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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Kammern hinauf. Diese eilte zu ihrer Herrin, um noch nach ihren etwaigen Befehlen zu fragen.

Der Amtsrichter Kern begab sich zum Bezirksarzt zurück, der noch bei der Leiche weilte, um diesen von Bahring’s Tod in Kenntniß zu setzen.




„Mir ist nun Alles klar,“ schloß der Amtsrichter seinen Bericht über die bisherigen Ermittelungen an den Arzt. „Bahring hat den Mord begangen, aus Eifersucht, um sich an seinem glücklicheren Nebenbuhler, an seiner ungetreuen Geliebten zu rächen. Aber er war schon bei Vollführung der Mordthat entschlossen, sich der weltlichen Gerechtigkeit durch Selbstentleibung zu entziehen. Er achtete daher auch nicht auf die Gefahr, welche ihm die Zurücklassung seines blutigen Taschentuches und die Zerreißung der Briefe der Braut bringen mußte. Denn vor der Entdeckung hoffte er sicher sein Haus zu gewinnen. Die Reinigung seiner Hände von Blut war eine Regung jenes menschlichen Schauders, der auch den Mörder erfaßt, wenn er das vergossene Blut des Opfers an seiner Hand gewahrt. Er verschloß alle Thüren bei seinem Weggang, die ihm Entdecker und Verfolger hätten zuziehen können, ehe er die Straße und sein Haus gewonnen. Er mußte sich freilich von dem Schlosse der Hausthür einen Abdruck, einen Nachschlüssel verschafft haben. Diesen hat er vermuthlich unterwegs versteckt, verloren oder in den Fluß geworfen. Damit ist das Interesse der Justiz an dem Falle erledigt, Herr Doctor, und wir müssen, der gesetzlichen Vorschrift halber, nur noch im Laufe des Tages eine vollständige äußere Besichtigung des Leichnams des armen Wolf und dann dessen Section vornehmen.“

„Dann möchte ich, wenn Sie erlauben, die äußere Besichtigung des Leichnams jetzt gleich vollenden,“ erwiderte der Bezirksarzt.

„Ganz wie Sie wünschen! Ich werde unterdessen das Protokoll über die bisherige Resultate unserer Erörterungen aufsetzen. – Ist hier irgendwo ein Schreibtisch mit Tinte und Feder?“ fragte Kern die eintretende Margret.

„In dem zweitnächsten Zimmer,“ erwiderte sie und leuchtete dem Amtsrichter dorthin.

„Wo?“ fragte er, sich umblickend.

„Dort im Secretär,“ sagte sie leise. Und nachdem sie einen Augenblick argwöhnisch in der Richtung nach dem Flur gehorcht, fügte sie rasch und erregt hinzu. „Ich habe Ihnen eine wichtige Mittheilung zu machen, Herr Amtsrichter.“

„Eine Mittheilung? Reden Sie,“ bat Kern, indem sein Auge mit Spannung und Wohlgefallen auf den klugen, schönen Zügen des Mädchens ruhte.

„Ich glaube nicht, daß Bahring der Mörder meines Herrn war,“ stieß Margret leise und dringend hervor.

„Bahring nicht – wer denn, Margret?“

„Das mögen Sie selbst ermessen, Herr Amtsrichter, wenn Sie mich angehört haben!“

„Nehmen Sie Platz!“ bat der Amtsrichter eifrig, indem er sich in einen Lehnstuhl setzte.

Margret blieb stehen. Sie stellte ihr Licht auf den Tisch und trat dann nahe an den Amtsrichter heran, damit ihre leisen Worte von ihm verstanden würden, und der Horcher, der etwa draußen an die Thür träte, nichts vernehme. Ihr Busen wogte. Das ruhige, muthige Mädchen war sichtlich erregt über das, was sie zu sagen hatte.

„Herr Amtsrichter,“ begann sie, „ich muß sehr kurz sein; denn während ich rede, wird der Mörder Alles aufbieten, die Spuren seiner That zu verwischen. Folgen Sie den geringen Beweisen, die ich jetzt bieten kann, sofort! Sonst ist es für immer zu spät. – Ich muß Ihnen also vor Allem sagen: Ich wachte, als sich der erste Lärm diese Nacht erhob. Bis nach elf Uhr wachte ich – nun, weil ich nicht schlafen konnte, aber von da an – weil Herr King nach Hause kam und weil ich erst schlafen wollte, nachdem ich sicher war, daß er schlief. Ich sehe, ich bin Ihnen unverständlich. Ich muß Ihnen leider, um Ihnen etwas verständlicher zu werden, ein Geheimniß anvertrauen, das bisher nur mir gehörte. Herr King ist mir von jeher unheimlich gewesen, aber seit etwa einem halben Jahr wurde er mir verächtlich. Ich schlief bis dahin, auf den Frieden dieses Hauses vertrauend, bei offener Thür. Eines Nachts fahre ich aus dem Schlaf empor und sehe zu meinem namenlosen Schrecken einen Mann am Rande meines Bettes sitzen, seine Rechte ist um meinen Hals geschlungen. Es war King. Der gebrochene Strahl des Mondes, der durch mein kleines Fenster drang, verrieth ihn. Ich verlor kein unnützes Wort, Herr Amtsrichter. Im nächsten Augenblick saß ihm ein so kräftiger Faustschlag unter dem Kinn, daß alle seine Zähne klapperten. Ich sah, wie er beide Hände an die Kinnladen erhob, um den Schmerz zu verbeißen.

‚Sie gehen augenblicklich, oder ich rufe um Hülfe,’ sagte ich. Er verschwand geräuschlos, Herr Amtsrichter. Ich hörte nur noch, wie er auf seinen wollenen Socken unheimlich leise auf den Vorsaal huschte und in der Gesellenkammer verschwand. So muß eine giftige Schlange schleichen, dachte ich mir. Am andern Morgen klagte er über Zahnschmerzen. Das geschah vor etwa einem halben Jahr. Ich sagte bis zur Stunde Niemandem davon.

Diese Nacht nun hörte ich nach elf Uhr deutlich, wie King mit schwerem Männerschritt die Treppen heraufkam. Er ging direct in seine Kammer. Eine halbe Stunde etwa verging in lautloser Stille, und ich durfte wohl annehmen, er sei fest eingeschlafen. Auf einmal höre ich wieder denselben hastenden, schleichenden Tritt, mit dem King in jener Nacht aus meiner Kammer entwichen war. Ich fürchtete nichts; denn meine Kammer hielt ich seitdem gut verriegelt, und er wußte das. Um so auffallender war es mir, daß jetzt seine Schritte gerade auf meine Thür zukamen. Wollte er sich überzeugen, daß ich schlief, und weshalb? Ich that ihm den Gefallen und athmete laut und lang, wie eine Tiefschlafende, obwohl ich in meinem Bette aufsaß und mindestens mit derselben Spannung jede seiner Bewegungen begleitete, wie er die meinigen. Sowie er mein tiefes, regelmäßiges Athmen gehört, schlich er wieder davon. Er schlich der Treppe zu.

Was mag er vorhaben? dachte ich. Offenbar etwas, wozu er keine Zeugen habe möchte – am wenigsten mich; denn er wußte, daß ich seit jener Nacht jeden seiner Schritte bewachte. Was konnte er aber vorhaben? Ich machte mich bereit, sofort hinabeilen zu können, sowie ich eine Thür, ein Fenster würde gehen hören. Aber ich hörte nichts, gar nichts mehr; denn seine Tritte waren schon auf der obern Treppe unhörbar geworden. Minuten vergingen geräuschlos. Da hörte ich doch etwas. Die Stimme meines Herrn sprach gedämpft in der ersten Etage, ruhig, aber sehr leise, zu einem Andern. Dieser Andere mußte King sein. Beide mußten nun tiefer, nach dem Keller zu gehen; denn ich hörte die Stimme meines Herrn noch einmal auf der untern Treppe, die bei der Hausthür endet. Ich hörte auch, daß sein Tritt jene Stufe der untern Treppe berührte, welche man nicht betreten kann, ohne daß sie knarrt. Dann hörte ich kurze Zeit später, von der Gegend der Kellerthür, aus dem Hausflur einen Schrei – dann noch einen, tiefer im Hause, schriller, und doch gedämpfter. Ich eilte nun hinunter. Das Uebrige wissen Sie, von Tromper, von den Damen.“

„Sie halten King für den Mörder, Margret?“ fragte der Amtsrichter, sinnend in ihr Auge blickend, als sie inne hielt.

„Ja, Herr Amtsrichter,“ antwortete sie leise und scharf, und ein sichtbares Schaudern ging durch ihren ganzen Körper.

„Geben Sie mir nur Beweise,“ sagte der Amtsrichter ermuthigend.

„Was ich bisher Ihnen mittheilte, erscheint Ihnen also nicht wichtig?“ fragte Margret kleinlaut.

„Im Zusammenhang mit Anderm gewinnt es vielleicht Bedeutung,“ erklärte Kern freundlich, „Vor Allem eine Frage: wie denken Sie sich den Hergang von dem Augenblick an, wo Sie King’s Schritte auf der oberen Treppe verhallen hörten, bis zu dem Moment, wo Sie den ersten Schrei Wolf’s vernahmen?“

„Nun, das scheint mir einfach,“ erwiderte Margret. „King wußte, daß Wolf gestern Felle von bedeutendem Werth erhalten hatte. Er kannte auch den seligen Herrn genau und wußte, daß dieser ein bischen ängstlich war. Auf diese Aengstlichkeit, diesen Argwohn des Herrn hat der schreckliche Mensch da oben seinen Plan gebaut. Sie wissen wohl, Herr Amtsrichter: ich habe nachher, als der Mörder sich gegen die Kellerthür stemmte, um mich von der Mordstelle fern zu halten, Licht aus der Tiefe schimmern sehen. Dieses Licht konnte der Thäter nicht anzünden, während er den Meister an der Thür überfiel, auf der Treppe mit ihm in hartem Kampfe lag. Er muß es vorher angezündet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_591.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)