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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ein, und der Baronin den Arm bietend, befahl sie dem Bedienten, sogleich für das Arrangement des Theetisches zu sorgen. Damit führte sie die Herrin des Schillingshofes wie eine Pflegebefohlene durch den Corridor und die Treppe hinauf.

Die Druntenstehenden stoben aus einander. Mamsell Birkner verbarg ihr verstörtes Gesicht und die in Thränen schwimmenden Augen in ihr Taschentuch, während der Bediente Robert mit einem hämischen Lächeln an ihr vorüber in die Küche hinabrannte. Der Gärtner und der Stallbursche traten heraus auf die Freitreppe, um nach dem Stallgebäude zu gehen. Sie gingen an Donna Mercedes, welche sich an die Wand schmiegte, vorüber, ohne sie zu bemerken.

„Die muß springen!“ sagte halblaut der Gärtner, mit dem Daumen über die Schulter zurück nach der Wirthschaftsmamsell zeigend. „Die muß springen, da hilft kein Gott! Sie ist die einzige Protestantin im Schillingshofe – sie und das Hannchen. Die Beiden sind der Gnädigen immer ein Dorn im Auge gewesen, aber sie hat sich doch nicht getraut, die Leute, die der Herr beschützt, so mir nichts dir nichts aus dem Hause zu jagen. Nun ist sie aber wieder in Rom und gar im Kloster gewesen – Herr Gott, das sieht ihr ein Jeder auf hundert Schritt an. Sie müssen die Frau dort ganz rebellisch gemacht haben, und Fräulein von Riedt sieht auch aus wie ein Bild ohne Gnade – da giebt’s keine Rettung mehr für die arme Birkner.“

Sie gingen die Stufen hinab, und Donna Mercedes trat in das Haus. Ein starker Moschusduft hauchte sie an – er mochte das Lieblingsparfüm einer der heimgekehrten Damen sein. Es kam ihr vor, als sei plötzlich ein grauer Schleier über alles Licht, über den ganzen Schillingshof gesunken, als müßten die heidnischen Karyatiden vom Plafond und die Statuen eiligst aus ihren Nischen herabsteigen, um sich zu verstecken. Wie war es überhaupt möglich, daß sie bis heute ihren Platz behaupten konnten, daß die graue Schattengestalt sie nicht längst im fanatischen Eifer herabgestürzt hatte?

In dieser Nacht schloß Donna Mercedes die Augen nicht – sie suchte ihr Bett nicht einmal auf. Es bedurfte ihrer ganzen Geistesschärfe, ihrer vollen inneren Kraft, um sich über alles das, was auf sie einstürmte, emporzuarbeiten und den klaren Ueberblick zu gewinnen. Gerade jetzt galt es, auszuharren und fest auf dem Posten zu bleiben – gerade jetzt, wo vom Klostergute eine Hand – wenn auch noch scheu und widerstrebend – herübergriff und Fühlung suchte mit den Kindern des Verstoßenen.

So hatte sich Donna Mercedes, bald im Salon auf- und abwandelnd, bald in die Fensternische geschmiegt und den Blick auf das Bild des todten Bruders geheftet, gestählt und gefestet – vor Allem gegen das Heer von Anfechtungen, das sie unausbleiblich erwartete, seit sie in das Gesicht der heimgekehrten Frau vom Hause gesehen. Als die Hängelampe am Deckengebälk des Salons knisternd erlosch und ein blaßrosiger Schein den dämmernden Morgenhimmel überflog, da lag auf dem schönen Frauenantlitz der wiedererkämpfte Ausdruck rücksichtsloser Entschlossenheit.




26.

Mit Tagesanbruch wurde es lebendig im Schillingshof. Die Dienerschaft, die noch gestern auf den Zehen gegangen war, polterte treppauf, treppab und trabte mit gewichtigen Absätzen geräuschvoll über die Marmorfliesen der Flurhalle. Im Vorgarten rasselten eisernen Rechen über die Kieswege – einige Taglöhner rafften unter Anführung des Gärtners das Stroh weg, ängstlich sorgsam, auf daß auch nicht ein Halm an dem blanken Geröll hängen bleibe. Die Röhren des Brunnenmonumentes wurden auch aufgeschraubt, und brausend fuhren die so lange gefangen gehaltenen Wasserstrahlen in die sonnendurchleuchtete, blaue Morgenluft hinein.

Donna Mercedes sah vom Fenster aus ruhig und gelassen der Wiederherstellung der früheren Ordnung zu. José hatte in der Nacht prächtig geschlafen; er war frisch und sichtlich gestärkt erwacht, und das Geräusch in und außer dem Hause schien ihn nicht weiter zu behelligen. Die kleine Paula aber jubelte über die springenden Fontänen, wie über ein neues Spielzeug. Sie war nach dem Frühstück auf Tantes Lehnstuhl in der Fensternische geklettert und ergötzte sich unermüdlich an den plätschernden und zerstäubenden Wassern, denen das Sonnenlicht ein köstliches Regenbogengeflimmer entlockte.

Die Kleine sah in dem mächtigen Bogenfenster aus wie ein wirres Blumenelfchen. Mit den nackten Schultern aus dem losen, blauen Kleidchen schlüpfend, das an seinem Ausschnitt das Spitzengekräusel des Battisthemdchens sehen ließ, stützte sie die kleinen Arme auf den Fenstersims, und das Blondhaar fiel ihr volllockig in die Stirn und an den Schläfen hinab über Schultern und Rücken. Donna Mercedes stand neben ihr, im frischen weißen Morgenkleide; ihre Hand glitt mechanisch über das Lockengewoge des Kindes, während die dunklen Augen ziellos in den weiten Himmel hineinschweiften.

Da trat die Herrin des Schillingshofes in Fräulein von Riedt’s Begleitung hinter dem nächsten Buschwerk hervor. Sie war in derselben Toilette wie gestern Abend. Das goldene Kreuz funkelte ihr auf der Brust, und in den graubekleideten Händen hielt sie ein Buch von violettem Sammeteinband. Die Damen kamen jedenfalls schon aus der nahen Benediktinerkirche, wo sie ihr Morgengebet verrichtet hatten.

In der klaren, scharfen Morgenbeleuchtung erschien die Baronin fast noch abstoßender, als gestern beim Lampenlicht. – Kränklichkeit, vor Allem aber wohl ein leidenschaftliches, wenn auch mit großer Kunst verheimlichtes Naturell – wie Felix stets behauptet – hatten an diesem langgestreckten Gesicht verhäßlichend gearbeitet; die Züge waren schlaff und verwüstet, wie die einer Greisin.

Fräulein von Riedt sah abgewendet und aufmerksam über das Parterre hin, auf welchem noch die Arbeiter beschäftigt waren; die Augen der Baronin aber überflogen verstohlen die Fensterreihe der nördlichen Erdgeschoßwohnung. Einen Moment blieben diese glanzlosen Augen an dem Bogenfenster hängen, hinter dessen Scheiben die Dame mit dem Kinde stand – sie wurden weit und starr wie in plötzlicher Ueberraschung, aber fast ebenso schnell zuckte ein feindseliger Strahl herüber. Es lag etwas Duckmäuserisches in der Art, wie diese Frau den Kopf senkte und beschleunigten Schrittes weiter ging, als habe sie gar nichts gesehen.

Später kam der behandelnde Arzt, aber nicht direct von der Straße, sondern aus der Beletage – die Gnädige hatte ihn schon in aller Frühe in ihre Gemächer citirt, wie er sagte. Er war der Hausarzt im Schillingshofe – ein braver, gerader Mann, auf dessen Gesicht heute ein kaum zu unterdrückender Aerger lag. Er rieth denn auch Donna Mercedes im Laufe des Gespräches, vorläufig jede Begegnung mit der Baronin zu vermeiden; sie lasse es sich nicht ausreden, daß der Typhus in ihrem Hause sei, und zeige eine geradezu wahnwitzige Furcht vor der Ansteckung. In der Flurhalle sähe es aus, als würden den griechischen Götterbildern Weihe-Opfer dargebracht; so dampfe es in dicken blauen Wolken aus rings aufgestellten Kohlenbecken. Mit welchem sardonischen Lächeln er das sagte!

Seinen kleinen Patienten fand er in der Genesung auffallend vorgeschritten.

„Aber,“ sagte er mit aufgehobenem Drohfinger und bedeutungsvollem Nachdruck zu Donna Mercedes, „ich muß dringend bitten, daß Sie sich durch nichts, durch gar nichts bestimmen lassen, das Kind in seiner Ruhe zu stören! Ich mache Sie, gnädige Frau, für jede nachtheilige Veränderung im Befinden des Reconvalescenten verantwortlich.“

Was Alles mußte der Mann soeben in der Beletage gehört und erlebt haben! Das schien ihn jedoch nicht im Geringsten zu beeinflussen. Er hatte den kleinen Knaben sehr lieb gewonnen, und für Donna Mercedes zeigte er große Verehrung – er war liebenswürdiger als je und gestattete heute auch auf José’s Bitten endlich, daß die Tante zum ersten Male wieder auf dem Flügel spiele. Donna Mercedes setzte sich an das Instrument und schlug einige gedämpfte Accorde an. Sie war keine Meisterin; eine brillante Technik besaß sie nicht. Ihr feuriges Naturell sträubte sich gegen den Zwang des geduldigen Uebens, wie das Steppenroß gegen den Zügel, aber eine Art wilder Genialität durchglühte ihren Vortrag; sie fühlte unter den Tönen die Seelenfesseln springen.... Und deshalb hatte sie ihren Flügel mitgenommen – auf einem anderen Instrument spielte sie niemals.

Ein Freudenschimmer überflog ihr schönes, stolzes Gesicht, als sie die Finger zum ersten Mal nach so langer Entbehrung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_515.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)