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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Lippen trotzig emporwerfend, „ich habe meine Gründe dafür. Wer begleitete mich, als Du auf hoher See schwammst?“ Wetter wie heute gab’s auch damals, und oft genug verließ ich später als heute Deiner Mutter Haus.“

„Deine Gründe in Ehren,“ erwiderte Bertus, und er wendete sich ab, um zu verheimlichen, daß ihm das Blut bis in die Schläfen hinaufgestiegen war, „und ich will am wenigsten Ursache geben, daß Du auf irgend eine Art in’s Gerede kommst. Derjenige soll aber noch geboren werden, der mir wehrte, mich in Hörweite von Dir zu halten. Und ich schwör’ Dir’s, nicht eher kehre ich um, als bis ich die Thür von Deines Vaters Haus hinter Dir zuschlagen höre. Es soll sich seit einiger Zeit auf der Insel Gesindel umhertreiben, welchem ein junges Mädchen ohne Schutz nicht gern begegnet. Erst heute war ein Mann in unserm Dorf – er befragte die Leute um den Weg – ein richtiger Vagabond, hörte ich, dem man das Wohl eines Hundes nicht auf zehn Minuten anvertrauen möchte.“

„Ich fürchte mich nicht,“ antwortete Kordel spöttisch, „bin ich zu schwach, um mich zu vertheidigen, so sind meine Füße desto leichter – nein, Du bleibst bei Deiner Mutter – ich will es so.“

„So thu’s ihm zu Gefallen!“ suchte die alte Frau zu vermitteln, „und verdient hast Du’s um mich, daß wir Deinetwegen nicht Nacht noch Wetter scheuen.“

Kordel war reisefertig. Auf die Bitte der Alten sann sie ein Weilchen nach. Bertus’ Blicke hingen an dem schönen Antlitz mit den gesenkten Augen, über welche die starken schwarzen Brauen sich dichter zusammengeschoben hatten. Endlich sah Kordel empor, und den jungen Seemann fest anschauend, sprach sie ruhig:

„Deine Begleitung will ich nicht. Kannst Du dagegen mit gutem Gewissen behaupten, daß keine Gefahr dabei, so magst Du mich hinübersegeln.“

In des jungen Mannes Antlitz flackerte es auf.

„Scheust Du nicht etwas Sprühwasser,“ rief er aus, „so schaffe ich Dich innerhalb drei Viertelstunden hinüber; zurück ist’s für mich Spielerei.“

„Gut,“ versetzte Kordel erleichtert, „Du hast’s gesagt, und ich traue Dir zu, daß Du nicht mehr versprichst, als Du halten kannst. Um’s Sprühwasser kümmere ich mich wenig.“

„So wollen wir keine Zeit verlieren,“ bemerkte Bertus eifrig, „je früher wir aufbrechen, um so besser! Lebt wohl, Mutter! In anderthalb Stunden bin ich wieder da.“ Er trat auf den Flur hinaus, wo er sich in sein Regenzeug warf, während Kordel auf ihrer alten Freundin Rath sich ähnlich ausrüstete und Abschied nahm.

Im Garten harrte Bertus ihrer. Er trug auf der Schulter einen kurzen Mast nebst Gaffel und aufgerolltem Segel und eine Ruderstange. Als Kordel bei ihm eintraf, schlug er ohne Zeitverlust ihr vorauf den Weg nach dem Strande ein.




3.

Der Himmel war dicht verhangen und sandte fortgesetzt seinen kalten Regen nieder. Abendliche Schatten verkürzten die Fernsicht, welche durch den Regen ohnehin arg begrenzt war. Als die beiden jungen Leute den Strand erreichten, dehnte die See sich als eine heftig bewegte, düster graue Fläche vor ihnen aus. Die Brandung war nur mäßig, weil die Wogen durch den Wind abwärts getrieben wurden. Der mit Seetang bedeckte Strand erzeugte den Eindruck, als ob der Wasserstand ein niedrigerer geworden wäre. Nur hin und wieder rollte eine Dünung weiter herauf. Eine solche benutzte Bertus, das mit dem Kiel auf einer Planke ruhende Boot flott zu machen. In dem Augenblicke, in welchem dieses den trockenen Strand verließ und sofort von einer neuen Dünung emporgehoben wurde, schwang Kordel sich hinein. Bertus folgte ihr nach, und die Ruderstange handhabend, gelangte er bald so weit, den Mast einsetzen und das Segel lösen zu können. Durch die Dünen der Landzunge geschützt, brauchte er nur gegen die unregelmäßigen Schwellungen zu kämpfen. Kordel hatte auf der letzten Bank Platz genommen. Bertus setzte sich neben sie und ergriff das Steuer. Mit der linken Hand hielt er die durch einen Ring laufende und zweimal um einen Pflock geschlungene Segelleine. Langsam und den ungestümen Bewegungen des Wassers nachgebend, trieb das Boot seewärts. Plötzlich aber traf es ein heftiger Windstoß, der es fast auf die Seite legte; dann gewann es stetigeren Curs, und einige Minuten später war es der vollen Wirkung der Kühlte preisgegeben.

„Es ist doch schlimmer, als ich erwartete,“ brach Kordel nach kurzer Fahrt das Schweigen, und forschend ruhten ihre Blicke auf dem Gefährten, der scharf über den Bug des Fahrzeuges hinwegspähte.

„Es müßte weit schlimmer kommen, um uns gefährlich zu werden,“ antwortete Bertus, ohne die Richtung seiner Blicke zu ändern.

„Aber die Brandung drüben!“

„Ich schaffe Dich wohlbehalten auf’s Trockene, Kordel, und bedaure nur, daß es nicht anders weht. Verwandelte die See sich in brennenden Schwefel, so wär’s der Rede werth.“

Ein eigenthümlicher Ausdruck lag in des jungen Mannes Stimme, daß es Kordel befremdete, sogar ängstigte. Aber als sei das Schweigen inmitten des sich allmählich in Dämmerung hüllenden tosenden Elementes ihr noch peinlicher gewesen, hob sie nach kurzem Sinnen wieder an:

„Wir sind öfter diesen Weg gefahren, schon als ich noch Kind war, allein böseres Wetter hatten wir nie. Ich seh Dir’s an, wie Du Dich abmühst, den Curs zu halten. Es wäre besser gewesen, wir hätten die Fahrt unterlassen.“

„Nein, Kordel, besser wär’s nicht gewesen,“ stieß Bertus förmlich heraus, „denn nun kann ich Dir wenigstens zu Diensten sein. Meine Begleitung auf dem Landwege schlägst Du aus, als ob’s eine Schande wäre, mit einem Fischerknechte gesehen zu werden, und nun ist Dir mein Segeln nicht gut genug. Was hab’ ich anders von Dir, als daß ich Dir meinen guten Willen beweise? Hätte ein Typhoon die See bis auf den Boden aufgewühlt, so würde ich keine Secunde geschwankt haben, Dich zur Fahrt einzu laden.“

„Du denkst nicht an den Gram Deiner Mutter, wenn Du von Deiner tollkühnen Fahrt nicht zurückkehrtest. Die arme Frau wäre gänzlich verwaist, fänden wir Beide unsern Untergang.“

Bertus antwortete nicht gleich. Zwei Wogen, die schnell aufeinander folgten und das kleine Fahrzeug zu begraben drohten, nahmen seine ungetheilte Aufmerksamkeit in Anspruch. Nachdem sie einen Sprühregen über die beiden Gefährten hingesendet hatten, rollten sie davon.

„Lege Deinem Arm um mich, und Du sitzest sicherer,“ sprach Bertus darauf, und seine Stimme zitterte vor Erregung.

„Ich sitze gut genug,“ antwortete das Mädchen gleichmüthig, „ich möchte Dich in Deinen Bewegungen hindern.“

„Kordel,“ begann Bertus nach einer längeren Pause, „wenn ich mich dadurch versündige , ist’s nicht meine Schuld; denn ich kann nicht anders. Meiner armen Mutter gönne ich das Beste, aber auch ohne uns Beide wäre sie nicht verlassen; es giebt noch gutherzige Menschen in der Welt, und sollte ich vereint mit Dir sterben, wäre mir’s eine rechte Wohlthat.“

„Rede nicht lästerlich, während wir über der Tiefe schweben!“ versetzte Kordel mit heimlichem Beben; „oder meinst Du, mir wäre damit gedient, in Deiner Gesellschaft zu Grunde zu gehen? Mein letzter Gedanke würde Deiner Mutter gelten, der nichts Anderes bliebe, als gleichfalls zu sterben.“

„Wie Dir’s widerstand mit mir auf dem Lande gesehen zu werden, so peinigt Dich jetzt die Besorgniß, man könnte uns am Strande finden, Beide todt und starr, und wie ich Dich halte, fest, ganz fest, daß sie uns in ein Grab legen müßten. Kordel, höre, wie der Wind heult, sieh, wie die See’n ihre Arme nach uns ausstrecken! Aber ich verspotte sie. An meine Mutter denke ich, doch mehr an Dich, verschaffte ich Dir dadurch ’ne frohe Stunde, spränge ich gleich über Bord. Wenn ich das Steuer herumwürfe, so sänken wir einige Minuten später Seite an Seite auf den Meeresboden. Aber ich will nicht, Kordel; durch mich sollst Du kein Leid erfahren. Meinst Du daß ich unziemlich rede, so trägt das Meer die Schuld! Hei, wie’s dunkelt! Doch hinter den Wolken scheint der Mond, und der Schaum hilft ihm leuchten. Bei solchem Wetter packt’s mich, wie Jemand, der beim Trinken des Guten zuviel gethan und daher offen ausspricht, wie ihm um’s Herz ist, und der keine Ueberlegung kennt. Ja, Kordel, es muß herunter von meiner Seele: daß ich Dir nichts anderes sein kann, als der Sohn Deiner alten Freundin, das weiß ich, aber daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_143.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)