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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Ornament herrscht größere Freiheit; da sind neben den deutschen Mustern auch die lebendigeren französischen Formen begünstigt.

Die Thürme der Votivkirche haben eine eigene Geschichte. Sie wurden früher fertig als Chor und Schiff, und dafür ist in den Annalen der Baukunst schwerlich ein zweites Beispiel vorhanden. Ferstel wollte seinen Bau vor dem Schicksale so vieler gothischer Dome bewahren, deren Thürme unvollendet geblieben sind. Deshalb setzte er Alles in Bewegung, um die Vollendung der Thürme zu beschleunigen, und die Commune von Wien kam ihm dabei zu Hülfe, indem sie im Jahre 1868 den Betrag von 150,000 Gulden ausdrücklich zur Fertigstellung der beiden Thürme bewilligte.

Um schließlich in Hinsicht auf die Construction noch einer Besonderheit zu erwähnen, sei wenigstens angedeutet, daß durch die eisernen Dachstühle und den Ueberguß von hydraulischem Kalk über den Gewölbekappen die Feuersgefahr, welche alte Kirchen stets bedroht, fast ganz ausgeschlossen erscheint.

Den Plan für die plastische und malerische Ausschmückung am Aeußeren und im Inneren der Kirche hatte Ferstel schon im Jahre 1860 dem Baucomité vorgelegt. Der Meister forderte, daß die Bildwerke streng aus dem Stile des ganzen Bauwerkes und mit klarer, allgemein verständlicher Charakterisirung ausgeführt würden. Die meisten Statuen wurden von den in der Bauhütte der Votivkirche geschulten Steinmetzen nach den Modellen und nur mit unerheblicher Nachhülfe der Bildhauer vollendet, die Steinornamente durchweg nur von den eigenen Steinmetzen der Bauhütte gearbeitet; die ausgezeichnete Schulung der Steinmetzen war das Verdienst des alten Bau- und Steinmetzmeisters Joseph Kranner, der später die Wiederherstellung des Prager Domes übernahm. Kranner organisirte die Bauhütte so vortrefflich, daß sie eine wahre Pflanzstätte tüchtiger Arbeitskräfte wurde.

Vollständig glatt und unbehindert geht die Ausführung eines solchen Monumentalbaues niemals von Statten. Unberufene Rathgeber mischen sich hinein; übergangene Rivalen drängen sich zum Wort; vorschnelle Kritiker haben dies und das zu tadeln; das Selbstbewußtsten mitwirkender Künstler endlich wallt hier und da empfindlich auf. In solchen Stunden kommen Zweifel, Verdrossenheit, Mißstimmung über die Seele des Meisters, und auch Ferstel mag bisweilen müde das Haupt gesenkt haben, wenngleich im nächsten Augenblicke die Begeisterung ihn wieder aufrüttelte.

Im Jahre 1873 war ein Executivcomité niedergesetzt worden, dem Eitelberger, Schmidt, Führich, Gasser und Ferstel angehörten. Es handelte sich um die malerische Ausschmückung des Inneren der Votivkirche. Führich entwarf im Auftrage dieses Comités die Grundzüge für den Bildercyclus. Unbekümmert aber um die Beschlüsse dieses künstlerischen Beirathes, entschied das Baucomité im December 1874, es dürfe in der Votivkirche keine Polychromie stattfinden; an deren Stelle sei vielmehr eine einfache Verputzung und Ausgleichung der Gewölbe, Pfeiler und Wände im Inneren der Kirche zu setzen.

Glücklicher Weise war Eitelberger der Mann nicht, um ohne Weiteres dieser Entscheidung sich zu fügen. Er protestirte dagegen, daß der kaum mehr in Privaträumen geduldete nackte Aufputz bei der Innendecoration der Votivkirche zur Anwendung komme, und sein Widerspruch fand Gehör. Zwei Reihen der Wandgemälde stammen aus Führich’s Entwürfen. Es sind die beiden Cyclen der Berufung Petri und der Sündfluth in den Fenstern und an den Wänden des Chorabschlusses oberhalb des Hochaltars. Großartigkeit ist diesen Compositionen nicht abzustreiten, aber sie reden eine verschollene Sprache. Führich, der streitbare Kirchenmaler, wollte mittelst derselben darthun, daß der päpstliche Primat göttlichen Ursprunges sei und daß nur die Kirche Rettung gewähre, wenn die Revolution den Staat umbrande. Wie weit hinter uns liegt doch die Zeit, in der solche Allegorien der Wirkung auf die Menge gewiß waren!

Eine Weile steht man vor Führich’s Compositionen bewundernd still, aber dann wandelt man weiter, um sich von dem Stiftungswerke des Erzherzogs Ferdinand Max, den Bildern welche die Rettung Franz Joseph’s darstellen, und weiter von den Glasgemälden, welche die einzelnen Kronländer repräsentiren, desto lebhafter und unmittelbarer angezogen zu fühlen. Man ist deshalb beileibe kein Ketzer; den Künstler Führich kann man vollauf würdigen, ohne dem Tendenzmaler Führich seine Ehrfurcht bezeigen zu müssen.

Ueberdies war es nicht der reiche Clerus, dessen Freigebigkeit der Votivkirche zu Statten kam, sondern das liberale Bürgerthum und das Ministerium, dessen Werk die Decemberverfassung war. Wiederholt stockte der Bau, weil die Mittel versiechten. Erst seit dem Jahre 1868 konnte er stetig bis zum frohen Ende fortgeführt werden, nachdem die Regierung eine beträchtliche Jahresspende zu seiner Förderung bestimmt hatte. Es ist nicht überflüssig, dies zu betonen, denn noch ist keine Entscheidung getroffen über die eigentliche Bestimmung der Votivkirche. Stiftungsgemäß soll sie freilich zugleich als Pfarr-, Universitäts- und Garnisonskirche dienen, allein der allgemeine Wunsch ist dies nicht. Vielmehr vernimmt man das Begehren, sie möge eine Denkmälerkirche, eine österreichische Ruhmeshalle werden, wie die Westminster-Abtei in London, das Pantheon in Paris, die Kirche Santa Croce in Florenz oder San Giovanni e Paolo in Venedig. An der vorderen Seitenwand des rechten Querschiffarmes vor dem Frauenaltar ist geeigneter Raum für das Denkmal ihres Stifters. Der Clerus, dem die Welt nicht genug der Kirchen haben kann, wird kämpfen und zetern gegen die Gründung einer Walhalla in der Votivkirche, aber die Opfer des Clerus waren es nicht, durch welche der Bau ermöglicht ward, und nicht ihm gebührt es also, die künftige Bestimmung desselben zu dictiren.

Unter Jenen, welche die Pathen des Baues waren, hat der Tod unbarmherzig aufgeräumt. Erzherzog Ferdinand Max ging zuerst dahin; es folgte König Ludwig von Baiern, Cardinal Rauscher, Perthaler, der Secretär des Baucomités, Theodor von Karajan, der Germanist, welcher die Stiftungsurkunde verfaßte, Hans Gasser, Siccardsbury, der Erbauer der Wiener Oper, endlich Johann Herbeck, der Componist des Weihegesanges. Unwillkürlich suchte man sie mit den Augen an dem Tage, an welchem in der Votivkirche der erste feierliche Act, die Trauung des Kaiserpaares zum Feste der silbernen Hochzeit, vollzogen ward. Der Regen fiel in Strömen vom Himmel, aber Kopf an Kopf drängte sich die Volksmenge vor dem Portale, denn die Wiener lieben ihre Votivkirche, und wie in allen Dingen, welche sie mit local-patriotischem Stolze erfüllen, pflegen sie auch bei dem Anblicke dieses gelungenen Bauwerkes selbstbewußt zu sagen: „Sollen’s uns anderswo nachmachen!“

Wilhelm Goldbaum.




Die vlamische Bewegung.

Von Dr. Gustav Dannehl.
2. Jan Frans Willems, der Vater der vlamischen Bewegung.


Die Jugendjahre des Vaters der vlamischen Bewegung fallen in die Zeit, während welcher mit der Einverleibung Flanderns in Frankreich dem germanischen Volksthum am rücksichtslosesten der Krieg erklärt wurde. Willems wurde am 11. März 1793 gerade in dem Augenblicke geboren, als Truppen von der Armee des Generals Dumouriez ihren Einzug in seinen Heimathsort Bouchout hielten. Schon 1803 decretirte Napoleon daß alle öffentlichen Acten und Urkunden französisch abgefaßt werden sollten, und als dies und die Französirungsversuche der Beamten noch nicht ausreichten, das zähe Deutschthum der Vlamingen zu ertödten, erließ der Tyrann 1812 ein zweites Decret, welches befahl, daß alle Zeitungen mit französischer Uebersetzung erscheinen mußten. Um diese Zeit waren die Rederijkkammern, jene nach Art der Meistersängerschulen bereits im fünfzehnten Jahrhundert gestifteten und in der Zeit der spanischen Unterdrückung bewährten literarischen Genossenschaften, die einzige Zufluchts- und Pflanzstätte der vlamischen Sprache und Literatur. In ihnen wurzelte das Streben und Schaffen des echten Volksmannes, dessen Lebensskizze wir im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_374.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)