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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

wieder auf die Tasten legte. Sie spielte „Adelaide“ von Beethoven mit vorsichtigem Anschlag, in Berücksichtigung des kleinen Reconvalescenten – aber welche tiefe Innigkeit beseelte diese Klänge! „Einsam wandelt dein Freund im Frühlingsgarten“ – wie gefangen irrte ihre Seele um das exotische Gesträuch im Glashause; die Fontainen plätscherten; auf der zitternden Wasserfläche schwankte der Gloxinienkelch, und hinter der halbverhangenen Glaswand dämmerten ergreifend lebendig die Gestalten, die der eckigen Stirn des häßlichen Kopfes entstammten.

Zornig schüttelte die Spielerin das wogende Haar in den Nacken zurück und griff energischer in die Tasten, als sollten und müßten andere Melodien übertönt werden; das herrliche Instrument erbrauste in majestätischer Pracht und Tonfülle – José lauschte athemlos in seinem Bettchen, und der Arzt lehnte wie festgebannt am Fensterpfeiler.

Da wurde plötzlich die Salonthür geöffnet, rücksichtslos rasch und laut, als werde dringende Botschaft gebracht. Der Bediente Robert trat herein, aber nicht mit der gewohnten Devotion; er kehrte eine sehr dreiste Miene heraus – man sah sofort, daß dieser Mann in blanker Livrée, mit dem tadellosen Mittelscheitel und den zwinkernden Augen als Abgesandter auf ausgedehnten Vollmachten fuße.

„Meine gnädige Herrschaft läßt recht sehr bitten, nicht weiter zu spielen,“ sagte er ziemlich kurz und mit einer leichten Verbeugung. „Im Schillingshofe darf nie Musik gemacht werden; auch die Drehorgelmänner dürfen wir nicht hereinlassen. Die gnädige Frau Baronin kann absolut keine Musik vertragen.“

„Ei, ist’s denn die Möglichkeit! Selbst die Drehorgelmänner nicht?“ lachte der Arzt sarkastisch auf. „Uebrigens begreife ich nicht – die Gnädige wohnt ja doch auf der entgegengesetzten Seite –“

„Die Damen frühstücken auf der Terrasse, und da hört man das Spielen,“ unterbrach ihn der Bediente mit hochgezogenen Brauen wichtig und überlegen.

„Die Hexen!“ murmelte der Doctor grimmig in den Bart. Er griff nach seinem Hut und empfahl sich mit einem vielsagenden spöttischen Lächeln, während Donna Mercedes sich schweigend erhob und den Flügel schloß.

Sie trat an ihren Schreibtisch und schien es nicht zu bemerken, daß der Diener an der Thür stehen geblieben war. In dem Menschen, der sich plötzlich auf dem Standpunkt des Gebietenden der Dame gegenüber fühlte, kochte die Wuth. Er trat ziemlich geräuschvoll tiefer in das Zimmer und zeigte auf einen Papierbogen, den er in der Hand hielt.

„Ich möchte bitten“ – hob er unter vernehmlichem Räuspern an.

Die Dame wandte ihm langsam und majestätisch das Gesicht zu, und er bückte sich unwillkürlich vor dem stolz verwunderten Blick, der ihn von Kopf bis zu Füßen maß.

„Ich habe da verschiedene Auslagen notirt,“ sagte er, ihr das Papier hinhaltend, das sie jedoch nicht ergriff. „Die Dame, die abgereist ist, hat nie die Droschken bezahlt, mit denen sie nach Hause kam – die Kutscher hielten sich an mich. Auch den Leuten, welche die gekauften und bestellten Sachen brachten, hab’ ich das Trinkgeld geben müssen. Ich hab’ mich auch nicht geweigert; denn ich dachte immer, das gehöre mit zu der Gastfreundschaft. Nun hab’ ich vorhin der Gnädigen den Zettel vorgelegt, aber sie sagt, das gehe sie gar nichts an.“

„Das ist richtig. In derartigen Dingen haben Sie sich an meinen Diener Jack zu wenden.“

Er kraute sich mit einem impertinenten Lächeln hinter dem Ohr. „In dem Schwarzen seiner Hand hab’ ich noch keinen Pfennig gesehen,“ sagte er stockend in fingirter Verlegenheit; „und mein Grundsatz ist immer, lieber gleich vor die rechte Schmiede zu gehen.“

Donna Mercedes preßte die blaßgewordenen Lippen auf einander, und ein tiefer, schwerer Athemzug hob ihre Brust. Sie schloß schweigend einen Kasten im Aufsatz des Schreibtisches auf und zog ihn heraus – er war bis an den Rand mit Goldstücken gefüllt.

„Nehmen Sie, was Ihnen zukommt!“ sagte sie kurz und zeigte auf das Gold – um keinen Preis hätte sie diesem Menschen Geld hinzählen mögen.

Er prallte bestürzt zurück, als fahre ihm eine Flamme aus dem märchenhaft reichen Kasten entgegen. Er hatte eben noch boshaft angedeutet, daß er keinen Pfennig in der Erdgeschoßwohnung vermuthe, und nun blinkte ihm da eine niegesehene Geldmasse entgegen, so sorglos und nachlässig verwahrt, daß er sich selbst eingestand, die Dame müsse von Jugend auf in Nabobs-Gewohnheiten erzogen sein.

„Aber, gnädigste Frau, das kann ich doch unmöglich,“ stotterte er fassungslos – seine Bedientenaufgeblasenheit sank kläglich zusammen.

„Nehmen Sie!“ wiederholte sie, und ihre stolzen Brauen falteten sich finster.

Er trat scheu auf den Zehen heran und nahm mit so spitzen Fingern, als fürchte er, sich zu verbrennen, ein Goldstück heraus. Dann zog er schleunigst sein Portemonnaie aus der Tasche. „Meine Auslagen betragen nicht so viel – gnädigste Frau bekommen über die Hälfte zurück,“ sagte er und schickte sich an, schmutziges Kleingeld auf die Tischplatte, nahe vor dem Bild des „armen Valmaseda“, des ehemaligen Crösus von Südcarolina, hinzuzählen.

Donna Mercedes hob den Arm und zeigte nach der Thür.

„Gehen Sie!“ befahl sie streng und gebieterisch. „Für künftig bitte ich mir’s aus, daß ich nie wieder in dieser directen Weise behelligt werde. Mein Diener Jack hat den persönlichen Dienst – Ihnen steht es nicht zu, ohne specielle Aufforderung meine Gemächer zu betreten.“

„Wie die gnädige Frau befehlen!“ stammelte er unterwürfig.

Er steckte das Goldstück ein und zog sich unter tiefen Bücklingen nach der Thür zurück, freilich, ohne auch nur einen Blick zu erhaschen – Donna Mercedes hatte sich abgewendet und sah hinaus in den Garten.

„Ich Dummkopf! Ich Narr! Ich könnte mich selbst ohrfeigen für meine Stockblindheit,“ murmelte er draußen, einen Moment wie erstarrt an der Schwelle stehenbleibend. „Was für Trinkgelder hätte es da gegeben! Nun bin ich d’rum.... Da drinn ist doch Alles echt, Fritz“ – sagte er, nach dem Salon zurückdeutend, kleinlaut zu dem Hausknecht, der eben wieder neues Räucherwerk auf die dampfenden Kohlenpfannen schüttete – „die Edelsteine, das Gold und Silber, und – die Mohren auch! Die Dame hat Geld wie Heu. In dem schweren Koffer waren keine Bücher – nun weiß ich’s. Ach, das Gold! das Gold!“

Sie aber, von der er sprach, sie stand zürnend in der Fensternische, und ein unbeschreibliches Gemisch von Erstaunen, Ekel und Verachtung kämpfte in ihrem Gesichtsausdruck.... Die Domestikenfrechheit in diesem deutschen Hause hatte eben den Gipfelpunkt erreicht – ihre Persönlichkeit, ihr stolzer Name, ihr gewohntes sicheres Auftreten, das Alles vermochte nicht, Respect einzuflößen – die Waffe gegen die Unverschämtheit hatte sie unbewußt ergriffen – das Gold!... Das war eine bittere Lehre.... Und in diesem Hause genoß sie die Gastfreundschaft. – Gastfreundschaft! Daheim war sie in unbeschränktem Maße unter den Standesgenossen geübt worden – sie hatte das nie anders gewußt, und danach auch das Haus bemessen, das Baron Schilling ihrem Bruder für die Seinigen angeboten.... Sie mußte an die mitgenommenen Kellerschlüssel denken – die Frau Baronin war nicht allein tückisch, wie sie damals einzig und allein angenommen, sie war auch geizig.... Sollte sie von Bezahlung sprechen? Oder der Dame in etwas feinerer Form einige ihrer ungefaßten, kostbaren Juwelen hinaufschicken? Was aber würde er zu einem solchen Schritt sagen? – Er würde noch schlechter von ihr denken, als bisher....

Sie sank in ihren Lehnstuhl und vergrub das Gesicht in den Händen.




27.

Nun hatte sich der sehnliche Wunsch der Dienerschaft erfüllt – die Herrin war zurückgekehrt; allein die Schadenfreude war schon am anderen Morgen einer allgemeinen Niedergeschlagenheit gewichen. Die Reizbarkeit der Gnädige hatte sich, wie jedes Mal auf den Wallfahrtstouren, sehr verschlimmert. Dazu kam der heftige Unwille über die Abwesenheit ihres Gemahls. Sie hatte es zwar aufgegeben, ihm nachzureisen, nachdem ihr der Bediente Robert mitgetheilt, daß er und Mamsell Birkner nur für wenige Tage Instructionen erhalten und deshalb den gnädigen Herrn in der Kürze zurück erwarten dürften, allein die verbitterte Laune der gnädigen Frau war damit nicht besser geworden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_516.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)