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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Bei den Menschenfressern auf Sumatra.

An der Westküste Sumatras, oberhalb Padangs, vom Seestrande bis tief in’s unbekannte Innere dieser Insel hinein, lebt der Volksstamm der Batakers, welcher nach ungefährer Schätzung 300,000 bis 400,000 Seelen zählt. Längs der Küste hat das holländische Gouvernement langsam Fuß gefaßt, um die Batakers in Unterwürfigkeit zu halten und zwar durch Anlegung verschiedener Befestigungen. Einer der größeren dieser verstärkten Plätze heißt Simboga, liegt angenehm an der Meeresküste und bietet hinreichend Raum für eine Besatzung von circa 100 europäischen und 200 javanischen Soldaten mit den nöthigen Officieren und Unterofficieren.

Hier verlebte ich sechs Wochen in sehr angenehmer Gesellschaft und, was für mich die Hauptsache war, ich fand Gelegenheit, nicht nur die Sitten und Gebräuche der umliegenden befreundeten Kampongs (Dörfer) kennen zu lernen, sondern auch unter genügender militärischer Bedeckung mehr in das Innere der Batak-Länder vorzudringen, welche noch nicht im Geringsten von den alten Sitten und Gebräuchen abgewichen sind und sich einen ziemlichen Grad von Unabhängigkeit erhalten haben.

Eine leidlich entwickelte Cultur ist den Batak-Völkern durchaus nicht abzustreiten; sie treiben unter einander und mit den umwohnenden Stämmen der Padris einen lebhaften Handel in Reis und gewebten Kleidungsstücken, deren Anfertigung die Frauen mit wirklicher Kunstfertigkeit besorgen; sie besitzen eine eigene Literatur, welche in besonderer Schriftsprache geschrieben ist, sind höflich, achten die Gastfreundschaft und – essen mit dem größten Wohlbehagen Menschenfleisch, sei es roh, halb gar oder angenehm knusprig gebraten. Statt mich in Betrachtungen über den Grund dieser culinarischen Geschmacksverirrung einzulassen, welche ich befugten Forschern überlasse, sei es mir lieber vergönnt, mit leichter Feder einige Skizzen von dem zu zeichnen, was ich in Bezug auf die genannte scheußliche Sitte theils selbst beobachtete, theils aus vollkommen glaubwürdiger Quelle schöpfte.

Ich fange mit einer drolligen Anekdote an.

Durch Versetzung war ein Sergeant nach Simboga gekommen, welcher noch nicht lange die mütterliche Fettweide daheim in Friesland verlassen hatte und deshalb mit einer strotzenden Gesundheit und Leibesfülle hier ankam, welche den Neid verschiedener leberkranker Collegen erweckte, um so mehr, da er an der gemeinschaftlichen Unterofficierstafel eine Klinge schlug, welche eher eine Zunahme als eine Verminderung seines Umfanges erwarten ließ. Es hatte zwar nicht an warnenden Bemerkungen gefehlt, aber der edle Friese ging unbesorgt und gottvergnügt in der Umgegend und auf dem Markt spazieren, als ob es auf 1000 Meilen in der Runde keine Menschen gäbe, denen der Anblick eines so fetten Bissens den Mund wässerig mache. Doch es sollte anders kommen – zum Glück ohne nachtheilige Folgen für den lebenslustigen jungen Mann.

Jeden Morgen um acht Uhr begeben sich die Feldwebel der Compagnien mit ihren Rapporten vor das Haus des commandirenden Majors, dort werden die täglichen Befehle ausgegeben, dort kommen alle laufenden Sachen zur Regelung. Der Feldwebel der ersten Compagnie, bei welcher der dicke Friesländer diente, war durch Krankheit verhindert, selbst zum Rapport zu gehen, und deshalb mußte Sergeant Fischer – so hieß nämlich unser Freund – den Dienst an dessen Stelle wahrnehmen.

Der Major war noch in Innern seines Hauses beschäftigt; die Feldwebel plauderten unter einander über das eintönige Leben im Fort; kein Mensch dachte an eine aufheiternde Unterbrechung. Siehe, da kamen des Weges vier Batakers, welche zwei starke, fette Karbauen (indische Büffel) mit sich führten und augenscheinlich schon einen ziemlichen Weg zurückgelegt hatten, denn Mensch und Vieh schien gleich ermüdet. Vor der Wohnung des Majors, etwas zur Seite von den dort stehenden Unterofficieren, machten sie Halt, kauerten sich auf den Grund und gaben ihren Wunsch zu erkennen, den Major sprechen zu dürfen.

Nach den gewöhnlichen Ceremonien entspann sich folgendes Gespräch zwischen den Batakers und dem Major:

„Was wollt Ihr von mir, Leute? Kann ich Euch in etwas von Nutzen sein?“

„Herr Major, wollen Sie uns nicht erst sagen, ob dies nicht zwei besonders fette und starke Karbauen sind?“

„Gewiß, die Thiere sind fett und stark; es ist nichts dagegen einzuwenden.“

„Gut, Herr Major, wir sind sechs Stunden unterwegs und wollen fragen, ob Sie uns nicht diese Karbauen eintauschen wollen?“

„Eintauschen, gegen was denn?“

„Gegen diesen dicken Menschen da!“

Und schmunzelnd, zungeleckend und lippenschnalzend wiesen alle diese vier Biedermänner zugleich nach dem unglücklichen Sergeanten Fischer. Dieser hatte genug von der Sprache der Bevölkerung gelernt, um den frommen Wunsch vollständig zu begreifen, und befand sich natürlich in einer durchaus nicht angenehmen Stimmung. Zu seiner großen Genugthuung indeß herrschte sogleich der Major mit zornbebender Stimme den Batakers den Befehl zu, sich augenblicklich zu entfernen und sich nie wieder zu unterstehen, mit einer solchen Zumuthung vor ihn zu kommen. Traurig und niedergeschlagen entfernten sich die Diplomaten, deren Sendung so vollkommen mißglückt war, eine Sendung, auf deren Erfüllung wahrscheinlich zu Hause ein ganzes Dorf mit Entzücken wartete, denn der Ruf des außergewöhnlich dicken weißen Mannes war bis in die fernsten Hütten gedrungen, und nicht ohne wirkliche Opfer hatte man sich in dem betreffenden Kampong zu einem solchen Tauschhandel entschlossen. Um so größer wäre freilich auch die Ehre und der Genuß im Falle des Gelingens gewesen.

Sergeant Fischer bekam sofort Zimmerarrest auf unbestimmte Zeit, und wohl nie ist einer solchen Maßregel stricter nachgekommen worden, als durch ihn; er verließ sein Zimmer nur im äußersten Nothfalle; zu einem seiner früheren geliebten Spaziergänge nach dem Markt hätte er sich nicht für hundert Gulden entschließen können. Mit dem nächsten Dampfboote, welches in Simboga anlegte, verließ Sergeant Fischer diesen Ort, um in eine Garnison auf Java zu gehen, wo seine Fülle keine menschenfresserischen Gelüste anregte.

Vorstehendes habe ich erzählen hören, jedoch von Personen, an deren Glaubwürdigkeit ich nicht im Geringsten zweifle; das jetzt Folgende habe ich jedoch persönlich mitgemacht, und die Erinnerungen daran treten mir jetzt beim Niederschreiben, wo ich gut und trocken im Sicheren sitze, wieder doppelt grauenhaft vor den Geist.

Der Major hatte Ordre empfangen, in den ferner im Gebirge gelegenen Kampongs wieder einmal die Erinnerung an das holländische Gouvernement etwas aufzufrischen und zwar durch Absendung einer größeren Patrouille, welche den Kampongs-Oberhäuptern eine Einladung nach Simboga überbringen sollte. Die Stärke der Patrouille belief sich auf dreißig javanische Soldaten und einen europäischen Sergeanten Namens Wester; commandirt wurde dieselbe durch den europäischen Lieutenant K…, welcher noch zwei Batakers als Führer bei sich hatte; meine Wenigkeit schloß sich den zwei Europäern als Dritter im Bunde an und zwar lediglich in der Eigenschaft als „Schlachtenbummler“, um einen terminus technicus von 1870 zu gebrauchen. Die nöthigen Lebensmittel für acht Tage wurden durch Tragpferde fortgebracht, welche auch die Bagage und sonstigen Sachen trugen; an Bedienten hatte jeder von uns drei Europäern je einen mitgenommen, welche zugleich verpflichtet waren, ein wachsames Auge auf die Tragpferde zu haben; aus verschiedenen Gründen hatten sowohl der Lieutenant wie ich uns entschlossen, nicht zu reiten, sondern den Marsch zu Fuß mitzumachen.

Ich mag nicht unerwähnt lassen, daß Lieutenant K…, obschon bereits fünf Jahre in Indien, doch erst seit acht Monaten sich auf Simboga befand, Sergeant Wester dagegen war bereits ziemlich sechs Jahre auf Simboga stationirt und kannte sowohl Sitten wie Sprache der Batakers vollständig; auch unter den javanischen Soldaten waren einige, welche durch langjährigen Aufenthalt und Umgang mit Batakers uns über Verschiedenes gute Auskunft zu geben im Stande waren.

Ohne besondere meldenswerthe Vorfälle waren wir bereits drei Tage marschirt, hatten in den betreffenden größeren Kampongs die Einladung, nach Simboga zu kommen, an die Häuptlinge abgegeben und stets die Nächte im Freien zugebracht; die Einwohner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_488.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)