchten die Segel von großen Schiffen auf, und die Möven flogen unruhig hin und her. Dann mahnten die Anderen, da der Tag sich neigte, zur Heimkehr. Bald war die der Stadt zugekehrte Seite des Lido erreicht, wo die Gondeln die Herrschaften erwarteten. Die Neuvermählten wollten sich noch nicht so schnell von einander trennen, und so stieg die Gesellschaft mitsammen in eine Barke. Als die Schiffer vom Lande abstießen, schimmerte ihnen in der Ferne Venedig im Untergang der Sonne goldig und flimmern mit seinen Kuppeln und Palästen weithin über die Lagune entgegen. Die Sonne hatte gerade, wo sie sich zum Untergange neigte, die graue Wolkendecke zerrissen, ihr Licht blitzte auf den Wassern und färbte am Himmel die Wolken mit Purpur und Gold. Das schien denen in der Barke eine gute Vorbedeutung zu sein. Sie hielten auf die Punta della Motta, das weit nach Süden vorgestreckte Ende der eigentlichen Stadt zu – einen Hügel, auf dem herrliche Platanen stehen – wo Messer Francesco aussteigen und durch die Gassen nach dem Palaste Contarini sich schleichen wollte, während die Frauen, als kehrten sie von einer Spazierfahrt heim, recht geflissentlich, um von Vielen gesehen zu werden, den großen Canal entlang zu fahren gedachten.

Gott aber hatte es anders beschlossen. Denn als sie sich der Punta näherten, schoß, pfeilgeschwind durch das stille Wasser gleitend, eine andere Gondel auf sie zu. Ein Mann saß darin, der, als er sie erkannte, aufsprang, den Arm drohend gegen sie erhebend. Ein Ausweichen war wegen der Nähe des Ufers unmöglich, auch würde ihnen die Flucht nichts geholfen haben.

„Elender! Verräther!“ rief Messer Pietro Giustiniani – denn er war es – dem Messer Venier zu. „Hab’ ich Dich endlich, wo Du mir nicht entkommen kannst?“

Und das Schwert aus der Scheide reißend, stürzte er, indem die beiden Gondeln hart mit ihren eisenbeschlagenen Spitzen zusammenstießen, Francesco entgegen. Bei diesem Anblick war Donna Violanta ohnmächtig in die Arme ihrer Amme gesunken. Donna Emilia suchte vergebens sich zwischen die Streitenden zu werfen, aber sie rief ihrem Bruder zu, sein Leben zu vertheidigen. Einen Augenblick war Messer Francesco durch die ganz unerwartete Dazwischenkunft seines Todfeindes, den er in den Bergen um Brescia gewähnt, außer Fassung gebracht worden; als er indessen das von Zorn und Wuth entstellte Gesicht Pietro’s, dazu den Degen auf sich gezückt sah und erkannte, daß hier kein gutes Wort mehr nützen könne, sondern die einzige und letzte Schutzwehr bei der eigenen Waffe sei, zog auch er den Stahl. Ein-, zweimal trafen die Schwerter auf einander, über die Häupter der entsetzten und um Hülfe schreienden Frauen hin; dann versuchte Messer Pietro mit einem mächtigen Satze in die Gondel Francesco’s zu springen, aber er glitt auf dem Rande der Barke aus, verwundete sich an dem Degen seines Gegners und stürzte, sich überschlagend, in das Wasser.

Der Schrecken, den er Allen mit seiner Gewaltthat eingeflößt, verwandelte sich bei dieser Wendung des Geschickes in Mitleiden, die Schiffer, die Frauen beugten sich hinab, um dem Verunglückten Tücher und Ruderstangen entgegen zu halten. Aber die Strömung hatte ihn ergriffen, seine Kleidung und der Blutverlust raubten ihm Beweglichkeit und Kraft, immer weiter entfernte er sich von den Gondeln, die so in einander gefahren waren, daß sie sich nur mühsam von einander losmachen konnten und, beschädigt wie sie waren, so rasch es ging, das Ufer zu gewinnen suchen mußten.

Indessen war das Ereigniß von vorüberfahrenden Schiffern und auch von den Wächtern an der Punta bemerkt worden. In Eile näherten sich mehrere Barken dem Orte. Darunter war auch die Barke, die vorn an der Spitze auf ihrem Wimpel den Löwen des heiligen Marcus trägt, mit einem Hauptmann der Sbirren. Während von den Schiffern die Leiche Messer Pietro Giustiniani’s, deren Weg ein blutiger Schimmer auf dem Wasser kenntlich machte, am Gestade der Insel Lazzaro aufgefischt ward, brachte die verdeckte Gondel des Polizeihauptmanns den Messer Francesco Venier in das Gefängniß im Dogenpalast unter dem bleigedeckten Dache, wo man die Staatsverbrecher und diejenigen, deren Vergehen ein Geheimniß bleiben soll, zu bewachen pflegt. Die Frauen hatte der Hauptmann, da sie ihm ihre Namen genannt, zunächst ungekränkt entlassen. Sie kehrten mit tiefem Schmerz in ihr Haus zurück.

Aus dem Verlauf des Processes vor dem Rathe der Zehn, in den viele Personen verstrickt wurden, ergab es sich, daß Messer Pietro Giustiniani schon in Verona von einem Boten, den ihm Giovanni Soranzo mit einem Briefe nachgeschickt, Kunde von den Zusammenkünften seiner Schwester und Messer Francesco’s erhalten. Spornstreichs hatte er die Heimkehr angetreten und nachher, wie ich erzählt, seinen Tod gefunden. Von der Schuld des Todtschlags wurde Messer Francesco Venier freigesprochen, da alle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_014.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)