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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

gemacht worden sind. Mit wenigen Ausnahmen kamen nur Biere in den Handel, welche den Anforderungen, die an ein gutes Bier zu stellen sind, entsprachen. In Folge dessen haben auch die früher so häufig auftretenden Klagen über gefälschte Biere abgenommen. Producenten und Consumenten haben hier gleichzeitig neben einander mitgearbeitet, und der „Deutsche Brauerbund“ hat durch seine eingehenden Prüfungen der Sachlage, durch seine Veröffentlichungen und Eingaben an das Reichsgesundheitsamt ebenso viel zur Schaffung des jetzigen erfreulichen Standes der Bierfrage beigetragen, wie der Nothschrei des Publicums über die „Dividendenjauchen“ und die in Folge dessen ausgeführten Arbeiten in den Laboratorien. Daß aber letztere unnöthig waren, wird Niemand mehr behaupten, der nur einen Blick wirft auf die Veröffentlichungen der letzten beiden Jahre über die Bieranalyse und die praktischen Vorschläge zur Vervollkommnung derselben. Gerade wie bei der Weinanalyse sind in diesem kurzen Zeitraume Fortschritte zu verzeichnen, auf welche man vordem nicht zu hoffen wagte.

Die Fälschung der Gewürze im gemahlenen Zustande hat viel Staub aufgewirbelt und ist in einer Weise in den Tagesblättern behandelt worden, daß man zeitweise glauben konnte, es liege hier der Angelpunkt der ganzen „socialen Krankheit“, genannt „Nahrungsverfälschung“. Gerade bei diesem scheinbaren „Angelpunkt“ der Frage tritt es bei eingehender Prüfung deutlich zu Tage, daß wir es mehr oder weniger selbst sind, welche den Gebrauch, gemahlenes Cigarrenkistenholz statt Zimmt zu verwenden, heraufbeschworen haben. Oder tragen wir keine Schuld, wenn wir dasselbe Gewürz in gemahlenem Zustande billiger zu kaufen verlangen, als in ungemahlenem? Ich möchte geradezu behaupten, daß Jedermann, welcher eine Waare unter dem ihr zukommenden Werth kauft, nicht mehr die Ansicht geltend machen darf, daß er betrogen wurde. Ferner darf nicht unbetont bleiben, daß die Gewürze in der Ernährungsfrage eine sehr untergeordnete Rolle spielen und daß mit Rücksicht auf ihre alleinige Bedeutung als Verschönerungs- und Reizmittel es wohl gerechtfertigt erscheint, ihre Güte ganz allein von dem Preis abhängig zu machen, der dafür angelegt wird.

Wichtiger sind die Verfälschungen des seit einigen Jahrzehnten in ausgedehnter Weise als Nahrungsmittel dienenden Cacao und der aus ihm bereiteten Chocolade. Die letztere namentlich wurde früher mit allen möglichen unverdaulichen erdigen Stoffen beschwert, deren Anwendung als unzulässig erkannt und demgemäß vielfach empfindlich bestraft worden ist; heute spielt nur noch das Mehl eine hervorragende Rolle in der Chocoladefabrikation, und ob sich das verbieten lassen wird, muß vorläufig bezweifelt werden. Wohl aber wird man verlangen können, daß der Preis im Verhältniß stehe mit der Waare; auch werden vielleicht nach genauer Kenntniß der in der Fabrikation von Chocolade üblichen Verfahren gewisse Normen vereinbart werden können, welche der Fabrikant einzuhalten hat, so lange er nicht auf das Recht verzichten will, sein Erzeugniß mit dem Namen Chocolade belegen zu dürfen.

Diese letztere Frage kann aber – wie wohl Jeder einsehen wird – ebenfalls nur dann gelöst werden, wenn in allen größeren Gemeinden eine Anzahl geeigneter Persönlichkeiten ihr Studium ausschließlich den Nahrungsmitteln widmet, und eine Central-Behörde aus diesen Erfahrungen das Material zu rechtsgültigen und segensreichen Verordnungen sammelt.

Auch auf den anderen Gebieten der Nahrungsmittelfrage sind die fortlaufenden Ermittelungen und unausgesetzten Beobachtungen von großem Nutzen gewesen, und dieser Nutzen wird dem allgemeinen Wohl noch weit mehr zugute kommen, wenn in Folge der jetzt geschaffenen besseren Zustände die Thätigkeit der Untersuchungsämter nicht mehr allein durch Privatanalysen absorbirt wird, sondern in selbstständigen Arbeiten nach Specialrichtungen hin ausgenutzt werden kann.

Ganz entschieden muß aber die auch zuweilen gehörte Ansicht bekämpft werden, daß die in der allgemeinen Nothlage entstandenen Vereine und Laboratorien ihre Aufgabe erledigt haben und daher ferner überflüssig seien. Als ob die Besserung eines Nothstandes gleichbedeutend wäre mit der Aufhebung desselben! Wer bürgt uns dafür, daß nicht über kurz oder lang auf allen Gebieten der frühere Zustand wieder hervortritt und alle jetzt gewonnenen Positionen wieder verloren gehen? Und sollte nicht schon allein der Umstand, daß eine Untersuchungs-Station besteht, und die Furcht vor Entdeckung eine sehr wirksame Abschreckung vor dem Verfälschungsunwesen bilden, welche mit der Aufhebung jener Station wegfallen würde?

Nun, wo die Gemeinden bereits die Angelegenheit zu der ihren gemacht haben und wo daher auch die Erkenntniß sich durchgängig Bahn gebrochen, welchen großen Nutzen diese Gemeinden daraus ziehen, ist ein derartiger kläglicher Ausgang des Kampfes nicht zu befürchten; allein wo dies noch nicht geschehen, da wird das Reichsgesundheitsamt in gleicher Weise wie bisher sicherlich bestrebt sein, die Wichtigkeit der Angelegenheit unausgesetzt zu betonen, und dadurch einen Erfolg erringen, der ihm den Dank Aller sichert. Denn an Arbeit wird es für jene Untersuchungsämter nie fehlen. Sollte die Ueberwachung der Lebensmittel einmal weniger Kräfte absorbiren, so werden dieselben für andere Zwecke leicht nutzbar gemacht werden können, und man wird im Stande sein, auch anderen Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege näher zu treten, welche bis jetzt leider unbeachtet blieben.

Man denke nur an die fast durchgängig sehr mangelhaft geübte Controlle der Trinkwasser und der Leitungswasser! Wie manche Typhusepidemien könnten vermieden werden, wenn diese Controlle besser wäre! Und wo besitzen wir im Augenblick geeignete Arbeiten zur Beurtheilung der brennenden Frage, ob die Cloaken in die Flüsse abzuführen bedenklich oder unbedenklich erachtet werden muß? Wo giebt es endlich Behörden, welche einer Aufklärung über den Nutzen von Ventilationseinrichtungen in öffentlichen Gebäuden, namentlich in den Schulen, nicht noch sehr dringend bedürften? Welche Unmasse von Arbeit giebt es hier noch zu bewältigen! Und wenn auch nicht daran zu denken ist, daß die Untersuchungsstationen mit einem Male alle jene Arbeiten in Angriff nehmen werden, daß sie auch nur in nächster Zeit schon eine wesentliche Aenderung des alten eingebürgerten „Gehenlassens“ bewirken werden, so kann Eines doch Niemandem, der aufmerksam beobachtet, entgehen: Ihnen gehört die Zukunft. Und wie sich an das erste Kryställchen naturgemäß die weiter sich bildenden Krystalle ansetzen, so werden sich auch an diese Untersuchungsämter im Laufe der Zeit Institute anreihen, welche – mit der alleinigen Bestimmung, der öffentlichen Hygiene zu dienen – allerdings das vollbringen können, was uns noth thut: die nachhaltige Besserung der allgemeinen sanitären Verhältnisse und damit die allseitige Hebung der Volksgesundheit.

–t.


Blätter und Blüthen.

Ein Künstlertraum. Auf der letzten Sommerreise war es; vom Schwarzwald her kamen wir und wollten noch einige Tage auf der lieblichen Bergstraße rasten, ehe wir Reisegenossen schieden, um nach willkommener Ruhe und Erholung wieder in die Heimath zurückzukehren. Meine Freunde strebten nach Jugenheim, dem Orte, der durch den öfteren Besuch des russischen Hofes viel von seiner idyllischen Ruhe eingebüßt hat und als Luftcurort in die Mode gekommen ist. Während die Anderen sich voll und ganz dem Genuß der herrliche Spätsommertage, die für den naßkalten Charakter ihrer Vorgänger noch entschädigen zu wollen schienen, hingaben, trübte mir eine wehmüthige Erinnerung den dortigen Aufenthalt und ließ meine Blicke gar oft auf eines der ersten Häuser des Dörfchens gleiten, das sich mir ehedem stets so gastlich geöffnet hatte. Herrmann Hendrichs war damals der Besitzer des freundlichen Anwesens, das er stets dann aussuchte, wenn er sich aus unruhigen Wogen des Künstlerlebens nach Ruhe und zeitweiliger Zurückgezogenheit sehnte. Sieben lange Jahre waren verflossen, seit ich zum letzten Male die schnurgerade Landstraße von Bikenbach hinaufgekommen war und dem Postillon die Weisung gegeben hatte, mich an der ersten Villa rechts aussteigen zu lassen. Der patriarchalisch gewöhnte Lenker der großherzoglichen Fahrpost hielt damals auch vor der großen Gartenpforte, und da stand sie auch schon, die ritterliche Gestalt von Herrmann Hendrichs, deren Frische es nicht ahnen ließ, daß sie drei Monate später in kühler Erde ruhen sollte. Der letzte Repräsentant der „romantischen Komödie“, wie Hendrichs mit gutem Recht genannt wird, hatte auch im gewöhnlichen Leben etwas von dem Sieghaften in seinem Aeußeren, das ihn zu den Kraftgestalten eines Götz, Tell oder Wetter von Strahl förmlich prädestinirte; selbst in dem Augenblicke, wo er im schlichten Leinenanzuge, einen großen Strohhut auf dem Kopfe, einen riesigen Neufundländer an der Seite, vor mir stand und mit eigener Hand bemüht war, seiner Gartenthür einen neuen Anstrich zu geben, hatte seine Erscheinung nichts Alltägliches.

„Die Axt im Haus erspart den Zimmermann,“ rief er mir freundlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_310.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)