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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

hin. Wenn der Ginster blüht, so ist’s bunt hier, denn die Erdwälle an beiden Seiten der Straße sind mit diesen Sandpflanzen wohl besetzt. Wenig Menschen und wenig Häuser sehen wir, und nur ein einziges Dorf wird von der Chaussee durchschnitten. Es ist das alte Dorf Ahlhorn mit ansehnlichen Häusern, weiten grünen Höfen und stolzen Eichen. Nach anderthalb Stunden erreichen wir die Colonie Steinlage, wo einige dreißig neue Ackerbauer die Haide in Ackerland zu verwandeln bemüht sind. Mühselig und kärglich ist ihr Leben und mancher, dem Ausdauer und Enthaltsamkeit oder vielleicht auch das Glück fehlt, geht elend zu Grunde. Aber der Boden ist zwar spröde, doch nicht ganz undankbar, und wo die Bewohner eines Hauses sich tapfer halten, können sie in zweiter oder dritter Generation auf ein weniger hartes und auskömmlicheres Leben rechnen.

Gleich hinter Steinlage – Ort der Steine bedeutet der Name – biegt rechts der Weg zur Visbeker Braut ab. Ein Wegweiser giebt uns die Sicherheit, daß wir nicht fehl gehen. In zehn Minuten stehen wir vor einem länglichen Viereck, das

Muthmaßlicher Durchschnitt eines Hünen-Grabkellers.

die Forstverwaltung mit Wall und Graben aus der Haide herausgeschnitten und an beiden Langseiten mit Föhren und Birken bepflanzt hat. Auf dem Viereck liegt die Visbeker Braut. Geradlinig parallel ziehen sich zwei 80 Meter lange Reihen Steine, 7,4 Meter von einander entfernt, von Nordost nach Südwest, wo dieselben durch eine aus vier Blöcken bestehende Querreihe abgeschlossen werden. Die Reihen sind lückenhaft, und von den vorhandenen Steinen manche umgestürzt oder versunken; die nordwestliche Reihe hat noch 40 Steine, wozu 9 oder 10 fehlen mögen, die südwestliche deren 27. Die Steine stehen durchschnittlich 1,6 Meter von einander und schwanken in Bezug auf ihre Höhe zwischen 0,5 und 3 Meter; innerhalb der Reihen ist die Erde etwas höher als außerhalb. Ungefähr 17 Meter vom südwestlichen Ende findet sich im Innern eine Aushöhlung, in und an welcher 8 Steine einen unordentlichen Haufen bilden. Augenschein und Vergleichung mit anderen Denkmälern führen zu dem ziemlich sicheren Schlusse, daß hier ein Grabkeller sich befunden hat, wie wir ihn auf unserem Wege noch besser erhalten antreffen werden. Ob die Neugier müßiger Schäfer, die Habsucht von Schatzgräbern, der Steinbedarf eines bauenden Landmannes oder der Wissensdurst eifriger Alterthümler die Zerstörung bewirkt haben – wer weiß es?

Die Steine sind Granitblöcke, Findlinge oder erratische Steine, ihre Heimath Scandinavien, von wo sie schwimmende Eisfelder oder ungeheuere Gletscher über die ganze norddeutsche, ja alle nordeuropäischen Ebenen in zahlloser Menge verstreut haben. Kein gewachsener Fels ist bis jetzt in unserem Lande gefunden worden, aber die erratischen Blöcke ersetzen reiche Steinbrüche. Zu den Straßen und Chausseen, zu Kirchen- und Hausbauten, zu Einfriedigungen der Bauernhöfe sind seit undenklicher Zeit diese Steine verwendet worden, und noch ist der Schatz nicht erschöpft. Wie wir dieselben in den Denkmälern vor Augen haben, tragen sie keine Zeichen der Bearbeitung durch Werkzeuge an sich, wenn nicht etwa Jemand behufs der Sprengung durch Schießpulver ein Loch hineingebohrt hat. Dennoch zeigen manche so flache Seiten und erscheinen im Vergleich zur überwiegenden Mehrzahl so plattenförmig, daß man sich des Gedankens einer besondern Zurichtung nicht erwehren kann.

Enthalten wir uns vorläufig weiterer Fragen und Betrachtungen und suchen den Bräutigam unserer einsamen Braut! Derselbe liegt nach Westsüdwest, und eine breite Haide trennt uns von ihm. Man sieht ihn von der Braut aus nicht und täuscht sich, wenn man nicht Sonne oder Compaß stets zu Rathe zieht, leicht über die Richtung. Indeß ein menschenfreundlicher Forstmann hat mit einem Haidepfluge zwei neben einander laufende Furchen von Braut zu Bräutigam in den Boden geritzt, und haben wir diese Furchen einmal gefunden, so macht der Weg keine Sorge mehr.

Unser Gang ist nicht ohne Reiz. Die sanften Wellen des Bodens bewirken, daß man meist nichts als Haide sieht. Zeigt sich einmal in weiter Ferne ein Baum, ein Mensch oder selbst nur ein im Sande gebetteter Steinblock, so nehmen sie für das Auge, das keinen Maßstab in der Nähe findet, übertriebene Dimensionen an. Die kleine verkrüppelte Birke wird zu einem Riesenbaum, der Mensch zu einem Kirchthurm, und den Steinblock

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_120.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)