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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Hier, mein Kind, das trägst Du in das Atelier – Du weißt schon, wo die anderen liegen.“ Er nahm einige kleine Baumschwämme aus der Tasche und warf sie dem Mädchen in die Schürze. „Und diese hier“ – behutsam nahm er ein Sträußchen frischaufgeblühter Heckenrosen aus dem Knopfloch – „die giebst Du der Birkner und sagst ihr, ich hätte auch heute nicht vergessen, die ersten, die ich gesehen, für sie zu pflücken, was ich mir schon als kleiner Junge nicht habe nehmen lassen.“

„Er ist verrückt!“ murmelte die Baronin, die jedes herüberklingende Wort aufgefangen hatte, und jetzt bog sie sich wieder über die Balustrade und fixirte mit zorniger Verachtung die Gruppe drunten. Noch stand Baron Schilling neben dem Pferde, dessen Zügel der Stallknecht hielt; er liebkoste das edle Thier und gab ihm mit der weichsten Modulation seiner schönen Stimme sanfte Schmeichelnamen.

„Mein Gott, das sieht sich ja an wie eine Trennung für’s ganze Leben,“ sagte die Frau droben in trockenem Tone. „Welcher Mensch mit gesundem Empfinden mag eine solche Liebesverschwendung an ein Thier ruhig ertragen!“ Sie ergriff ein Paket Zuschriften und hielt es über die Geländerbrüstung. „Arnold, ich habe Briefe für Dich,“ rief sie hinab – ihr Ton klang scharf, hell und hochliegend wie eine grelle Kinderstimme.

Baron Schilling sah hinauf. Er zog grüßend den Hut unter einer leichten Verbeugung – dann schritt er auf das Haus zu.

Die Stiftsdame schob das gebrauchte Geschirr zusammen, prüfte die eine der verdeckten Schüsseln, ob sie noch warm genug sei, und war im Begriff, einen frischen Teller aufzustellen, als ihre Hand mit einem unwilligen Druck weggeschoben wurde.

„Lasse das!“ raunte die Baronin ihr gebieterisch zu. „Ich biete ihm nie etwas an, wenn er sich von der gewohnten Ordnung emancipirt und allein gefrühstückt hat, mag er noch so hungrig heimkommen.“

Mit raschen Schritten trat der Baron auf die Terrasse. Er hatte den Hut im Salon abgelegt, und der Zugwind hob leicht die dunklen Ringel, die sich stets eigenwillig aus dem zurückgestrichenen, mühsam gebändigten krausen Haar lösten, von der breiten, gebräunten und kantigen Stirn, nach welcher die Frau Baronin die Schilling’s als viereckige Köpfe bezeichnete. Im Uebrigen wich dieser letzte Vertreter des ritterlichen Geschlechts jetzt bedeutend von denen ab, die im Mittelsaal die alten, gewundenen und vergoldeten Holzrahmen mit ihren herkulischen Gestalten füllten. Er hatte sich verändert; er war nicht mehr vollwangig, wie vor acht Jahren; das Vertiefen in seine Kunst hatte an ihm gezehrt; sie hatte die Schilling’schen Züge, in denen sich drüben bei dem alten Haudegen und den gewaltigen Jägern vor dem Herrn viel Jovialität und derbe Genußsucht widerspiegelten, verschärft und veredelt; sie hatte der hohen Figur jede Spur jener stattlichen Behäbigkeit genommen und dafür die Bewegungen geschmeidigt.

Er reichte seiner Frau die Hand, während die Stiftsdame seinen höflichen, aber sehr kühlen Gruß ebenso reservirt und frostig erwiderte und sich ziemlich entfernt von den Beiden niedersetzte, um eine angefangene Arbeit – Silberstickerei auf violettem Tuch – wieder aufzunehmen.

„Donna de Valmaseda hat geschrieben,“ sagte die Baronin mit malitiöser Betonung des fremdklingenden Namens und schob den Brief auf die Tischecke.

Baron Schilling öffnete das Couvert und überflog die wenigen Zeilen, die das Briefblatt enthielt. „Wir können unsere Schützlinge in acht bis zehn Tagen erwarten,“ berichtete er, „aber Du wirst Dein Einquartierungsprogramm ein wenig verändern müssen, Clementine. Frau von Valmaseda wird ihre Schwägerin begleiten, weil, wie sie hier zum ersten Male ausspricht“ – er deutete auf die Zeilen – „Felix das ganz ausdrücklich gewünscht habe –“

„So ... Gott mag wissen, wie viel Wünsche dieser gute Felix noch gehabt hat, die zu erfüllen wir nolens volens verpflichtet sein sollen,“ unterbrach ihn die Baronin gereizt. Sie verharrte nichtsdestoweniger in ihrer nachlässigen Haltung, aber die im Schooße liegende Rechte drehte unaufhörlich ein paar abgerissene Rebenblätter zwischen den Fingern. „Für diesen anmaßenden Menschen ist eben der Schillingshof stets eine Art Hôtel gewesen; das haben wir ja schon erlebt, als er uns vor acht Jahren mit seiner Entführten ohne Umstände in das Haus fiel. Ich protestire ganz entschieden gegen einen solchen Zuwachs, Arnold – genug, daß ich mich herbeilasse, die Wittwe mit ihren lärmenden Kindern in unserem stillen Hause zu dulden.“

Baron Schilling hatte sich in einem Korbstuhle niedergelassen. Er sah dieser Opposition gegenüber sehr unbewegt aus. Zu Anfang seines Ehelebens hatte noch der Ausdruck fürsorglicher Güte und des Strebens nach Verständigung dieses Männergesicht beseelt – jetzt zeigte es in jeder Linie eine unanfechtbare Gleichgültigkeit. Er schob den Brief in das Couvert und sagte gelassen: „In diese Aenderung werden wir uns finden müssen.“

„Mit nichten! Es ist beispiellos aufdringlich von der Frau, daß sie ihre Schwägerin durchaus begleiten will –“

„Ich sagte Dir, daß sie das muß,“ versetzte Baron Schilling stirnrunzelnd.

„Gleichviel – für uns ist es absolut kein ,Muß’, sie zu beherbergen. Der Schillingshof ist nicht groß genug für eine solche Menschenkarawane.“ – Sie richtete sich ist steigender Erregung empor und streute mit hastigen Händen die Reste der zerzupften Blätter in die Luft.

„Wir haben so viel Raum, daß Du mit den Fremden gar nicht in Berührung zu kommen brauchst, so wenig wie ich,“ entgegnete er. „Clementine, sei gut und verständig. Bedenke, daß wir mit berufen sind, verwaisten Kindern zu ihrem guten Rechte zu verhelfen –“

„Ja, mit dieser rührenden Perspective hast Du mir auch meine Einwilligung abgelockt. Aber ich bin mir inzwischen bewußt geworden, daß ich Unrecht thue, wenn ich mich an dem Plan betheilige – frage Adelheid, als was sie ihn bezeichnet –“

„Als eine unerlaubte Intrigue!“ rief die Stiftsdame mit ihrer sonoren Stimme herüber.

Baron Schilling sah über die Schulter nach ihr zurück. „Ah, daher die plötzliche Umkehr!“ sagte er halb zornig, halb sarkastisch. „Ich hatte nicht an Deinen geheimen geistlichen Rath gedacht, Clementine.“

„Clementine wird mir bezeugen,“ entgegnete die Stiftsdame, „daß ich mich jeglichen Rathes enthalten habe –“

„Schön!“ unterbrach er sie kalt; „ich würde mir Ihre Einmischung auch ganz entschieden verbitten, Fräulein von Riedt.“

Auf diese strenge scharfe Zurechtweisung hatte die Stiftsdame nur ein ausdrucksvolles Achselzucken, die Baronin aber fuhr auf:

„Ich bitte mir aus, daß Du nicht fremden Schultern aufbürdest, was ich nach eigener Einsicht beschlossen habe. Ich nehme mein gegebenes Wort zurück – ich will nicht mehr, durchaus nicht! – und nun bitte ich Dich, schweige, Arnold, treibe mich nicht zum Aeußersten!“

„Inwiefern?“ fragte er mit unzerstörbarer Ruhe. Ihre Augen wichen seitwärts unter seinem fragenden Blick. Allein an ein kluges Einlenken war hier nicht zu denken; sie sagte mit trotziger, wenn auch etwas unsicherer Stimme:

„Du darfst nicht vergessen, daß ich verbriefte Rechte an den Schillingshof habe!“

Baron Schilling erblaßte leicht, aber er blieb ganz ruhig.

„Ich vergesse das so wenig, wie mein gutes Recht, kraft dessen ich Herr im Hause bin. Jetzt werde ich mit der Birkner über die Aufnahme der Kommenden verhandeln.“

„So gehe! Selbstverständlich wirst Du nicht über die mir zustehenden Logirräume verfügen. Es fällt mir nicht ein, diese – diese spanische Bettlerfamilie unter den kostbaren Gardinen meiner Gastbetten schlafen zu lassen. Mag sie sich doch drunten in den spukhaften Zimmern einquartieren –“

„Das war bereits beschlossen,“ unterbrach er sie mit einer Handbewegung, die jedes weitere Wort abschnitt. „Hoffentlich ist diese Fremde nicht so gut klösterlich erzogen, um so unverantwortlich abergläubisch und unwissend zu sein, wie –“ Er stand auf, ohne zu vollenden, schob die für ihn eingegangenen Briefe in die Brusttasche und ging hinaus.

Die Baronin hatte sich inzwischen erhoben und stand einen Augenblick unbeweglich, als besinne sie sich – sie blickte zu der Stiftsdame hinüber, die scheinbar indifferent ihre Silberfäden durch das Tuch zog; dann flog sie zur Thür hinaus, ihrem Manne nach. Wie flink diese Füße laufen konnten! Wie die Barben der Morgenhaube flatterten und die weiße Schleppe den Fußboden fegte!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_362.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)