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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

nothwendig gewesenen Kürzungen, als Buch gedruckt worden.[1] Die Vollendung dieses Druckes sollten beide Männer nicht mehr erleben. Von einer Lungenentzündung ergriffen starb von Meyern am neunten März 1878. Am folgenden Tage brach Ernst Keil’s letzte Krankheit mit großer Heftigkeit aus. Noch einmal, am elften März Nachmittags, schleppte sich der Kranke aus seinen Wohn- zu den Geschäftsräumen herab – so schwer trennte er sich von seinem Arbeitspult. Sein erster Blick dort fiel auf die Anzeige von Meyern’s Tode, die dessen Gemahlin gesandt hatte. Tief erschüttert kam er mit dem schwarzgeränderten Brief in mein Arbeitszimmer. „So ist er auch todt, der Mann mit seiner geistigen Frische und Schaffenslust. Die „Gartenlaube“ darf ihn nicht vergessen. Sorgen Sie für ein Lebensbild Ihres Freundes und sein Portrait dazu.“ Das war Ernst Keil’s letzter geschäftlicher Auftrag. Zwölf Tage später stand das Haus der „Gartenlaube“ in seiner tiefsten Trauer.

Jetzt, wo zum ersten Male die Jahrestage jenes schweren Märzmonates kommen, sei der Erinnerung an unsere Todten dieses Blatt geweiht und dem ehrenden Vermächtniß des einen für den andern nach Kräften genügt!

Gustav von Meyern-Hohenberg.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Das Lebensbild eines Mannes, der nicht die einfache Laufbahn eines Gelehrten durchmessen, sondern in Hof- und Staatsdiensten dem öffentlichen Leben und den höchsten Gesellschaftskreisen in den denkwürdigsten und wichtigsten Tagen unserer Zeitgeschichte nahe gestanden, in dem engen Rahmen eines Artikels wiederzugeben, ist eine nur unvollkommen zu bewältigende Aufgabe. Wenn ich das reiche Material zu dieser Arbeit übersehe, die vielen Briefe von der Hand des Dahingeschiedenen, von seinem neunten Jahre an bis kurz vor seinen letzten Tagen – welche Fülle von kleinen und großartigen, heiteren und tieftragischen Erlebnissen und Schilderungen, die vom engen Kreise der eigenen Existenz und Familie bis zu den weiten und weiteren des Staates und der hohen Welt sich ausbreiten! Dann die Briefe an ihn und ebenso viele über ihn, dazu die zum Theil angedeuteten, zum Theil beigelegten Berichte diplomatischer Natur aus seiner Feder, und endlich die Zahl seiner zerstreut erschienenen lyrischen und dramatischen Arbeiten – da muß ich wohl den Wunsch aussprechen, daß ein Anderer, den Muße und Geschick besser, als mich, dazu befähigen, dieses reiche Material dazu verwenden möge, an die Spitze einer Gesamtausgabe der Werke dieses Dichters eine ausführliche, farbenreiche Darstellung seines Lebens zu setzen; für sie möchte dann gern das Folgende als ein bescheidener Leitfaden dienen.

Gustav von Meyern wurde am 10. September 1820 in dem braunschweigischen Marktflecken Calvörde geboren, wo sein Vater sich, nach schweren Kriegsdiensten, die ihn als westfälischen Obristlieutenant auch nach Spanien geführt hatten, noch im hohen Mannesalter als Domänenpächter ein festes Heim gegründet. Derselbe konnte seiner zahlreichen Familie kein entsprechendes Vermögen hinterlassen, aber er gab seinen Kindern zwei Schätze mit: ein reiches Wissen und einen festen Willen zum Kampf mit dem Leben; auf Gustav ging dazu auch der gesunde Humor über, welcher dem Vater bis in das höchste Alter treu geblieben war. Neben dem Vater stand die ernste, gewissenhafte Mutter, die namentlich die größeren Kinder nicht durch Zärtlichkeitsbeweise verzog, wie das „überhaupt norddeutsche Art ist". Alle mußten sich in dem großen Familienkreise an bescheidene Verhältnisse gewöhnen, und aus dieser Schule hat Meyern das Beste für sein späteres Leben mitgeommen.

Die ersten Spuren seines Dichtergeistes finde ich in einem Briefe des neunjährigen Knaben, der seiner Schwester jubelnd verkündet. „In dem großen Garten sind schon einige Rosen aufgeblüht und schon eine Nelke!" Praktisch bewährte er ihn als Gymnasiast in Stendal, wo er bei einem Töpfer wohnte. Er verzierte die irdenen Teller und Schüsseln mit selbstgedichteten Reimsprüchen und verhalf damit dem Manne zu vermehrtem Absatz seiner Waare.

Seine juristische Studien begann Meyern in Berlin und setzte sie in Göttingen fort, um sie in Berlin, und zwar mit dem Staatsexamen zu beenden. Hier müssen wir eines Leidens gedenken, das Meyern von Kindheit an durch einen großen Theil seines Lebens viele qualvolle Stunden bereitete, namentlich seine spätere amtliche Pflichterfüllung erschwerte. Er hatte den Sprechfehler des Stotterns, und zwar in der unheimlichen Weise, daß in gewöhnlicher Unterhaltung und oft lange Zeit das Uebel verschwunden schien, aber plötzlich mit seiner peinigenden Gewalt wieder ausbrach, wenn er seelisch erregt war oder öffentlich reden sollte. Wie das Tückische dieses Leidens ein ganzes Mannesleben verbittern, ja vom Mitgenuß des öffentlichen Lebens zurückscheuchen kann, haben wir an Ernst Keil („Gartenlaube" 1878, S. 580) erfahren. Wie dieser hatte auch Meyern kein Mittel zur Heilung von dem Gebrechen unversucht gelassen, das gefährlichste noch in Berlin, wo er sich dem damals von dem berühmten Dieffenbach gegen das Stottern angewandten Zungenschnitt unterwarf. Kurz zuvor sollen zwei Studenten der Operation erlegen sein. Wagniß und Schmerzen waren für Meyern vergeblich. Dieffenbach rieth ihm zu einem zweiten Versuche, und so schwer drückte ihn sein Gebrechen, und mit solcher Energie war er gegen körperlichen Schmerz gerüstet, daß er darauf eingehen wollte, wenn der Professor ihm mit seinem Ehrenwort versichere, daß die zweite Operation nicht wieder vergeblich sei. Das wagte Dieffenbach nicht, und so schied Meyern von Berlin und nahm das unheimliche Gefühl seines Zustandes mit in den Staatsdienst hinüber, in welchen er im November 1842 zu Coburg trat. Er wurde erst im Justizamt, dann im Justizcollegium verwendet. Aber schon nach einem Jahre erkannte er die Unverträglichkeit seines Gebrechens mit seiner Stellung: während einer Eidesleistung, die er zu leiten hatte, kam es plötzlich so heftig über ihn, daß dadurch die feierliche Handlung gestört wurde.

Der meist innere Kampf mit der Wahl eines andere Lebensberufes trübte ihm die folgenden vier Jahre. Zunächst glaubte er als Officier von seinem geheimen Leiden am wenigsten belästigt zu werden. Auch sagte ihm, auf seine Bitte, sein Landesherr (Herzog

  1. Teuerdank’s Brautfahrt. Romantisches Zeitbild aus dem fünfzehnten Jahrhundert von Gustav v. Meyern. Leipzig, Ernst Keil, 1878.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_193.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)