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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Ernst von Coburg-Gotha) eine Officierstelle zu, mahnte ihn jedoch zum Ausharren auf der einmal betretenen Bahn, versetzte ihn zur Secretarie der Landesregierung und ernannte ihn zum Kammerjunker. Dennoch quälte ihn die Angst vor seinem Gebrechen fort. Da zeigte sich ihm als eine zweite Berufsaussicht die Schriftstellerei, der er sich bis jetzt aus innerem Drange nur im Stillen ergeben hatte. Sein damaliges verlockendes Vorbild war Gustav von Heeringen, der seiner Zeit viel gelesene Novellist und Reiseschilderer, welcher als Regierungsrath und Kammerherr in Coburg lebte und dem die „Gartenlaube“ im Jahrgang von 1869 („Zwei Mönche einer protestantischen Hochschule. I. Banz und der Pater Roman“) ein Blatt der Erinnerung gewidmet hat. Durch ihn wurde ich schon damals mit Meyern bekannt, den ich mit seinem schönen Liede „Die Klage der Nachtigall“ in meinem „Weihnachtsbaum für 1844“ in der Literatur einführte.

Als endlich kurze Zeit darnach in Mainz sich der deutsche Adelsverein unter dem Prinzen von Solms-Braunfels zur Leitung der Auswanderung nach Amerika bildete, richteten auch Meyern’s hoffende Blicke sich dorthin; ja, so energisch ergriff er den Gedanken, daß er fortan jede freie Stunde abwechselnd bei einem Schreiner und einem Schmiede zubrachte, um in den für den Ansiedler notwendigsten Handwerken sich wenigstens einige Fertigkeit anzueignen. Auch von einer Reise zur See nach Petersburg (1847) kehrte er nicht beruhigter zurück, nur daß die damaligen kriegerischen Aussichten ihn bewogen, statt in den Schreiner- und Schmiedewerkstätten jetzt bei einem Unterofficier sich im Exerciren und Bajonnetfechten zu üben. Da brach die Revolution von 1848 aus, und eine der ersten Forderungen in den Kleinstaaten, und auch in Coburg, war bei der trostlosen politischen Unmündigkeit der Volksmassen die: sofort alle „Fremden“ aus dem Staatsdienst zu entlassen. Die Entrüstung über diese Ungeheuerlichkeit bestärkte ihn, obwohl er schon 1845 das coburgische Staatsbürgerrecht erworben, in dem Entschluß, seine Auswanderung nach Ost-Tennessee nun alles Ernstes vorzubereiten.

Aber gerade diese Revolution sollte Meyern zu einem Wendepunkte seines Lebens führen. Am fünften Mai erhielt er den Befehl, den herzoglichen Bundestagsgesandten, Geheimerath von Stockmar, als Secretär nach Frankfurt am Main zu begleiten. Auf diesem Posten, der ihn zu ausführlicher Berichterstattung über alle Ereignisse in der ersten deutschen Parlamentsstadt an seinen Hof und, im Auftrage des Prinzen Albert, auch nach England verpflichtete, verlebte er die ganze schicksalreiche und verhängnißvolle Zeit unmittelbar an der Quelle aller Bewegungen und in der nächsten Nähe der Hauptpersonen aller Parteien. Damals schrieb er an seine Mutter. „Dein junger Sohn ist in wenigen Wochen ein alter Mann an Erfahrung geworden.“ Man hatte den richtigen Mann gefunden, der keine Gefahr scheute, auch wenn sein Amt ihn an eine ausgesetzte Stelle rief. Bei dem Straßenkampfe am Tage nach Lichnowski’s Ermordung, den er vom Balcon des „Römischen Kaisers“ aus beobachtete, pfiff eine Kugel ihm so nahe am Munde hin, daß sie ihm die Cigarre zertrümmerte. – Als im Juli Baron Stockmar Frankfurt verließ, wurde Meyern als Legationssecretär mit der Vertretung der Gesandtschaft bei der Centralgewalt betraut. Er harrte in Frankfurt aus, bis das große Trauerspiel der Nation zu Ende war.

Briefe vom Prinzen Albert, von Stockmar und vom Minister von Stein in Gotha sprechen sich einstimmig in der Anerkennung von Meyern’s Frankfurter Berichten aus, und da er selbst äußert, daß nicht die ja ohnedies durch den Druck veröffentlichten Parlamentsverhandlungen, sondern das Treiben um das Parlament herum und für und gegen dasselbe der Hauptgegenstand seiner Beobachtungen gewesen sei, so ist über den geschichtlichen Werth dieser Actenstücke kein Zweifel, und ein gewissenhafter Geschichtsforscher über diese Zeit wird ihnen einst in den Archiven von Coburg und London nachzuspüren haben.

Die Frankfurter Thätigkeit zog allerdings Meyern mächtig zur diplomatischen Laufbahn, aber auch die Europamündigkeit und die Sorge wegen seines Gebrechens kehrte zurück. Er schrieb schon im November 1848 unter Anderem an seine Mutter: „Es ist wirklich da am besten, wo es keine Politik giebt. Es wird Einem wirr im Kopfe, wenn sich all die tausenderlei Wege darin kreuzen, in die alle man hier in Frankfurt hineinsieht – und doch laufen sie am Ende immer in einen einzigen großen, wenn auch am wenigsten begangenen Weg, den des einfachen, klaren, gesunden Verstandes und der einfachen, geraden Rechtlichkeit zusammen. Diese Politik endlich einmal in die Welt einzuführen ist die Aufgabe unserer neuen jungen, deutschen Diplomaten; das ist auch der Reiz, den diese Laufbahn für mich haben würde.“ – Er hatte damals für die Kaiserwahl einen geglückten diplomatischen Coup ausgeführt, und in Beziehung darauf schrieb er: „Nachdem ich mich auf diese Weise um das Vaterland verdient gemacht habe, kann ich mich mit gutem Gewissen zurückziehen und nach Amerika gehen. – Wer heutzutage nicht sprechen kann, aus dem kann im öffentlichen Leben nichts werden. Und in Deutschland nichts zu sein, dazu bin ich, glaube ich, zu ehrgeizig.“

Trotz der trostlosen Aussicht für Deutschlands nächste Zukunft, die er von Frankfurt nach Coburg zurückbrachte, hielt ihn doch schließlich seine Vaterlandsliebe am alten Boden fest. Auch nahm seine äußere Stellung eine angenehmere Gestalt an, indem der Herzog ihn näher zu sich zog; er ernannte ihn (1852) zu seinem geheimen Cabinetssecretär. Als solcher und zugleich in seiner Eigenschaft als Kammerjunker begleitete er mit zwei anderen Cavalieren im Frühjahre von 1854 den Herzog auf jener Reise nach Paris, die damals an den Höfen und in der Presse die verschiedenartigsten Beurtheilungen fand und doch nicht ohne Erfolg geblieben ist. Der russisch-türkische Krieg war ausgebrochen; die „Westmächte“ standen vor dem Kampf; die beide Großstaaten des deutschen Bundes hatten noch nicht Stellung genommen und hielten sich in ihrer altdynastischen Würde dem junge Kaiserthum des „Parvenu“ fern. Da unternahm es der Herzog, in seiner Eigenschaft als Souverain und durch seine verwandtschaftlichen Verbindungen besonders dazu geeignet, die Absichten der Betheiligten in Bezug auf Deutschland an der Quelle zu erforschen. Meyern’s Feder war bei alledem thätig, aber so streng beobachtete er das Amtsgeheimniß, daß aus seinen brieflichen Mittheilungen nur zu entziffern ist, daß die Möglichkeit der damaligen Neutralität Preußens des Herzogs Verdienst war.

Meyern’s Briefe aus Paris sind noch heute lehrreich für die Geschichte des zweiten französischen Kaiserhofs. Die beiden Hauptpersonen zeichnet er mit wenigen Strichen. Die Kaiserin, damals erst ein Jahr vermählt, gefiel ihm besonders, weil sie, ungezwungenen Wesens und doch aristokratisch fein, gern lachte und ungenirte Antworten liebte. Der Kaiser suchte die deutschen Cavaliere durch Eingehen in ihre Ideenkreise zu gewinnen. So versicherte er einmal Meyern im besten Deutsch: „Wenn ich ein Deutscher wäre, würde ich wie Sie für die Reichseinheit schwärmen.“ Mit besonders scharfem Auge musterte Meyern die Umgebung Beider, die bekanntlich viel zu wünschen übrig ließ. Es war dem Kaiser noch lange nicht gelungen, all den Ballast aus seiner eigenen politischen Schwindelperiode von sich zu stoßen. Das ging auf die Haltung der Hofkreise über. Es fehlte mit der inneren auch die äußere Würde. Das schien man den Deutschen gegenüber zu fühlen, „denn,“ sagt Meyern, „wir waren ja die ersten anständigen Leute, mit denen sie es hier zu thun gehabt.“ Gegen den Herzog sprach er seine Ansicht darüber mit gewohnter Offenheit aus, denn als derselbe ihn schon am Abend des ersten Tages in den Tuilerien fragte, was er von dem kaiserlichen Hofe halte, war Meyern’s unumwundene Antwort: „Hoheit, ich glaube, ich bin noch nie in schlechterer Gesellschaft gewesen.“

Auch im Palais Royal vom alten Onkel Jérôme wurden sie empfangen. „Ich bekam eine unheimliche patriotische Anwandlung, als ich ihn sah,“ schreibt Meyern, dessen Eltern unter dem Westfalenkönig schwer gelitten hatten; „ich habe ihm auch einen Streich gespielt, den ich leider nicht dem Papier anvertrauen darf.“ Wirklich haben die drei betheiligten Cavaliere ein Meisterstück im Schweigen ausgeführt, denn erst fünfzehn Jahre später erhielt der Herzog selbst die erste Kunde davon durch die „Gartenlaube“, Jahrgang 1869, S. 79 und zwar in poetischer Form. Und weil Meyern in jener „modernen Ballade“ den kecken Streich so gar anmuthig und ausführlich geschildert hat, so wollen wir ihn nicht noch einmal erzählen, sondern ihn in jener humoristischen Gestalt der Nachwelt überliefert sein lassen. Das Ende der Festlichkeit bildete eine Ordensvertheilung. „Wir,“ schrieb Meyern an seine Mutter, „haben natürlich die Ehrenlegion bekommen, die uns der Kaiser in Person brachte. Die meinige liegt als Curiosum bei meinen Nippsachen, da man mir doch nicht zumuthen kann, das Bild Napoleon’s des Ersten auf der Brust zu tragen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_194.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2020)