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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

No. 32. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Die Baronin war, ohne sich umzusehen, in das Atelier zurückgekehrt. Und nun ging sie von Schrank zu Schrank; keine der Thüren war verschlossen; die meisten Schubfächer waren leer oder mit Zeichnungen und Entwürfen gefüllt. Sie suchte auf den Simsen und Borden – jedenfalls nach irgend einem achtlos liegengelassenen Brief.

Die Stiftsdame war an die Staffelei getreten. Anfänglich hatte sie in regungsloser Ueberraschung wie angewurzelt gestanden – aber nun entfuhr ihr ein Ausruf der Entrüstung. Sie rauschte um einige Schritte von dem Bilde weg.

„Ich bitte Dich, Clementine, lasse doch dieses widerwärtige Spioniren!“ rief sie in zürnender Ungeduld. „Komm lieber hierher und sieh, was Du durch Deine Indolenz verschuldet hast!“

„Mein Gott, was hast Du denn wieder?“ antwortete die Baronin ärgerlich über die Schulter hinüber. Sie hatte eben ein leeres Couvert in einem der Fächer gefunden und schien jeden Buchstaben der Adresse mit den Augen zu verschlingen. „Ist das nicht von Damenhand?“ fragte sie, eilig das Atelier durchschreitend, und hielt der Stiftsdame das Couvert hin.

„Ich berühre Anderer Briefe grundsätzlich nicht,“ entgegnete diese in herber Rüge und hob abwehrend die Hand. „Wozu diese häßliche Art von Indiscretion? Selbst wenn Dir der Inhalt einen eclatanten Beweis der Untreue in die Hände lieferte“ – eine Flamme innerer Erregung schlug bei diesen Worten über das Gesicht der Baronin hin – „er würde Deinen Mann bei den Unserigen weniger schuldig erscheinen lassen, als dieses Bild hier. Sieh her!“

Sie trat wieder hinter die Staffelei, während die Baronin unter einem Gemisch von Scheu, Verdruß und Widerspruch sich nicht von der Stelle bewegte.

„Ach was – ich mag nicht,“ versetzte sie störrisch. „Du berührst seine Briefe nicht, und ich sehe grundsätzlich seine Bilder nicht an. –“

„Ja, leider! Da rühmst Du Dich, weil Du noch nie das Atelier betreten hast, und jetzt weiß ich, daß Du stets und immer in dieser Werkstätte hättest zugegen sein müssen, um einen Weltskandal zu verhindern.“ Sie streckte die Hand gegen das Bild aus. „Das ist das abscheulichste Tendenzgemälde, das je in die Welt hinausgegangen ist,“ rief sie tief erregt. „Diese hier,“ – sie zeigte auf die herrliche Mittelgruppe – „die Abgefallenen, die Ketzer, die vor Gottes Angesicht Verstoßenen, sie tragen den Nimbus himmlischer Verklärung, und die Getreuen dort, die in Glaubensinbrunst die Waffen ergriffen, um den Fels der Kirche von dem hinaufkriechenden Gewürm zu säubern, sie kommen da hervorgestürzt als mord- und blutgierige Teufel. Und das konnte in seinem Kopfe entstehen, während Du an seiner Seite gingst! Es durfte ungehindert Form und Farbe annehmen, dieweil Du kein anderes Ziel verfolgtest, als den spröden Ehemann als schmachtenden und sclavisch unterwürfigen Liebhaber zu Deinen Füßen zu sehen.“

Die Baronin trat mit einer heftig unterbrechenden Bewegung auf sie zu; mit diesen zwei raschen Schritten aber stand sie auch vor dem Bilde, dessen Anblick sie bisher vermieden hatte. Einen Augenblick schwieg sie, offenbar vor Bestürzung, dann aber fuhr sie zornig mit der flachen Rechten, wie auslöschend, über die Mädchengestalt im Nachtgewande, deren wundervolle Büste der mitleidig übergeworfene schwarze Schleier nur halb verhüllte.

„Schändlich! Was für eine abscheuliche Phantasie er hat!“ stieß sie hervor. „Und da thut er so zurückhaltend und ascetisch und treibt doch insgeheim sündhaften Cultus mit solchen – Nacktheiten.“

Donna Mercedes beobachtete aus ihrem Versteck hinter dem Myrthenstrauch die beiden Frauen. Das kühne, kräftig geschnittene Profil der Stiftsdame hob sich scharf, in fast antiker Linie von dem Hintergrunde des Ateliers. Sie konnte deutlich jeden Zug erkennen, sie sah auch, wie die zwei brennenden, nachtdunklen Augen mit einem verächtlichen Blick die erbitterte Frau seitwärts streiften.

„Das sehe ich kaum,“ sagte sie kalt und achselzuckend. „Ich halte es auch für keine Sünde – die frömmsten Mönche haben den menschlichen Körper in unverhüllter Schönheit auf ihre Bilder gebracht. Hier sündigt allein die Tendenz. Mir kocht das Blut, wenn ich denke, daß auch von hier aus ein Schlag gegen den Katholicismus geführt werden wird, wie es jetzt überall in Wort und Bild aufrührerisch gegen Rom und seine Getreuen anstürmt; von hier, von dem Grund und Boden aus, den sie der Kirche gestohlen haben. Was frage ich nach den besiegelten Documenten der Schillings und der Ketzerfamilie drüben auf dem Klostergute! Der Fleck Erde, auf den die Kirche einmal ihren weihenden Fuß gesetzt hat, ist unveräußerlich – er bleibt ihr, und wenn sie auch Jahrhunderte hindurch der brutalen Gewalt und Willkür weichen mußte, einmal kommt sie wieder zu ihrem Rechte. Und ihr darin beizustehen ist die heilige Pflicht jedes eifrigen Katholiken.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_529.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)