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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

alle späteren Kämpfe und Siege schuf – sie zog die Grenze zwischen beiden Welten, sie trennte die germanische für immer von der romanischen; mit ihr erhält überhaupt die Geschichte unseres Volkes erst Fleisch und Blut. Aber auch daß jenes Ereigniß in einem von Geschichte, Sage und Poesie so verklärten Lichte vor uns steht, daran hat der Teutoburger Wald seinen Hauptantheil. Die Waldschlacht ist es, die furchtbare dreitägige, umtobt von Sturm und Wetter, mitten in der ganzen ursprünglichen Wildheit des Urwaldes, welche unsere Phantasie mächtig bewegt.

Während aber in den deutschen Wäldern die Feuer aufflammten, an denen die Germanen ihren Göttern für den Sieg über das Römervolk blutige Dankopfer spendeten, wandelte der schon auf Erden, dessen Lehre die Götter aus ihren Hainen vertreiben und der Gesittung und Cultur den Weg dahin bahnen sollte, und als achthundert Jahre darnach abermals die Wahlschlacht in den Schluchten des Teutoburger Waldes tobte, da waren es nicht die römischen Adler, welche dem aurückenden Heere voran zogen, sondern das Kreuz, und der es trug, war jener Mann, welcher, wie in ganz Europa, so auch hier allenthalben in Niederdeutschland die Spuren seines Auftretens tief in die Erinnerung und Sage des Volkes eingedrückt hat – Karl der Große. Da, wo jetzt die Trümmer der Iburg den Berg krönen, schlug er nach blutigem Ringen mit den tapferen Sachsen ungleich die Irmen-Säule zu Boden, und die heidnische Welt erlag der christlichen.

Von da ab bewegt sich die Geschichte des Teutoburger Waldes in engern Bahnen, im Anschluß an das Geschick der Lippischen Herren. Als hätten die Berge nach dem Gewaltigen, das sie gesehen, verschmäht, Ritterburgen zu tragen, die Zeugen des brutalen Egoismus und der tiefsten Ohnmacht des Reiches – so finden wir kein Bauwerk dieser Art im Gebirge, mit Ausnahme der von den Lippischen Herren erbauten Falkenburg, aber auch von deren Existenz zeugen nur noch wenige bemooste Steine, und längst hat der hochgewölbte Buchenwald wieder von dem Boden Besitz ergriffen. Ebenso wenig finden sich Rittersitze im angrenzenden flachen Lande, da der Adel entweder als Burgmannschaft in den landesherrlichen Schlössern, oder aber in den Städten saß.

An prächtigen Schlupfwinkeln und Plätzen für Raubschlösser hätte es in diesem wilden Gebirge nicht gefehlt, das sich seine frische Ursprünglichteit in hervorragender Weise bewahrt hat. Nirgend sanft geschwungene Thäler mit Dorf-Idyllen darin, nirgend scharfkantige Höhenprofile, überall waldige Bergrücken von markigen, gedrungenen Formen, Schulter an Schulter gedrängt, sodaß nur Raum bleibt hier für eine enge Schlucht, dort für ein tiefschattiges Waldthal, in langgestreckter Colonne wie eine Schaar alter Recken von Süd nach Nord ziehend und trotzig weit hinaus über die norddeutsche Tiefebene nach Westen hin schauend, als hielten sie noch heute die Wacht gegen die Römerwelt, wie sie es vor neunzehnhundert Jahren thaten. Und weit, weither aus blauer Ferne wirkt der Brocken herüber, als erinnere er an alte Cameradschaft in jenen Zeiten, wo sie noch die äußersten Vorposten des deutschen Hochlandes gegen das Weltmeer bildeten, das zu ihren Füßen brandete.

Dichter, mächtiger Laubwald bedeckt das ganze Gebirge, Buchenwälder von seltener Schönheit, darunter häufig Stämme von kolossalem Umfange, Eichen, welche mit den Riesen des Hasbruch in die Schranken treten können, an den Abhängen der Wetterseite vom Sturme zerzaust und vom Blitze gespalten, zwischen den Stämmen aber – und das giebt dem Walde den frischen urwüchsigen Charakter – ein Unterholz, wie es in seiner Mannigfaltigkeit und malerischen Schönheit von keinem andern deutschen Gebirge übertroffen wird. Zwischen mürrischen, oft zu Baumhöhe emporwachsenden, blaugrünen Distelbüschen quillt eine Fülle prächtiger Farren von Manneslänge, Brombeergebüsche, wilde Rosen etc. hervor; Pilze – darunter Steinpilze von oft mehr als siebenzig Centimeter im Umfange – bedecken überall den weichen Moosboden und aus all dem Gewirr einer reichen Vegetation ragen in düsterem Ernste die dunkeln, immergrünen Wachholderbüsche empor; ihre Geschlechter beherrschen die Gegend, namentlich da, wo sie einen haideartigen Charakter annimmt, derart, daß die Landschaft oft das Bild einer alten cypressenbewachsenen Gräberstätte darbietet; wie denn überhaupt ein Zug diesen Ernstes durch die ganze landschaftliche Scenerie des Teutoburger Waldes geht.

Besonders schön ist die herbstliche Stimmung, wenn der Wald seinen goldenen Mantel anzulegen beginnt, die Thäler dampfen, Wolkengeschwader die Bergrücken umziehen und überall die Schluchten von dem zornigen „Röhren“ der Hirsche widerhallen – denn das wilde Sennerroß und der Hirsch sind bis in unsere Zeit die Herren des Waldes gewesen, und noch heute wird man selten den Weg durch denselben nehmen, ohne wiederholt auf Wild, oft auf Rudel von zwanzig bis dreißig Stück, zu stoßen.

Geographisch gefaßt, ist der Teutoburger Wald ein über zwanzig Meilen langes, verhältnißmäßig schmales und im Wesentlichen in drei Parallelketten vom Thale der Diemel im Süden bis nach Ibbenbüren im Norden sich hinziehendes Gebirge, dessen höchste Spitze, Velmer Stoot, eine Höhe von 467 Meter über dem Meere hat. In der Hauptsache besteht das Gebirge aus Sandstein; nur die beiden Seitenzüge weisen auch Kalk auf. Ein eigenthümliches Ding ist es bekanntlich um den Namen für diesen Gebirgszug. Weder die Geschichte seit Karl dem Großen, noch die anwohnende Bevölkerung kennt einen „Teutoburger Wald“; zur Zeit Karl’s des Großen hieß das Gebirge Osning oder Osnegge, woraus später Egge wurde und der Name „Große Egge“ für eine kleine Strecke in der Nähe der Externsteine. Die Bezeichnung Osninge erscheint noch in einer Urkunde von 1405. Jetzt führen die verschiedenen Abschnitte des Gebirges verschiedene Einzelnamen. Indessen fehlt es, wie das Folgende zeigen wird, keineswegs an Spuren des durch Tacitus und seinen Bericht über die Varus-Schlacht in jüngerer Zeit populär gewordenen Namens.

Von Süden her naht man sich dem Teutoburger Walde über Paderborn, Altenbeken, von Westen über Bielefeld, von Norden über Minden, Herford, von Osten und Südosten über Hannover. Von allen diesen Richtungen führen Straßen, welche sich in Detmold treffen, und der Besucher des Teutoburger Waldes wird gut thun, einer derselben dahin zu folgen und von Detmold aus die Touren in’s Gebirge zu unternehmen da gerade die Strecken südlich und nördlich davon, welche wir bei unserer Schilderung speziell im Auge haben und welche dem „lippischen Wald“ oder, wie das Volk einfach sagt, „dem Wald“ angehören, die schönsten Partien ausweisen.

Detmold ist ein freundliches Städtchen, das sich von den anderen Orten des lippischen Landes durch das modernere Aeußere unterscheidet, ein Umstand, der zum Theil durch wiederholte große Brände im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert zu erklären ist, zum Theil aber auch seinen Grund im Charakter der Residenzstadt hat, zu der es im Anfang des sechszehnten Jahrhunderts erhoben wurde. Das interessanteste und älteste Gebäude Detmolds ist das Schloß, welches einen ebenso malerischen wie imposanten Anblick gewährt. Sonst ist etwa das dortige Museum, das manches werthvolle Material aus dem Lande selbst birgt, bemerkenswerth; auch eine trefflich verwaltete Bibliothek. Bedeutsam ist der Name der Stadt; das einstige „Theotmalli“ gehört neben anderen Oertlichkeiten in seiner Umgebung zu den Zeugnissen, daß hier der Kern des Begriffs „Teutoburger Wald“ zu suchen, daß hier in der Nähe die Varus-Schlacht geschlagen worden ist.

Die Thalmulde, in welcher die Stadt liegt, hat nach dem Gebirge zu einen durch die Berlebeck gebildeten tieferen Einschnitt, und quer vor dessen Mündung erhebt sich die Grotenburg, der Berg des Hermanns-Denkmals, welcher, isolirt aus dem Gebirgszug heraustretend, weithin die Gegend beherrscht. Um den Fuß desselben liegen mehrere uralte Bauernhöfe bei denen sich einige drei Fuß dicke und gegen vierzig Fuß hohe steinerne Vertheidigungsthürme aus alter Zeit erhalten haben, die an die Bezeichnung „Burg“ erinnern. Zwei von diesen Höfen werden noch im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert wiederholt in Urkunden als „in dem Toyt“ und „to dem Toit“ belegen angegeben, und der eine Hof (da, wo der Weg nach dem Hermanns-Denkmal von der Chaussee abbiegt, liegt er unmittelbar zur Linken) heißt jetzt der Tötehof. Wir sehen, wie eng gerade die Grotenburg mit der Bezeichnung „Teutoburger Wald“ verknüpft ist, wenn schon auch anderwärts am Gebirge der Name Teut vorkommt. Für die Bedeutung des Berges spricht ferner der auf dem zweiten Drittel der Höhe gelegene Hünenrings; er heißt der kleine, weil

ursprünglich der Berg da, wo das Denkmal gegenwärtig steht, früher einen bei Weitem größeren trug, von dem nur ein kaum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_491.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)