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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Arbeitskräfte, eine Firma Straßer und Rhode etablirt, die sich vorzugsweise mit Herstellung von Rechenmaschinen eigener Construction, Meßinstrumenten aller Art etc. beschäftigt.

Durch den Eintritt der Söhne in das Lange’sche Geschäft konnte dasselbe eine größere Ausdehnung gewinnen, und es ist so der Neubau eines geeigneten Geschäftshauses nöthig geworden, dessen stattliche Außenseite wir unseren Lesern in einer Abbildung vorführen. In den Parterrelocalitäten dieses Hauses befindet sich außer einer kleinen mechanischen Werkstätte, in welcher Maschinentheile angefertigt werden, eine zum Etablissement gehörige Gehäusewerkstatt, welche den größten Theil der in verschiedensten Formen und Decorationen ausgeführte goldenen und silbernen Gehäuse zu den Uhrenwerken liefert und als die einzige Gehäusefabrik im Orte auch teilweise für die anderen Firmen arbeitet. In den oberen Räumen wird ausschließlich die Zusammensetzung der Uhren hergestellt, ihre Vollendung und die genaue Regulirung bewirkt. Denn jede fertige Uhr wird in Glashütte der allersorgfältigsten Durchsicht und Prüfung unterworfen, und keine einzige geht aus dem Hause, ohne daß sie vorher längere Zeit in verschiedenen Lagen und Temperaturen untersucht wurde. Ganz oben in dem Fabrikgebäude befindet sich auch eine Thurmuhr, welche noch von unserm Lange selbst construirt worden ist und deren 10 Meter langes Pendel mit einem Gewichte von über 125 Kilogramm in einem Schornstein sich befindet, der, im Innern des Hauses eingeschlossen, möglichst gleiche Temperatur hält und so den normalen Gang der Uhr herbeiführt.

Auf schwerem und arbeitsvollem Wege hat Lange durch seine Geschicklichkeit und sein wissenschaftliches Streben und Ringen seinen deutschen Uhren nach und nach eine solche Vollkommenheit gegeben, daß diese sich nicht blos den besten schweizer Uhren ebenbürtig an die Seite stellen können, sondern daß die Lange’schen Verbesserungen vielfach im Auslande als mustergültig anerkannt und nachgeahmt worden sind. Diese deutschen Uhren haben daher auch mit Recht auf allen Ausstellungen die ersten Preise erhalten; sie genießen einen Weltruf, sind in Amerika weit verbreitet und finden auch immer mehr Anerkennung in der Heimath und im deutschen Reiche, je mehr die Vortrefflichkeit des heimlichen Products in Bezug auf Solidität, Zuverlässigkeit und äußere Eleganz bekannt wird.

Außer den meisten feinen Remontoiruhren der verschiedensten Größe werden in Glashütte auch complicirte Stücke, Uhren mit Datumzeiger, Chronographen, Uhren mit springender Secunde, mit Repetition etc., gebaut. Der regelmäßige Gang der Uhren ist vielfach geprüft, und die vorzüglichsten werden öfter auf der Sternwarte in Leipzig verglichen und mit einem Zeugniß versehen, welches über den Gang genaue Auskunft giebt. Die Zahl der jährlich in Glashütte angefertigten Uhren beträgt etwa tausendzweihundert[WS 1], wovon ungefähr zwei Drittel die Fabrik von A. Lange und Söhne liefert. In jüngster Zeit ist ein Lieblingswunsch Lange’s in Erfüllung gegangen, indem in Glashütte mit Unterstützung der Regierung und der deutschen Uhrmachervereine eine allgemeine Uhrmacherschule gegründet worden ist, welche zur weiteren Entwickelung dieser Industrie wesentlich beizutragen verspricht. All dieses rege und schwungvoll bewegte, dieses fruchtbar und segensreich sich entwickelnde Leben aber fesselt besonders dadurch unsere Aufmerksamkeit, daß es aus dem Nichts hervorgezaubert, auf gänzlich öder und armer Stätte in’s Leben gerufen wurde durch den Gedanken, das Talent und die Willenskraft eines einzigen Mannes, dem für sein Gründen, Lehren und Wirken keine irgendwie ebenbürtige Kraft zur Seite gestanden hat.

Was den sonstigen Charakter Lange’s betrifft, so stimmen alle Urteile dahin überein, daß er nicht allein ein streng gewissenhafter Arbeiter und Geschäftsmann, sondern auch ein guter und wohlwollender Mensch und ein pflichteifriger Bürger gewesen ist. Die Bewohner der Stadt Glashütte, deren Wohltäter er geworden, hingen mit unbegrenztem Vertrauen an ihm. Achtzehn Jahre hat er das Bürgermeisteramt der Stadt verwaltet und als erwählter Abgeordneter den Kreis auch ehrenvoll im sächsischen Landtage vertreten. Leider war es ihm vom Schicksal nicht vergönnt worden, die Früchte seiner Wirksamkeit noch längere Zeit zu genießen. Kaum waren für ihn nach Jahrzehnten voll unablässiger Mühen und Sorgen einige Jahre größerer Ruhe eingetreten, als er am 5. December 1875 durch einen plötzlichen Tod hinweggenommen wurde. Sein Name aber glänzt in seiner fröhlich erblühten Schöpfung fort, und das deutsche Volk erfüllt nur eine Pflicht, wenn es den schlichten Uhrmacher von Glashütte in die Reihe der Todten stellt, denen es für erhebliche Verdienste um das gesammte Vaterland ein dankbares Andenken zu widmen hat.

Karl Bruhns.

  1. Vorlage: zwölftausend, Berichtigung


Blätter und Blüthen.

Das Unglück von Szegedin. Die tausendjährige Erfahrung des Menschengeschlechts, daß die Segensfülle der Natur verdient sein muß, wenn sie nicht in Fluch sich verkehren soll, ist von Millionen noch nicht verstanden oder beachtet, und so sehen wir auch jedes Jahr ganze Bevölkerungen im Kampfe gegen Naturgewalten unterliegen, weil sie versäumt haben, dieselben zur rechten Zeit in Fesseln zu legen, um sich in Tagen wilder Empörung ihrer erwehren zu können:

Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.

Das schrecklichste der Elemente, wenn es seine Schranken durchbricht, ist das Wasser. War es doch eine Fluth, die Sintfluth – die deutsche Sprache verwandelte sie sehr sinnreich in eine Sündfluth – durch welche die Bibelsage die ersten Völker der Erde vertilgen läßt.

Arbeitsrüstige Völker an den Meeren und Strömen haben schon im Alterthum sich durch die Festungsmauern ihrer Dämme und Deiche gegen den Feind geschützt, der, wenn gebändigt, ihr bester Freund und Ernährer ist. Wo aber solche Vorsicht versäumt oder zu spät in Angriff genommen wurde, fällt nur allzuoft die furchtbare Strafe für die Schuld der Vorfahren auf die Häupter der Nachkommen. Ein solch erschütterndes Beispiel von Naturrache steht heute wieder in dem verheerten Szegedin vor unseren Augen.

Die Lage Szegedins, sowie die vieler anderen Städte an der Theiß und Maros, den beiden wasserreichen und gefahrdrohenden Strömen, an deren Zusammenfluß Szegedin liegt, hätte schon längst die äußerste Anstrengung zur Sicherung ihrer Existenz verdient. Die Theiß ist, wie auch die Maros (Marosch), ein Kind des Hochgebirgs, das, in den Waldkarpathen entsprungen, frisch und klar zwischen den Bergen dahinströmt, bis es die unendliche Ebene betritt; da wird die Theiß zum trägen, gefährlichen Schleicher, der den Schlamm seiner Ufer mit fortträgt und sie meilenweit in Sümpfe verwandelt. Allerdings sah man in neuester Zeit dem heimtückischen Treiben des gewaltigen Stromes nicht mehr unthätig zu; man hat nicht nur mit der Regulirung des Theißbettes begonnen, sondern es auch versucht, die Moräste der Ufer trocken zu legen und das anliegende Land gegen Ueberfluthungen zu sichern. Aber diese Arbeiten waren nicht weit genug gediehen, um Szegedin selbst zu schützen, ja, öffentliche Stimmen haben sogar dargethan, daß die oberhalb dieser Gegenden erbauten Dämme für die tiefer liegenden die Gefahr der Ueberschwemmung vergrößerten. Schon vor zehn Jahren ist der Stadt Szegedin ihr Schicksal verkündigt worden, wie es heute eingetroffen ist. Trotzalledem wollen wir uns nicht zu denen gesellen, welche jetzt, nach dem Unglück, die Häupter der Schuldigen suchen und ihnen das Urtheil sprechen. Das Unglück ist da, und Menschenpflicht ist es, mit allen Kräften zu helfen, damit die Folgen des furchtbaren Schicksals nach Möglichkeit gemildert werden.

Szegedin war eine Stadt von 10,000 „Gebäulichkeiten“, wie die Zeitungen es nennen, weil dazu auch viele kleine Häuser und Hinter- und Nebengebäude gehörten. Die Zahl der Bewohner belief sich nach der jüngsten Zählung (von 1875) auf 75,200. War auch in den fünf Vorstädten die Menge der kleinen Gebäude vorherrschend, so zeigte dagegen die innere Stadt in ihren breiten Straßen viele Neubauten von Geschmack und ansehnlicher Größe. Szegedin war nicht nur eine der berühmtesten und schicksalreichsten Städte Ungarns, sondern zeichnete sich auch durch Gewerbsthätigkeit aus, die, wie überall in Ungarn, größtentheils deutschen Ursprungs und in deutschen Händen war. Die Fabriken in Soda, Seife, Salami, Papier beschäftigten viele Familien und belebten den Handel, der allerdings hauptsächlich Getreide und Holz ausführte. Neben der Schifffahrt auf dem Strome, die eine eigene Schiffswerfte unterhielt, verbinden zwei Eisenbahnen, die Pest-Temesvarer und die Alföld-Fiumaner, die Stadt mit dem großen Weltverkehr. Den Stand der geistigen Bildung deuten zwei wohlgepflegte Anstalten, ein Obergymnasium und eine Oberrealschule, genügend an; ebenso unterhielt die Stadt ein Theater, aber auch ein großes bürgerliches Spital mit Irrenanstalt. Daß sie der Sitz hoher Behörden war, ist selbstverständlich. So blühte Szegedin selbst reich bevölkert und noch vielbesucht an seinen berühmten Jahrmärkten, bis ein Tag und eine Nacht all diesem Glück des Fleißes ein Ende machte.

Unsere Leser verzichten gewiß gern auf die Wiederholung der aus allen Zeitungen bereits bekannten Schilderungen einer Wassersnoth, wie sie zum Heil der Menschheit nur selten in solcher furchtbaren Größe und Zerstörungsgewalt vorkommt. Um die Größe des Jammers und Elends in ein Wort zu fassen, genügt die jüngste telegraphische Angabe (vom 17. März), daß von den 10,000 Baulichkeiten Szegedins 8200 eingestürzt sind und daß darunter nicht weniger als 4800 Wohnhäuser waren. An Todten und Vermißten beklagt man bis dahin etwa 1900. –

Es soll für unsere Landsleute keine besondere Mahnung zur Hülfe in der Bemerkung liegen, daß zu den vom Schicksal so schwer Betroffenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_222.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)