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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

zum Theil sieht, zum Theil mit Hülfe wohlbegründeter Schlüsse aus den Trümmern im Geiste wieder aufbaut, aber meist in größeren Dimensionen und gewaltigeren Eindrucks. Gewöhnlich werden die Steine, wenn ein Bauer einen Keller dieser Art aufgräbt, zu Chausseebauten verkauft oder in und bei dem Hause als Fundament, Einfassung, Trittsteine verwendet. Mitunter dient auch der Keller, wie er war, zum Kartoffelkeller oder als Schutz- und Aufbewahrungsort bei schlechtem Wetter für Mensch und Geräth.

Zehn Minuten weiter sind wir beim „Bräutigam“. Wiederum ist ein ziemlich großes Viereck mit Wällen und Gräben aus der Haide ausgesondert und mit Föhren bepflanzt, die hier kräftig genug gedeihen. Der Platz liegt auf einer Abdachung der Haide gegen die Engelmannsbeke und ist daher in weiterer Ferne nicht zu sehen. Außer dem „Bräutigam“ umschließt er noch drei oder vier Denkmale, die zum Theil mit moosüberwachsenem Sande bedeckt sind. Der „Bräutigam“ ist ein ähnliches Gebilde wie die „Braut“, nur größer; zwei gerade in einem Abstande von 7,5 Meter von Ost nach West neben einander hinlaufende Steinreihen von 103 bis 104 Meter Länge, an beiden Enden durch Querreihen größerer Steine geschlossen; innerhalb der Steinsetzung, 10 Meter vom westlichen Ende beginnend, liegen fünf große Steine neben einander, vermuthlich ebenfalls Reste eines Todtenkellers. Die Langreihen sind besser erhalten als bei der „Braut“, und es mögen nicht mehr als sieben oder acht Steine fehlen, reichlich fünfzig auf jeder Seite noch vorhanden sein. Unter den übrigen in demselben Gehege befaßten Mälern ist das größte nur 30 Meter lang, enthält aber mehr innerhalb der Steinsetzung belegene Blöcke, und diese lassen die ehemaligen Steinkammern noch deutlich erkennen. Gerade dieses Denkmal ist halb vom Sande verschüttet und ergiebt sich vielleicht, wenn aufgedeckt, als das besterhaltene in dieser Gegend. Die übrigen sind unbedeutender, und nur der eine bietet ein Beispiel eines nicht zerstörten Kellers, wo sogar neben einander vier Decksteine, jeder auf drei Trägern, angetroffen werden.

Auf der anderen Seite des Baches, fünf Minuten vom „Bräutigam“ entfernt, neben dem Bauernhofe Engelmann, treffen wir endlich den „Opfertisch“. Auf acht starken, im Viereck stehenden Trägern ruht eine Platte von 4,14 Meter Länge, 3 Meter Breite und 0,85 Meter Dicke. Wie ein daneben liegendes Bruchstück beweist, hat die Länge ursprünglich reichlich 5 Meter betragen. Unmittelbar daran liegen weitere acht Träger, auf welchen ein noch größerer Deckstein gelegen hat, der aber vor längerer Zeit gesprengt und zu einem Hausbau verwendet worden ist. Unter der Platte hat man eine Urne mit Asche und Knochen gefunden. Dieser „Opfertisch“ liegt sehr malerisch von fünf Eichen beschattet und umwachsen von Brombeeren und wilden Blumen; auf der einen Seite dehnt sich die braune Haide; auf der anderen liegt, von jungem Holze eingefaßt, ein grünes Ackerfeld.

Das sind die Mäler, zu denen uns der heutige Weg führt. Wollten wir den Gang nach Wildeshausen und etwas darüber hinaus ausdehnen, so würden wir ihrer noch eine Menge finden, namentlich auch solche, wo die Steinkammern noch vorhanden sind, darunter eins mit sieben großen Decksteinen neben einander bei dem Dorfe Kleinenkneten. Allein der Charakter dieser Reste aus alter Zeit bleibt doch immer im Wesentlichen derselbe: Steinkammern von verschiedener Größe, umgeben von Steinsetzungen, bald der eine Theil großartiger oder besser erhalten, bald der andere. Auch der Eindruck, den der Beschauer empfängt, bleibt der nämliche. Die mächtigen Blöcke, in langen Reihen aufgestellt oder in einfachster Weise so auf einander gelegt, daß sie einen hohlen Raum umschließen, mögen den Regeln künstlerischer Schönheit wenig entsprechen, aber sie erwecken den Gedanken an gewaltige Kräfte, die hier aufgeboten sind. Die rohe Form der Steine, die Ungleichheit in den Maßen, der ungefüge Aufbau, dann auch die Einsamkeit und Abgeschiedenheit der Lage, das Schweigen rings umher, das Alles steht im schärfsten Gegensatze zu einer lebendig bewegten, am Schönen und Heiteren sich erfreuenden Menschenwelt, aber nichts könnte auch besser das Ausscheiden aus dieser Menschenwelt und die Rückkehr zur Natur, des Staubes zum Staube, den Eingang zur Todtenwelt ausdrücken. Eine tief melancholische Stimmung schlummert in diesen Gebilden, und mag die Sonne die bemoosten Blöcke mit ihren Strahlen vergolden oder der Mond im Kampf mit den Wolken seine weißen Lichter auf sie werfen – mit sinnendem, ernstem Schweigen wird der Beschauer zuerst sie betrachten.

Zuerst – ja. Aber dann regen sich in der vorwitzigen Menschenseele Fragen über Fragen, Fragen nach dem wo? wie? wann? warum? und wie sie sonst heißen mögen, Fragen, auf die leider nur sehr ungenügende Antwort gegeben werden kann.

Hünensteine und Hünengräber nennt das Volk diese Steingruppen und denkt dabei an ein Riesengeschlecht, das hier seine Todten begraben und ihm zu Ehren die Steine gehäuft habe. Und ist es in humoristischer Stimmung, so läßt es die Steine Bälle sein, welche in fröhlichem Spiele die Riesen von einer Haidehöhe zur andern sich zuwarfen. Wer anders könnte auch, sagte mir ein alter Forstwärter, diese Hunderte von Centnern wiegenden Blöcke fortbewegt haben? Und der gute Mann wohnte mitten unter Bauern, die ihren Hof mit ähnlichen, ja zum Theil mit denselben Steinen eingezäunt haben, die ihre Vorfahren zu den Denkmälern zusammen geschleppt hatten! Riesenvölker kennt eben nur die Sage, nicht die Geschichte.

Die aus großen Steinen, namentlich Granitfindlingen zusammengesetzten Denkmäler sind weit verbreitet. In Vorderindien, im Norden des schwarzen Meeres, im nördlichen Rußland, rund um die Ostsee und die Nordsee, in Irland, in fast ganz Frankreich, an den spanischen und portugiesischen Küsten, in Nordafrika und einzeln in Italien und Griechenland kommen sie vor, aber mit wenigen Ausnahmen nur in der Nähe des Meeres. Weil neben Scandinavien und Deutschland vorzugsweise Irland und Wales und die nordwestlichen Küsten Frankreichs reich an Denkmälern sind, haben sich keltische Benennungen für dieselben in der Wissenschaft fast schon das Bürgerrecht errungen. So nennt man die Steinbauten Dolmen, die Einzelsteine, mögen sie nun vereinzelt oder in Gruppen stehen, Menhirs. Bei aller Mannigfaltigkeit in den Formen glauben einige Forscher doch die Denkmäler auf ein einziges Volk zurückführen zu müssen, etwa ein indogermanisches Volk, das vor dem Beginn der Geschichte aus dem Osten ausgewandert und nach Europa gezogen sei, wo es sich an den Meeren ausgebreitet und endlich durch später folgende keltische und germanische Völker seinen Untergang gefunden habe. Ich vermag jenen weitgreifenden Combinationen nicht zu folgen und meine, daß die Steinbauten und Gruppen wie die Todtenhügel, mit welchen die Haiden Norddeutschlands bedeckt sind, unseren nächsten Vorfahren, den heidnischen Deutschen, ihren Ursprung verdanken. Die Funde, die man hier und in Scandinavien gemacht, und vieles, was die schriftliche Ueberlieferung des Nordens uns erhalten hat, lassen mir dies als das Glaubwürdigste erscheinen.

Daß die Steindenkmäler Grabstätten sind, wird nicht bezweifelt. Wie die Todtenhügel einzelnen Familien der Freien, so mögen die Steinmäler den Edeln, die großen den allervornehmsten Edeln, welche aus ihrer Mitte die Herzöge und, wo es Könige gab, Könige lieferten, zur letzten Ruhestätte und zum ergreifenden Denkmal gedient haben. Die Steinsetzungen mögen selbst dabei, je nach[1] ihren Formen, bestimmt gewesen sein, gewisse Gedanken zu versinnlichen. Vielleicht auch haben die Denkmäler noch anderen Zwecken als dem bloßen Gedächtniß der Todten gedient. Ist nicht die breite Platte, welche die Urnen deckt, ein bequemer Opfertisch? Sind nicht die Steinsetzungen bei Gerichts- und Volksversammlungen zu Sitzen für die Richter, die Priester und die Edeln wie geschaffen? Viele sagen Ja; ich komme über ein Nein nicht hinaus. Man müßte schon, wozu wir doch keinen Anlaß haben, unsere Vorfahren für Riesen halten, und selbst für solche bleibt eine Sitzordnung, welche etwa 110 Plätze auf zwei Reihen von 103 Meter Länge vertheilt, eine möglichst ungünstige. Es mag ja sein, daß irgendwie an diesen Stätten Priester und Volk zur Uebung gottesdienstlicher Bräuche, zur Anrufung der Götter in Noth und Gefahr, zur Darbringung des Dankes nach erfochtenem Siege, zur Weihung der Jugend sich vereinigt haben, aber bewiesen ist von allem diesem nichts.

Von unserem Visbeker Brautpaar hat der Volksmund noch eine besondere Deutung. Ein Mädchen aus dem benachbarten Großenkneten sollte von ihren Eltern gezwungen werden, eines reichen Bauern Sohn zu Visbek zu heirathen, während sie ihr Herz einem anderen schöneren und besseren, aber leider armen Jüngling zugewandt hatte. All ihr Bitten und Flehen blieb unerhört, und der Hochzeitstag ward angesetzt. Als nun die Braut mit ihrem Brautgefolge zur Trauung nach Visbek zog

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_122.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2022)