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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Uhren, besonders Schiffsuhren (Chronometer), mehrfach sehr hohe Preise ausgesetzt haben, und daß dadurch eine Anzahl geschickter Chronometermacher in London und Paris veranlaßt wurden, sich mit der Vervollkommnung dieser Uhren zu beschäftigen. Wir nennen nur Harrison, Kendal, Mudge, Emery, Dent und Frodsham in London neben Le Roi, Berthoud, Breguet und Winnerl in Paris. Wer sich daher in diesem Industriezweige gründlich ausbilden wollte, mußte nach den Werkstätten der bezeichneten Künstler eilen, und so suchte und fand denn auch Lange ein Engagement bei Winnerl in Paris, wo er sich durch seine außergewöhnlichen Fähigkeiten und sein Talent im Construiren sehr bald den Platz eines Werkführers errang. Trotz der verlockenden Anerbietungen von Seiten seines Chefs blieb der junge Deutsche nur vier Jahre[WS 1] in Paris; dann kehrte er nach Dresden zurück, verheiratete sich mit der Tochter seines früheren Lehrherrn und trat als Theilhaber in das Geschäft desselben. Zur Aufgabe stellte er sich von jetzt ab die Anfertigung von astronomischen Pendeluhren nach eigener Construction, von Chronometern und verschiedenen complicirten Uhren. Und die Producte seiner Arbeit in diesem Zweige waren so vorzüglich, daß sie auf verschiedenen Ausstellungen stets die ersten Preise erhielten und noch heute in so manchen Sternwarten zu den wertvollsten Instrumenten gerechnet werden.

Ferdinand Adolf Lange.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Unter den Regierungen, welche damals von dem Wunsche beseelt waren, die Uhrenindustrie in ihre Länder zu verpflanzen, zeichnete sich namentlich die preußische durch die in Schlesien nach dieser Richtung hin gemachten Versuche aus. Zu einer nennenswerten Concurrenz mit den Schweizern kam es allerdings dabei nicht, bemerkt aber muß doch werden, daß von diesen schlesischen Werkstätten Anstöße zu der Fabrikation größerer Uhren gegeben wurden, der jetzt so sehr beliebten Regulatoren. Auch unser Lange, der ein guter deutscher Patriot war, beschäftigte sich jetzt im Geiste viel mit der ihm so naheliegenden vaterländischen Industriefrage. Ein trübes Verhängniß in seiner engeren sächsischen Heimath brachte endlich seine Pläne zur Reife. In den übervölkerten Bezirken des sächsischen Erzgebirges, namentlich in dem Müglitzthale, war am Anfang der Vierziger Jahre ein bitterer Nothstand ausgebrochen, und die Schilderungen des dort herrschenden Elends erschütterten das theilnehmende Herz des Dresdener Uhrmachers, der sich wohl erinnern mochte, wie er selber einst so arm gewesen und nur durch Lehre und Anleitung auf einen glücklicheren Weg geführt worden war. Sollte die Kunst, welche ihm selber geholfen, nicht auch einen Theil seiner herkömmlich bei der uneinträglichen Weberei und Strohflechterei verharrenden Gebirgsbewohner retten können? Und je mehr er darüber nachdachte, um so klarer wurde es ihm, daß es der nachdrücklichen und ausdauernden Willenskraft eines Fachmannes möglich werden müsse, die Fabrikation von Taschenuhren im Erzgebirge heimisch zu machen und dadurch zugleich dem deutschen Gewerbfleiße ein neues und großes Thätigkeitsfeld zu eröffnen.

Zunächst legte er seine Pläne der Landesregierung dar, und diese ging sofort auf seinen Vorschlag ein, daß mit ihrer Unterstützung eine Lehranstalt für Uhrmacher errichtet werden solle. In Glashütte, bis dahin einem der ärmsten Städtchen des Gebirges, trat gegen Ende des Jahres 1845 diese Anstalt in’s Leben, und es wurden in ihr nach und nach dreißig Schüler und zwei Schülerinnen herangebildet. Die Anlernung war eine der schwierigsten Aufgaben, und rings umher schüttelten Viele spöttisch den Kopf über das vermeintliche Wahngebilde, mit diesen unwissenden, schlaffen und mannigfach verwahrlosten jungen Leuten ein so schwieriges Werk beginnen zu wollen. Der thatkräftige Lange aber ließ sich dadurch nicht irre machen, und er hat Recht behalten. Gerade mit diesen jungen Leuten hat er seine besten Erfolge erzielt. Was sind aus ihnen für tüchtige strebsame Meister geworden! Sämmtlich Familienväter und Bürger, bilden sie den Stamm der Fabrik, die jetzt aus vielen in der Stadt zerstreuten kleinen Werkstätten und aus 160 Köpfen besteht.

Lange, immer ausgehend von dem Princip, Neues, Originelles, in jeder Weise Gediegenes zu schaffen und dabei alle Fortschritte der Kunst und Wissenschaft zu nützen, begann auch in seiner Schule gleich mit neuen Methoden, indem er zahlreiche Maschinen und Hülfsmaschinen zur Herstellung der einzelnen Bestandteile der Uhren bauen ließ, wobei die Schüler also mit den Maschinen sehr vertraut wurden und sie nach der Vollendung gleich anzuwenden wußten. Wir führen hier die einzelnen neuen Maschinen, zum Theil seine Erfindungen, nicht auf, weil dies nur für Fachleute Interesse haben würde, aber erwähnt muß doch werden, daß Lange schon vor dreißig Jahren den unvollkommen arbeitenden Drehbogen ganz beseitigte und selbst die feinsten Theile der Uhr, wie die Zapfen der Triebe und der sogenannten Unruhe, mit einem durch die Hand bewegbaren Schwungrädchen drehte und vollendete.

Um die einzelnen Theile der Uhren sofort so herzustellen, daß sie genau in einander passen, war vor Allem die Zurückführung auf ein und dasselbe Maß nöthig, und Lange’s Aufenthalt in Frankreich hat sicher dazu beigetragen, daß dieser in der Uhrenindustrie als Maßeinheit für die Größe der einzelnen Theile das Millimeter wählte und durch von ihm neu erfundene Fühlhebel-Apparate Zehntel- und Hundertstel-Millimeter genau abmaß. An der damals bestehenden Zusammenarbeitung der Uhren selbst nahm er wesentliche Veränderungen vor, so z. B. richtete er sein Hauptaugenmerk darauf, daß die Eingriffe der Räder in einander theoretisch richtig, sicher und solid und dabei einfach und ohne alle unnöthige Künstelei waren.

Die Vortheile der Arbeitstheilung erkannte er bereits, und wenn auch die ersten Schüler die Herstellung aller einzelnen Theile der Uhr kennen lernten, so wurden sie doch später mehr für die Anfertigung einzelner Theile ausgebildet. Solche Schüler veranlaßte er dann zur Gründung eigener kleiner Werkstätten, in welchen dieselben wiederum neue Kräfte anlernten; es wurde so für weitere Ausdehnung der Fabrikation gesorgt. Diese in der ganzen Stadt Glashütte zerstreuten Werkstätten bilden, wie wir bereits oben bemerken, noch heute den eigentliche Stamm der Fabrik. Ja, Lange ging sogar so weit, einige seiner Schüler von sich ganz unabhängig zu machen, und veranlaßte die besten, selbstständig Werkstätten für die ganze Uhrenfabrikation anzulegen, sodaß gegenwärtig außer der Hauptfabrik von Lange und Söhne noch Fabriken von Großmann, Schneider und Aßmann in Glashütte existiren. In neuerer Zeit hat sich auch daselbst, gestützt auf die dort vorgefundenen Einrichtungen und


  1. Vorlage: ein Jahr, siehe Berichtigung
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_220.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)