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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

denn hier sind wir unter uns, und einen Grund, Dir’s zu verheimlichen giebt’s nicht. Ja, manche Unze rothes Gold hat Dein ehrlicher Vater mühsam aus dem californischen Sande herausgewaschen, und manchen Schweiß- und Blutstropfen dafür eingescharrt – ist’s nicht so, Peter Seiling?“ kehrte er sich diesem zu, der kaum noch die Kraft besaß, sein Haupt zustimmend zu neigen. „Ja, Cordula, wir sind nicht nur Verwandte, sondern auch gute Freunde; für ein Ding aber von Deinem Alter, und meines Freundes Tochter obenein sollt’ sich’s wohl schicken, einem Anverwandten nicht mit Hoffahrt zu begegnen.“

„Kordel, der Mann hat Recht,“ nahm Seiling mit sichtbarer Anstrengung das Wort, „reich’ ihm die Hand und sei gut Freund mit ihm, denn er verdient’s. Hat langer Seedienst ihm eine rauhe Art des Redens gegeben, so ist er deshalb nicht schlechter geworden,“ fügte er hinzu, mühsam redend, als wollten die Worte ihm auf der Zunge ersterben.

Kordel betrachtete Klaas forschend. Sein zuversichtliches Grinsen verwandelte ihren Widerwillen in Haß.

„Bin ich ein Kind?“ fragte sie achselzuckend, und dichter zog sie die starken schwarzen Brauen zusammen, „ein Kind, welchem man lehrt, wie’s einen Fremden begrüßen soll, ohne es um seinen eigenen Willen zu befragen? Bietet mein Vater Euch eine Heimstätte, so ist mir’s recht. Mich dagegen kann man nicht zu etwas zwingen, das mir widerstrebt.“

Sie kehrte sich ab, um zu gehen, als Seiling sie aufhielt.

„Kordel, Du hast eine böse Fahrt gehabt,“ hob er an, „Unwetter macht hungrig und durstig,“ und er wies auf den gedeckten Tisch, „da, komm her, setze Dich und leiste uns Gesellschaft.“

„Ich habe gegessen und getrunken, Vater,“ antwortete Kordel, sich wieder abkehrend, „Wind und Regen haben mich ermüdet. Ich bedarf mehr der Ruhe als der Speisen.“

Sie schritt davon, und die Thür schloß sich hinter ihr.

Die beiden Männer schwiegen, ein Geräusch ließ sich über ihnen vernehmen – Kordel betrat das Giebelzimmer über ihren Häuptern.

„Das ist ein Satansmädchen geworden,“ bemerkte Klaas und rauchte gemächlich seine Pfeife, die er während Kordel’s Anwesenheit fast hatte ausgehen lassen, über der Lampe an; „gewiß ein hart Stück Arbeit, mit ihr fertig zu werden, wenn sie Einem erst über den Kopf gewachsen ist. ’s Einzige wäre, sie mit Jemand zusammenzusplissen, der eine widerhaarige Kraft zu steuern verstände. Zu jung dürfte er nicht sein. Ich calculire, ein Mann in meinem Alter möchte bald genug eine vernünftige Frau draus machen.“

Seiling fuhr empor. Aus seinen Augen sprühte es unheimlich, und die Hände vor sich auf den Tisch legend, ballte er sie, als wäre er im Begriffe, Jemand zu würgen.

„Klaas,“ versetzte er kaum verständlich, „zerlumpt und zerfetzt bist Du zu mir gekommen. In mein Haus habe ich Dich aufgenommen, Dich gekleidet, Dir einen wöchentlichen Nothgroschen und frei Quartier auf unbestimmte Zeit versprochen, und was ich einmal versprach, das halte ich. Hüte Dich aber, die Grenze zu überschreiten, oder Du erfährst, daß mein Leben mir nicht mehr werth ist, als dieses zerbrechliche Werkzeug,“ und er zermalmte die vor ihm liegende Thonpfeife mit einem einzigen Griffe seiner harten Hand.

Klaas, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt und das Haupt auf den knochigen Fäusten rastend, sah mit boshaftem Grinsen in Seiling’s Augen.

„Es ist wahr,“ meinte er gleichmütig, „bequem genug hast Du mir’s gemacht, wär’s aber auch geschehen, hielte ich Dich weniger fest am Geitau? Und was Du eine Grenze nennst, hängen will ich, wenn ich’s begreife. Ereifere Dich also nicht, sondern calculire vernünftig! Ich bin nun einmal hier vor Anker gegangen, und finde ich eine gute Pflege, so kommt’s nicht unverdient. Aber dumm und blind, wie die Augen einer chinesischen Dschonke, wären wir Beide, wollten wir uns gegenseitig das Leben verbittern und zur Last machen. Wirst in mir stets einen gefälligen Maat finden – mit dem Mädchen werde ich schon fertig – will sogar zu meinen Worten sehen, daß Dich nichts wurmt, aber auch Du sollst mit mir verfahren, wie mit einem guten Anverwandten, und ziehen wir denselben Strang, so haben wir Beide den Profit davon. Da, Maat, hier ist meine Hand, zum Zeichen guter Freundschaft, und daß mir’s Ernst ist, nicht mit Dir in Havarie zu geraten, so lange Du selber nicht vergißt, was Du mir schuldest. Andern Falls beweise ich Dir, daß mein Leben mir nicht mehr werth ist, als Dir das Deinige. Also her die Hand!“

Seiling’s Haltung war wieder erschlafft. Einem Träumenden ähnlich, legte er seine Hand in die gebotene. Kaum aber hatte er sie berührt, als er zitternd zurückfuhr.

„Thust Du,“ sagte der Andere, „als hätte ich in eine Theertonne gegriffen! Möchte berechnen, wessen Hand die sauberste.“ Er lachte wiederum, und Rumflasche und Zucker zu sich heranziehend, begann er mit dem Ausdrucke Jemandes, der einen Gast bewirthet, zwei Gläser zu füllen. „’s ist nichts ohne einen Trunk,“ erklärte er mit widerwärtiger Vertraulichkeit; „ein Vertrag, der nicht durch einen steifen Grog eingeweiht wurde, hat keine Gültigkeit.“

Er schob Seiling das eine Glas hin, und das andere emporhebend, stieß er kräftig gegen jenes. „Gut Glück zu uns Beiden!“ lautete sein Toast, „der Abend dauert noch, und zu lange haben wir uns nicht gesehen, als daß wir das Wiedersehen nicht feiern sollten; wo diese Flasche Rum hergekommen ist, finden wir mehr.“

Wie ein Schlaftrunkener hob Seiling das Glas und stürzte den Trunk auf einen Zug hinunter. Klaas füllte die Gläser sofort wieder, ohne daß Seiling Einwendungen erhob. Im Gegenteil: in demselben Maße, in welchem das berauschende Getränk auf ihn wirkte, schien auch sein Durst sich zu steigern. Es erfüllte ihn der dumpfe Trieb, Vergessenheit zu suchen. Während aber Klaas sich mehr und mehr erheiterte, wurde Seiling mürrischer. Mehrfach überraschte Klaas ihn, daß seine heftig geröteten Augen mit einem unzweideutigen Ausdruck verhaltenen Grimmes auf ihm ruhten.

Mitternacht war nicht fern, als Seiling endlich mit unsicherer Hand seinem Gaste nach dem Boden hinaufleuchtete und ihm dort eine Kammer anwies. Nicht auf nächtigenden Besuch eingerichtet, breitete er auf dem Fußboden eine Seegrasmatratze aus, welcher er zwei wollene Decken beifügte. Ein besseres Lager verlangte Klaas nicht; doch meinte er, als Seiling ihn verließ, daß es seines Freundes würdiger wäre, wenn er baldigst für ein gemächlicheres Unterkommen und vor allen Dingen für ausreichend neue Wäsche und Kleidungsstücke sorge.

Schwankend und keines Gedankens mehr fähig, begab Seiling sich in sein Zimmer hinab und warf sich unentkleidet auf’s Bett. Das Entsetzen, welches Klaas’ Erscheinen ihm einflößte, die Verzweiflung, welche ihn im Verkehr mit demselben ergriff, die bösen Gedanken an die Zukunft, Alles ging unter in der seine Sinne umnachtenden Betäubung.

Eine halbe Stunde hatte Todtenstille im Hause geherrscht, als seine Zimmertür sich leise öffnete und Kordel, ein Licht in der Hand, in derselben erschien. Das Geräusch unter ihr hatte sie so lange wach erhalten. Wie eine Ahnung drohenden Unheils lastete es auf ihrem Gemüth. Jetzt aber, da sie den Vater in todähnlichem Schlafe vor sich liegen sah, ihn, der sich nie eine Unmäßigkeit hatte zu Schulden kommen lassen, jetzt schauderte sie zurück. Sie errieth, daß mit dem Fremden ein Feind unter ihr Dach eingezogen sei, den zu bekämpfen ihre Kräfte nicht ausreichten. Die unheimlichen Beziehungen, welche ihn an ihren Vater knüpften, ängstigten sie. Lange betrachtete sie den tief und rauh Athmenden, der auf seinen Zügen noch immer die sprechenden Spuren der jüngsten Erregungen trug. Seine Brust hob und senkte sich, wie bei einem Erstickenden. Die Hände hatte er krampfhaft geballt, als hätte er im Traum mit Jemand auf Leben und Tod gerungen.

Da bewegten sich seine Lippen. Gespannt neigte Kordel sich über ihn hin. Es war klar: beeinflußt durch den Lichtschein, begann seine Phantasie zu arbeiten. Bilder, wie ihm solche während seines Zusammenseins mit Klaas vorgeschwebt haben mochten, wiederholten sich, jedoch in wirrer Folge und entstellt.

„Klaas, Du bist ein Schurke,“ entwand es sich endlich seinen knirschenden Zähnen mit dem Ausdruck unbezähmbarer Wuth, „ich handelte aus Nothwehr, Du – Du mordest mit Ueberlegung – ach, meine arme Kordel!“ – er knirschte wieder mit den Zähnen, und von neuem legte sich Erstarrung um seine Sinne.

Kordel zögerte. Erst nachdem sie sich überzeugt hatte, daß sie vergeblich auf weitere Kundgebungen harren würde, verließ sie

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