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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Dieser bärenhafte Deutsche! dachte Donna Mercedes. Er hatte in seiner Seele auch nicht einen Funken jener ritterlichen Unterwürfigkeit, welche man drüben in der Heimath schönen Frauen entgegen zu bringen pflegte. Sie hätte nach jenen eleganten, dunkeläugigen Männern, die sich einst in den Salon ihres Vaters drängten, mit der Reitpeitsche schlagen können, und dafür wäre die züchtigende Hand schmeichelnd geküßt worden.... Wenn sie freilich wahr gegen sich selbst sein wollte, dann mußte sie sich sagen, daß diese Unterwürfigkeit sie stets in tiefster Seele angewidert hatte. Es war in der letzten Zeit ihrer Verlobung manchmal eine Art von Verzweiflung über sie gekommen, und sie hatte zornmüthig, ja bösartig „den armen Valmaseda“ zum Widerspruche anzustacheln gesucht, um nur einmal ihm gegenüber das Heft aus der Hand zu verlieren – vergebens!... Aber es war ein Unterschied zwischen jener gewünschten kleinen Niederlage und einer eclatanten Demüthigung. Bis zu ihrem Tode vergaß sie es nicht, daß sie in schwer erkämpfter Selbstüberwindung ein Einlenken versucht hatte und zurückgewiesen worden war. . . .

Sein häßlicher Kopf – ja, er war entschieden häßlich mit seiner eckigen Stirn, der starken Nase und der habsburgischen Unterlippe – hatte ihr schon damals, als er in der Thür der Flurhalle aufgetaucht war, um die Angekommenen zu begrüßen, einen jähen, unerklärlichen Schrecken eingeflößt, und es war ihr gewesen, als schreite etwas Uebergewaltiges auf sie zu, dem sie nicht auszuweichen vermöchte. Seitdem hatte sie das unbestimmte Gefühl, als müsse sie sich fortgesetzt kampfbereit halten; das hatte ihr die deutsche Luft vergiftet und sie schon in der ersten Stunde an der Kraft, ihre Mission durchzuführen, verzweifeln lassen....

Im Atelier nebenan war es lautlos still. Donna Mercedes sah durch den Glasstreifen, den der Velourvorhang freiließ, wie das Abenddämmern drüben hereinsank. Auf der Gallerie und in der Ecke, welche die Wendeltreppe füllte, lagerten die Schatten schon intensiver; da und dort blinkte noch ein schwacher Lichtfleck auf dem blanken Metall einer weitbauchigen Trinkkanne, oder im Glasgeschirr auf den Credenzen, und es war Donna Mercedes, als müsse jetzt eine altdeutsche Hausfrau, das lang nachschleifende Gewand mit der Gürtelkette aufgenommen, droben in dem geheimnißvollen Düster erscheinen und die Treppe herabsteigen, um dem Maler auf silbernem Brett den Abendtrunk zu bringen. Das that die eigenwillige Frau, die Herrin des Schillingshofes wohl niemals – sie haßte ja den Beruf ihres Mannes.




25.

Donna Mercedes war unter das bereits dunkelnde Laubdach der Platanen getreten. Feierliche Abendstille lag über dem Garten; selbst der letzte flüsternde Hauch in den Wipfeln und Büschen schien erloschen; kein Vogelflügel regte sich. Vom Teich her kamen vereinzelte, klatschende Laute, ein Geräusch, als würden Steine in das Wasser geworfen.

Donna Mercedes verließ die Allee; sie schritt auf dem schmalen Sandwege, der die Wiesenflächen quer durchschnitt, und blieb beobachtend hinter einem Rosenbusche stehen.

Am Teiche stand ein Knabe, den sie noch nie im Garten gesehen – ein spindeldürres Kerlchen mit langen Beinen und auffallend gewandten und sicheren Bewegungen. Er nahm Stein um Stein aus der Tasche und ließ die Kiesel unter einem steten leise pfeifenden „Hui!“ über den Wasserspiegel springen. Und dazwischen lachte er in sich hinein, strampelte mit seinen Storchbeinen und patschte sich vor Vergnügen über jeden gelungenen Wurf die Kniee.

Donna Mercedes sagte sich sofort, daß dies der heimtückische kleine Bursche sein müsse, der José neulich auf das Terrain des Klostergutes gelockt hatte, der Millionenerbe, der letzte Träger des Wolfram’schen Namens, um dessen willen den Lucian’schen Waisen das großmütterliche Vermögen gestohlen werden sollte. Heiliger Zorn wallte in ihr auf. Dieser zigeunerhafte Junge, der kichernd, wie ein triumphirendes Teufelchen, den Teichrasen stampfte, er war schuld, daß ihr schöner, sanfter José noch auf dem Siechbette lag.

Lautlos trat sie hinter dem Busche hervor und ging auf ebenso leisen Sohlen den nach dem Teiche führenden Weg entlang – es lag ihr daran, den Knaben nicht zu verscheuchen. Aber sie vergaß, daß sie ihr schwarzes Seidenkleid mit einem hellen Morgenrocke vertauscht hatte; sie wußte auch nicht, daß Gesicht und Gehör des häßlichen Burschen dort geschärft seien wie die einen jungen Fuchses.

Er wandte den schmalen, haarstarrenden Kopf plötzlich nach der Richtung, von wo das Geräusch des knirschenden Sandes erscholl. Bei Erblicken der heranschreitenden weißen Gestalt warf er den Stein, der eben über das Wasser tanzen sollte, von sich und ergriff die Flucht dem Zaune zu. Gleich darauf duckte er sich geschmeidig und war verschwunden, als habe ihn der Boden verschluckt. Einige Augenblicke später rauschte es zwischen Laub und Aesten, dann war es wieder still.

Donna Mercedes ging bis zu der Stelle, wo der Knabe verschwunden war – durch dieses wilde, scheinbar undurchdringliche Gestrüpp war auch José neulich gekrochen, ahnungslos mit seinen kleinen Füßen den Boden betretend, auf dem sein Vater auch als Kind gespielt, und nicht wissend, daß ihm in dem dunklen, fremden Hause die Großmutter lebe, die harte Großmutter, um deren willen er und sein Schwesterchen über die große, weite Wasserwüste hatte schwimmen müssen.

Donna Mercedes’ Fuß verirrte sich selten bis an den Teich, und seit sie neulich in Todesqualen unter den Linden gestanden und jeden Augenblick erwartet hatte, das blonde Köpfchen ihres ertrunkenen Lieblings müsse sich aus der dunklen Fluth heben – seit jenem grauenvollen Moment hatte sie diese Partie des Gartens gemieden. Bis an den Zaun selbst war sie überhaupt nie gekommen. Die ganze lange Linie bildete eine völlige Wildniß von Haselstauden und Syringenbüschen, die man auch auf dem Schilling’schen Grund und Boden nur nothdürftig beschnitt. Ein allzu kräftiger Geruch von Lauch und Zwiebeln quoll durch das Geäst, und da, wo Mercedes stand, hingen volle Büsche reifender kleiner Sauerkirschen zwischen dem Laub – ein niedriger Kirschbaum hatte seine Aeste durch den Zaun nach der Südsonne hin getrieben – edle Obstsorten schienen da drüben nicht gepflegt zu werden.

Ein kreischender Laut unterbrach die Stille, jenseits des Zaunes drehte sich eine Thür in rostigen Angeln und fiel knarrend wieder zu; dann traten feste Füße auf Kiesgeröll – sie schritten langsam einen, wie es schien, geradlinigen Weg entlang und bogen plötzlich auf weicheres Erdreich ein, direct auf den Zaun zugehend.

Donna Mercedes zog sich zurück, unter dem seltsamen Gefühl, als müsse die wandelnde Gestalt drüben durch das Gestrüpp brechen und an sie herantreten. Sie ging unter den Teichlinden hin, aber ehe sie den Weg wieder betrat, der nach der Allee führte, wandte sie noch einmal unwillkürlich, wie durch eine magnetische Kraft angezogen, den Kopf zurück. Es war ihr, als stände sie unter einem Bann – zwei glühende Augen mit verzehrendem Blick waren es, die ihr über den Zaun weg nachstarrten.

Sie kannte diesen Kopf mit dem Haardiadem über der Stirn, mit dem wachsbleichen Colorit und den schmalen scharfgeschnittenen Lippen, die eines Abends das erschütternde „Gestorben?“ hervorgestoßen hatten.... Das Herz stand ihr fast still vor Ueberraschung. Jetzt wußte sie um das Geheimniß der nachtwandelnden Erscheinung in der Säulenhalle – es war die Unerbittliche, die Sohn und Gatten in grausamer Härte und unbeugsamem Starrsinn von sich gestoßen und über das Meer in eine neue Heimath getrieben hatte. Das immer noch schöne, einem Steinbild gleichende Weib dort war die Vorgängerin der stolzen Spanierin, war Major Lucian’s erste Frau. Sie schlummerten Beide unter der Erde, deren Geschick sie eigenmächtig gewandelt – die gewaltige, festgefügte Gestalt dort hatte sie überdauert; sie lebte und – litt.

Die Nemesis war gekommen; sie rüttelte an diesem Gewissen wer weiß wie lange schon. Und in der erschütterten Seele regte sich jetzt ein weiches Gefühl; ein blondlockiges Kind, das die Züge des verstoßenen Sohnes trug, stand ihr mahnend immer vor Augen – die großmütterliche Liebe war mächtiger, als der Mutterzorn; sie quoll auf in dem verschütteten Herzen, unwiderstehlich, zersprengend, wie die Triebkraft einen werdenden Baum durch Gestein und Geröll an das Licht treibt.

Donna Mercedes ging auf die Frau zu, und diese wich nicht zurück. Sie mußte auf einer Bank stehen, denn vom

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