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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ein besserer Fürst geworden wäre, da auch ein Fall von Gutmüthigkeit und Liebe ihm nacherzählt wird. Es wird berichtet: Im Bruderkriege um die Krone standen beide ziemlich gleichen Heere einander gegenüber. Ein jüngerer Sohn Schir Ali’s befehligte die Vorhut der Truppen seines Vaters. Der Andrang des feindlichen Onkels ward unerwartet stark, und der Neffe mußte einige Schritte zurückweichen. Dieses bemerkend, stürmte der Vater auf denselben ein, schalt ihn einen Feigling und befahl ihm, den Kampf sofort zu erneuern.

Schir Ali’s letzte Lieblingsgattin.
Nach einer Originalphotographie auf Holz geschnitten.


Der Sohn stürzt sich nun mit verdoppelter Wuth auf den Gegner, trifft im Handgemenge mit dem befehligenden Onkel zusammen und fällt im tapferen Zweikampfe. Die Schlacht war für Schir Ali gewonnen, sein Thron befestigt. Doch der Tod seines Lieblings betrübte ihn so sehr, daß er in Tiefsinn verfiel, tagelang keine Speise zu sich nahm und immer den Namen seines geliebten Sohnes ausrief. Kein Wunder, wenn damals in Centralasien von seinem Wahnsinn gesprochen worden ist. Trotz dieser Zartheit des väterlichen Herzens war Schir Ali gegen seinen zweiten Sohn, Jakub Khan, ein ungerechter, barbarischer Vater.

Ehe wir von dieser seiner Eigenschaft Näheres berichten, sei zuvor bemerkt: Schir Ali lebte, wie alle orientalischen Fürsten, in Polygamie. Sein Harem zählte an dreihundert Landestöchter. Die Polygamie der Fürsten ist höchst gefährlich. Die Nachfolge wird unter einer übergroßen Zahl von Söhnen immer streitig bleiben, und für jeden der Sprößlinge werden im Palaste des Sultans Umtriebe gesponnen. Die heiligsten Bande der Familie, die Geschwisterliebe, die religiöse Verehrung des greisen Vaterhauptes und das berauschende Entzücken vor dem Augenlicht des eigenen Kindes fehlen in den asiatischen Regentenhäusern gänzlich. Die Söhne einer und derselben Mutter und noch weit mehr diejenigen von verschiedenen Müttern sind sich fremd, und schlimmer als fremd, denn sie werden im Haß gegen einander aufgezogen; der tödtlichste Feind eines asiatischen Prinzen ist stets der leibliche Bruder, nach dem Bruder aber der Vater. Daß Geschwister einander vergiften, daß Söhne ihre Väter enthaupten, Väter ihre Söhne blenden ließen, sind dort die allergewöhnlichsten Vorkommnisse; der Verwandtenmord ist sogar zur Regel geworden. Daher der häufige Wechsel der Dynastien, der häufige Uebergang vom Glanz zum tiefsten Verfall. Daß ein mohammedanisches Regentenhaus, die osmanische Dynastie, über sechstehalb Jahrhunderte sich auf dem Throne behaupten konnte, würde ein Wunder scheinen, wenn wir nicht wüßten, daß es Staatsgesetz im osmanischen Reiche ist, sobald Erben des regierenden Sultans vorhanden sind, die Brüder des Khalifen zu erwürgen, und daß die Wehmütter in dem Augenblick, wo die Tochter eines Sultans einen Knaben gebärt, mit dem ersten Schrei das Leben des Kindes ersticken. Diese grauenhafte Ordnung ist Weisheit und Erbarmen, denn es ist hier besser, daß ein Prinz stirbt, als daß seinetwegen im Aufruhr Tausende umkommen. Daß aber der politische Mord sich durch Menschlichkeitsrücksichten empfehlen läßt, beweist eben, ein wie großes sociales Uebel überhaupt die Polygamie ist. Es bedarf daher zum Umsturz eines solchen Reiches, in dem die Polygamie auf dem Throne heimisch ist, nur außerordentlich geringer Anstrengung, wenn man aus der Nachbarschaft desselben mit Geschick die politische Praxis beobachtet, wie sich die Dynastien dort zu bekriegen pflegen. Dank der Polygamie, giebt es überall im Orient für die Throne einen großen Vorrath von Prätendenten, Brüdern, Oheimen und Söhnen, welche am Nachbarhofe für den etwaigen Gebrauch gefüttert werden. Von Vaterlandsliebe, patriotischer Entsagung und Anhänglichkeit an das herrschende Geschlecht kann bei Asiaten kaum jemals die Rede sein.

So war auch die Empörung Jakub Khans gegen den Vater in den Ränken der Familie begründet. Als Schir Ali den Thron bestieg, war die Mutter des ältesten Sohnes, Jakub Khan’s, die Tochter eines Dschemschidenhäuptlings, in seiner besonderen Gunst, daher auch ihr Sohn überall in den Vordergrund trat. An so manchen harten Kämpfen seines Vaters rühmlich betheiligt, wurde er zum Thronfolger bestimmt. Später wechselte die Neigung des Emir. Von der brünetten Dschemschidentochter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_289.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)