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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

die man auch im Zodiakallicht wiederholt wahrgenommen hat, namentlich in seinen unteren, dem Sonnenkörper näheren Regionen.

Aber die Strahlen jenes leuchtenden Kranzes, dessen Schichten man kurz unter dem Namen Corona zusammenfaßt, erreichten gewöhnlich nicht eine solche Ausdehnung, daß man sie mit dem Zodiakallichte hätte in Verbindung bringen können. Ganz anders bei der letzten in Nordamerika beobachteten Sonnenfinsterniß. Fast alle auf sehr von einander entfernten Stationen vertheilte Beobachter sahen die Sonne in der Richtung der Ekliptik zwei Lichtflügel aussenden, die sich jederseits sechs Grad von der Sonne ausbreitete und dem Zodiakallicht entsprechen würden. Man sieht in der von dem englischen Astronomen Lockyer, der zur Beobachtung nach Amerika gereist war, entworfenen Skizze, daß der eine dieser hellleuchtenden Flügel wie ein Fischschwanz ausgeschnitten erschien. Merkwürdiger Weise sah man diese Erscheinung nur mit bloßem Auge; im Fernrohr verschwand sie, wahrscheinlich weil der zarte Lichtschimmer durch die Vergrößerung (Vertheilung auf größere Flächen) zu sehr geschwächt wird. Langley, der bei besonders klarer Luft auf Pike’s Peak beobachtete, konnte „die dem Zodiakallicht ähnliche Corona“ auf der eine Seite zwölf Sonnendurchmesser weit verfolgen. Newcomb und Sampson sahen ebenfalls diese merkwürdigen Lichtfahnen, und zwar um so besser, wenn sie den übrigen Theil der Corona mit einem Schirm verdeckten.

Wahrscheinlich war die von den meisten Beobachtern constatirte ungewöhnliche Lichtschwäche der Corona gegen sonst, die ihrerseits mit der längst bekannten periodischen Abnahme der Sonnenflecken und Protuberanzen zusammenhängen mag, die Ursache, daß man, von dem Coronalichte weniger geblendet als sonst, diese Lichtfahnen überhaupt wahrnehmen konnte, und Professor Newcomb will in ihnen, wohl mit Recht, nur den innersten und hellsten Kern des Zodiakallichtes wieder erkennen, während die Coronahelligkeit immer noch zu bedeutend gewesen sein möchte, um die matter leuchtenden äußersten Umrisse hervortreten zu lassen. Professor Cleveland aber, der ebenfalls vom Pike’s Peak – einem circa 14,000 Fuß hohen Gipfel der Felsengebirge in Colorado – die Sonnenfinsterniß beobachtete, glaubt aus der Erscheinung der Lichtfahne, die er sehr schön sah, schließen zu sollen, daß sie nicht von einer beleuchteten Atmosphäre der Sonne, sondern von einem um sie kreisenden Meteor-Ringe hervorgebracht seien. In der That würde man sich die Gestalt der einer Schwalbenschwanz-Flamme ähnlichen Hälfte am leichtesten aus der Beleuchtung eines an dieser Stelle durchbrochenen Ringes erklären können, und damit würde die schon ältere Theorie, daß das Sonnenfeuer durch hereinstürzende Meteor-Massen genährt werde – wofür auch neue spectroskopische Beobachtungen sprechen – eine weitere Stütze erhalten. Wie dem auch sein mag, jedenfalls ist durch diese Beobachtung der Beweis erbracht worden, daß das Zodiakallicht ohne Zweifel zu den Umkreisungs-Phänomenen der Sonne gehört.

Für die Wahrscheinlichkeit, daß diese ausgebreiteten Sonnenflügel bei totalen Finsternissen öfter wahrgenommen worden sind, sprechen eine Reihe mythologischer Darstellungen der alten Aegypter höchst eindringlich. Zu unzähligen Malen über Tempelpforten und auf Denkmälern haben sie die Sonnenscheibe mit zwei weit ausgebreiteten Flügeln versehen dargestellt, und den Sonnengott (Ra-Osiris) geschildert, wie er, in einer Lichtbarke dahinsegelnd, seinen Weg vollendet. Diese Symbole wären somit ein nahezu getreuer Ausdruck der wirklichen Naturerscheinung, wie sie sich gelegentlich, wenn auch selten, dem Auge darbietet. Ueberhaupt wäre es seltsam, wenn das Zodiakallicht in den seiner Beobachtung günstigeren Ländern nicht häufiger die menschliche Phantasie erregt habe sollte. So berichtet z. B. ein altaztekisches Manuscript der Pariser Bibliothek, welches Humboldt aufgefunden hat, daß der König Moutezuma 1509 in einem pyramidalen Lichte, welches man vierzig Nächte lang auf der Hochebene von Mexico am östlichen Himmel erscheinen sah, ein Unglückszeichen erblickt habe. Es kann das wohl nur das Zodiakallicht gewesen sein, und dann wäre diese aztekische Aufzeichnung über dasselbe die älteste, welche man kennt.

Carus Sterne.



Die Pest.
II. Zeitliche und örtliche Verhältnisse der Krankheitsverbreitung. – Ursächliche Momente.

Wenn ein mächtiger unterirdischer Quell in der einsamen Senkung eines Gebirgsthales plötzlich durch das Erdreich bricht, wenn er seine Umgebungen überströmt und endlich weit und breit Alles mit einem gleichmäßigen Wasserspiegel bedeckt, – wer vermag dann genau zu sagen, an welcher Stelle das Unheil seinen Anfang nahm? Zwar ist es Diesem oder Jenem noch dunkel in der Erinnerung, daß eine Uferstrecke erst neuerdings bedeckt wurde, aber eine genaue Vorstellung von der Zeitfolge, in der Alles verschwand, von dem Punkte des Durchbruchs läßt sich nicht gewinnen. Da fängt der Quell an, schwächer zu fließen; immer mehr Erdreich wird frei, und endlich legt sich von wenigen noch übrig gebliebenen kleinen Seen auch der vorletzte trocken: im letzten findet man die Durchbruchsöffnung des verhängnißvollen Quells.

Unter diesem Bilde stellen sich uns die geographischen und geschichtlichen Verhältnisse der Verbreitung der Pest dar. Grausend und wehklagend eröffnen uns die Chronisten des vierzehnten Jahrhunderts den Ausblick auf die Hochfluth des „großen Sterbens“, wie es den asiatisch-europäischen Continent von den Ostgrenzen Chinas bis zum atlantischen Ocean überzog; selbst entsetzt und Entsetzen erregend zeigen sie uns, wie von den 105 Millionen Menschen Europas 25 Millionen der Pest zum Opfer fielen. Wer fragte damals nach einer Beweisführung, ob alle die als „Pest“ oder „Pestilenz“ verzeichneten Volkskrankheiten des Mittelalters diesen Namen auch verdienten? Wer mochte auf der Flucht und im Schrecken prüfen, ob die erste wirkliche Pest unter Justinian im Jahre 543 nach Europa gelangte, oder ob man berechtigt war, im engeren Sinne zu sprechen von der Pest des Thucydides? Wer konnte sich so gründlich in die Tiefe des allgemeinen Unglücks versenken, um die Quelle zu entdecken, von welcher aus die Seuche über die Welt gekommen war?

Als durch die Forschung gesichert darf angenommen werden, daß in Europa die große Pest der Jahre 1346 bis 1347 am frühesten in Sicilien, Cypern, Griechenland, Sardinien und Corsica ausbrach, daß sie sich im folgenden Jahre von den südlichen Küsten her über Spanien und Frankreich, gleichzeitig von hier aus nach England und von Italien nach Dalmatien verbreitete. Das Jahr 1349 bringt die Verseuchung Deutschlands sowohl von Kärnthen und Mähren, wie andererseits vom Rhein aus, während gleichzeitig von England her Norwegen, Schweden, Dänemark und Schleswig-Holstein ergriffen wurden. Von Süden und von Norden her treffen dann beide Ströme der Seuche in Norddeutschland zusammen, und zu gleicher Zeit werden in östlicher Richtung Ungarn, Böhmen und Polen, endlich 1350 und 1351 Rußland – zuerst das mittlere, dann das nördliche und südliche – überfluthet. Die Angaben, daß in Wien 40,000, in Neapel 60,000, in London 100,000 Pesttodesfälle innerhalb weniger Monate vorgekommen, erscheinen fabelhaft, obgleich sie sich auf die übereinstimmenden Zeugnisse der glaubwürdigsten Berichterstatter stützen.

Von 1357 bis 1360 erneuern sich an verschiedenen Stellen Europas die wüthendsten Pestausbrüche, sodaß zuerst die Donauländer, dann Oberitalien und England, 1360 Ostdeutschland, Polen und Rußland in der entsetzlichsten Weise heimgesucht werden. Doch beginnt in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts eine entschiedene Ebbe, besonders auch bezüglich der Tödtlichkeit der Pest. Der sehr angesehene Arzt Chalin de Vinario stellte eine Vergleichung der durch die verschiedenen Pestepidemien verursachten Sterblichkeit an und kam zu dem Resultat, daß im Jahre 1348 zwei Drittel der Bevölkerungen erkrankten und dabei fast keiner genesen sei; 1361 sei die Hälfte erkrankt, sehr wenige genesen; 1371 betrug bei Genesung Vieler die Zahl der Erkrankungsfälle ein Zehntel, und auf die Epidemie von 1382 rechnet er nur ein Zwanzigstel Erkrankungsfälle, von denen die meisten in Genesung übergingen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_179.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)