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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

No. 3.   1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.     
Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.
(Fortsetzung.)


Rechting kam nicht allein. Im Vorzimmer legte eine Dame ihre Ueberkleider ab. Der Assessor küßte seine Frau, begrüßte den Gast und sagte Doris, daß er ihr noch einen Abendbesuch mitgebracht habe. – Der helle Schein aus der geschliffenen Lampe, die in einem eleganten Bronzegehänge von der Stuckdecke des Vorzimmers herabhing, fiel auf Regina. Doris hielt ihr, herzlichen Willkomm bietend, beide Hände entgegen.

„Ein seltener Gast – fürwahr!“ rief Doris und rückte für die Eintretende einen Fauteuil näher an den Tisch.

„Und Du hättest das Vergnügen ihres Besuches nicht gehabt, liebe Doris, hätte ich Fräulein Regina nicht gezwungen, in meinen Wagen zu steigen. Es regnete draußen. Sie kam in dem Abgeordnetenhause zu gleicher Zeit mit mir die Treppe herab und fast mußte ich sie in meinen Wagen nöthigen.“

„Regina, warum müssen wir Dich erst nöthigen, zu uns zu kommen? Haben wir Dich irgendwie verletzt oder – was ist es? So sprich! Selbst zu Deinem Pathchen, zu Liddy, kommst Du nicht mehr. Wenn Du sähest, was das für ein herziger Schatz wird! Die ersten zwei Zähne hat sie schon bekommen – wie Perlen, sage ich Dir. Und nun mußte mein Mann Dich nöthigen –“

„Ich – ich wäre wohl ohnedies gekommen, aber – ich fahre nicht gern mit –“

„Einem verheiratheten Manne?“ warf Rechting lachend ein.

Regina machte eine Bewegung, als durchzuckte sie dieses Wort wie eine Dolchspitze.

„Nein, Herr von Rechting, mit einem Wagen, der nicht mir gehört. Wenn ich in einer Droschke fahre, so gehört diese für die sechszig Pfennig, die ich bezahle, mir. Das sind einmal so Eigenheiten einer alten Jungfer. Und Gummischuhe hätten mich ebenso sicher hierher gebracht, wie Dein Mann. Ich wollte doch einmal wieder sehen, wie es Euch geht.“

Dabei gingen ihre großen grauen, sehr hellen Augen im Kreise umher und blieben mit einem Ausdrucke scharfer Prüfung auf dem Präsidenten haften. Dieser verneigte sich aus seinem Fauteuil heraus – Regina ebenfalls. Damit waren die Beziehungen Beider äußerlich markirt. Dann nahm sie die ihr dargebotene Tasse Thee, gab sie aber Doris mit der Bemerkung zurück:

„Verzeihe, aber ich habe einmal so uncivilisirte Angewohnheiten – Du hast mir Rum dazu gegeben. Das thun nur die Geheimen Kanzleiräthinnen – aber eine Frau von dem Geschmacke wie Du, liebe Doris – Ah! Es fehlte nur noch die Vanille. Die Gedanken hell und alles Getränke rein, ist meine Maxime, das heißt mit Ausnahme des Giftes, das ich als Arznei gemischt vorziehe.“

„Das kommt davon, Regina, daß Du uns so lange Deinen Anblick entzogen hast. Hier will ich meinen Fehler wieder gut machen.“

Doris reichte ihr eine andere Tasse; Regina nahm sie und trank sie in einem Zuge aus.

„Auf diese matten Verhandlungen von heute in dem Abgeordnetenhause war nur so ein heißer Aufguß auf das Herz nöthig.“

Dann legte sich die lange Gestalt in den Fauteuil zurück. Scheinbar in Gedanken, hielt sie die Hände an einander, Fingerspitze gegen Fingerspitze. Die Hände waren schön, weiß, sorgfältig gehalten, was einigermaßen gegen die Sorglosigkeit des Anzuges abstach. Ein einfaches graues Wollengewand, weit, sogar etwas nachlässig, ein weißer Kragen und eine dunkle Cravatte, deren Schleife ein wenig an der Seite des Halses saß. Das graublonde Haar war, schlicht gescheitelt, in einem Knoten auf der Mitte des Hauptes zusammengenommen. Die Gesichtsfarbe, sonst ein mattes Weiß, wurde durch den genossenen Thee, durch den Widerschein der Flamme gehoben. Unter den niedergeschlagenen langen Lidern hatten die verschleierten Blicke sich den Präsidenten zum Zielpunkt genommen. Er schien zu fühlen, daß ein paar Augen auf ihm ruhten, und suchte den Bann durch Worte zu scheuchen.

„Gab es heute irgendwie interessante Verhandlungen?“ wandte er sich an Rechting.

„Aeußere Politik,“ sagte dieser kurz. „Wir treiben nach meiner Ansicht in einen Conflict mit unseren nächsten Grenznachbarn hinein.“

Regina stieß abgebrochene Lachlaute aus.

„Was Sie denken, Verehrtester! Mit solchem Syrup, wie er heute geredet wurde, braut man keine Conflicte; damit kann man wohl Kinder für sich gewinnen, aber niemals unser gutes Recht unseren ebenso hartmäuligen wie harthörigen Nachbarn gegenüber zur Geltung bringen.“

„Immer frisch und kühn voran, heißt es bei unserer Freundin im turnerischen Drange,“ sagte Rechting scherzend, indem er aus der Hand seiner Frau die Tasse nahm. „Glatt und forsch, wie sie die Arm- und Beinwellen bei ihren Schülerinnen haben will,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_041.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)