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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Lassen Sie mich!“ keuchte die Baronin in einem Gemisch von Wuth und namenlosem Schrecken, als draußen zuerst an der Thür des Glashauses und dann am anderen Eingang in das Atelier heftig gepocht und gerüttelt wurde. Allein Donna Mercedes bot ihre erlahmenden Kräfte auf, um die Elende festzuhalten, die im Davonstürzen noch mit einer einzigen Bewegung ihre Absicht ausführen konnte. Und so wiederholte sie unter fortgesetztem Ringen den Ruf: „Hierher!“ bis droben der Gobelinvorhang weggeschleudert wurde und Menschen auf die Gallerie herausstürzten.

Der Stallbursche war der Erste, der die Treppe herablief; ihm folgte die Majorin auf dem Fuße.

„Nehmen Sie ihr den Dolch! Das Bild ist gefährdet,“ rief Donna Mercedes dem Burschen zu. In demselben Augenblick flog die Waffe klirrend auf die Steine – die Baronin hatte sie selbst von sich geschleudert.

Halb schwankend vor Erschöpfung ließ Donna Mercedes ihre Gefangene nunmehr frei. Aber alle Angst und Anstrengung hatten ihr die Geistesgegenwart nicht zu rauben vermocht – der Untergebene durfte nicht ahnen, daß Bosheit all das Unheil in Atelier und Glashaus angerichtet.

„Die Frau Baronin ist fieberkrank,“ sagte sie in gebietendem Tone zu ihm. „Eilen Sie in’s Haus zu Fräulein von Riedt!“

„Baron Schilling ist eben heimgekommen,“ antwortete die Majorin an seiner Stelle, während ihr Blick mit Schrecken, aber mit sofortigem Verständniß die ganze Situation umfaßte. Sie kam raschen Schritten über den schwimmenden Fußboden her und wich seitwärts, als die Baronin schweigend an ihr vorüberschoß, um über die Wendeltreppe zu entfliehen. „Er hat gesehen, wie wir nahe an ihm vorüber in das Haus geeilt sind, und wird wohl gleich selber da sein,“ setzte sie mit gehobener Stimme hinzu.

In diesem Augenblicke sank die Baronin mit jenem schrillen Aufschrei, den Donna Mercedes im Säulenhause schon so oft gehört, auf einer der untersten Treppenstufen zusammen und blieb regungslos liegen.

„Larifari – das ist Komödie!“ sagte die Majorin hart und trat, ohne sich umzusehen zu Donna Mercedes, die eben ihr Taschentuch in das Wasser zu ihren Füßen tauchte, um es auf die Schnittwunden in Daumen und Zeigefinger zu pressen.

Donna Mercedes schrak zusammen – unter stürmischem Herzklopfen hörte sie, wie Baron Schilling auf die Gallerie heraustrat.

„Was geht hier vor?“ rief er in der ersten schreckensvollen Ueberraschung hinab.

„Irgend ein Schuft, eine infame Canaille hat die Abzugsröhren an den Springbrunnen verstopft, gnädiger Herr,“ antwortete der Stallbursche vom Glashause herüber, wo er um das Bassin watete und eben einen großen Pfropfen zum Vorschein brachte. Er hatte bereits die Fontainen zugeschraubt; über den Rand des Bassins floß immer nach hier und da etwas Wasser klatschend auf den Boden.

Baron Schilling eilte die Stufen herab – da stieß sein Fuß an die hingesunkene Frau. Er bückte sich, befühlte ihr Kopf und Hände, und wie Jemand, der seine Vermuthung bestätigt findet, ging er schweigend von ihr weg und schritt unverweilt auf Donna Mercedes und die Majorin zu.

Mochte das falbe Licht des Mondes sein Gesicht entstellen, oder machte ihm eine furchtbare innere Bewegung das Blut stocken – er war entfärbt wie ein Todter. Er schien nicht zu bemerken, daß die Werke seiner Hand, seine Skizzen und Entwürfe und viele Lieblingsstücke seiner Sammlungen, wild durch einander geworfen, vom Wasser bespült und überschwemmt, inmitten des Ateliers lagen; er sah auch die Majorin nicht; seine Augen hingen nur mit einer Art fragenden Entsetzens an der weißen Gestalt, die von der Staffelei weggetreten war und sich bemühte, die blutbetropften Stellen ihres Kleides in den Falten zu verbergen und eine möglichst ruhige, unbefangene Haltung anzunehmen.

„Mir scheint, das Unheil vom Klostergute rückt nun auch auf den Schilling’schen Grund und Boden vor,“ rief ihm die Majorin entgegen. „Ich wollte gerade, wie jeden Abend, zu meinen Enkeln gehen, um sie in ihren Bettchen zu sehen; da hörte ich um Hülfe rufen, und der Bursch dort“ – sie zeigte nach dem Stalldiener im Glashause – „kam auch über den Weg her und folgte mir.... Es sieht schrecklich aus, wenn zwei Frauen mit einander ringen, als ginge es ums Leben – und hier hab’ ich’s gesehen, auf dieser Stelle.“ – Sie warf einen finsteren Blick nach den Treppenstufen, wo ein schnell wieder verstummendes Rascheln Leben und Bewegung verrieth. „Ich weiß nicht, was Ihrer Frau fehlt, Herr Baron,“ fügte sie hinzu. „Die liebe junge Frau da sagt, daß sie fieberkrank sei, und so etwas muß es wohl sein; denn ein Mensch mit klarem Kopfe, wenn er nicht gerade durch und durch ein Bösewicht ist, stößt und sticht doch nicht mit dem Messer – da liegt es noch,“ schaltete sie ein und berührte mit dem Fuße den Dolch – „nach solch einem Bilde, das ihm auf der, Gotteswelt nichts gethan hat.“

„Es ist unversehrt geblieben – Gott sei Dank!“ rief Donna Mercedes völlig selbstvergessen, in so erschütternd zärtlichen Tönen, als sei ihr das Liebste auf Erden gerettet worden.

War es nicht, wie wenn ein blendendes Licht in jähem Strahle niederfahre und in den blauen, tiefen Augen des Mannes fortflamme, der dastand, als traue er seinen Sinnen nicht bei diesen niegehörten, herzbewegenden Lauten? Er ergriff wortlos die Hand, die sein Werk, ein Stück seiner Seele, vertheidigt hatte unter Schmerzen, mit der rückhaltslosen Hingebung, wie es nur ein Weib vermag, das – liebt.

Sie zog hastig und erschrocken die Hand an sich. „Es ist nichts – ein kleiner Hautritz! Und glauben Sie doch ja nicht, daß es um’s Leben gegangen sei“ – sie lachte kurz, fast rauh auf, und ihre völlig verwandelte Stimme hatte eine Herbheit, als wolle sie den einen verrätherischen Augenblick bitter an sich selber rächen „Es versteht sich ja ganz von selbst, daß man Fieberkranke nicht gewähren läßt. Halten wir uns nicht auf! Sehen Sie denn nicht, daß Ihre Arbeiten im Wasser schwimmen und zu Grunde gehen, und daß vor Allem die Frau dort nach dem Säulenhause gebracht werden muß?“

Die Majorin war an die Treppe getreten. Sie rief die Baronin an; allein keine Antwort erfolgte.

„Geben Sie sich keine Mühe!“ rief Baron Schilling hinüber. „In solchen Fällen kann nur die Pflegerin, Fräulein von Riedt, helfen – ich werde sie holen.“

Er schloß die in den Garten führende Thür auf und entfernte sich rasch.

„Und jetzt gehen Sie auch!“ sagte die Majorin zu Donna Mercedes. „Es macht mir Angst, Sie in den nassen Kleidern und Schuhen zu wissen, und der Doctor muß auch her, um nach der Hand zu sehen.... Sie können ganz ruhig sein, ich stehe indessen Schildwache – an dem Bilde soll sich ganz gewiß Niemand mehr vergreifen.“

Donna Mercedes ging hinaus. Sie blieb noch einen Moment im schützenden Dunkel des Thürbogens stehen und horchte auf die eiligen Männerschritte, die immer entfernter von der Allee herüberklangen; dann suchte sie die am Klosterzaun hinlaufenden Wege auf – sie wollte heute nicht mehr gesehen sein.

In der Nähe des Säulenhauses sah sie Baron Schilling zurückkommen, Fräulein von Riedt und ein Herr folgten ihm. Die Stiftsdame hielt sich stolz und hochaufgerichtet wie immer; sie sah nicht im mindesten alterirt aus, war aber gewissenhafter Weise mit den verschiedenen Requisiten ihres Pflegeramtes, wärmenden Shawls und Medicinfläschchen, ausgerüstet....

Kaum eine Stunde nachher fuhr die Equipage der Frau Baronin vor das Säulenhaus, und die Gnädige kam, einen dichten Schleier vor dem Gesichte und auf den Arm ihres Sachwalters gestützt, in Begleitung der Stiftsdame die Treppe herab, um mit dem letzten Zuge abzureisen. Der Schillingshof war wie ausgestorben. Fräulein von Riedt hatte streng befohlen, daß sich Niemand von der Dienerschaft sehen lasse, und so lauschten nur scheue, bestürzte Gesichter aus dunklen Winkeln und Verstecken und sahen die graue Schleppe der Herrin draußen in der Säulenhalle verschwinden – sie wußten, daß die Gestrenge ging, um nie wiederzukehren.

Das war noch ein harter Kampf im Atelier gewesen. Die streitenden Stimmen hatten weit über den nachtstillen Garten hingeklungen; die hochliegende der Frau hatte sich in Vorwürfen und Verwünschungen erschöpft, und dazwischen waren die Einwürfe und Bemerkungen der markigen tönenden Männerstimme wie wuchtige Keulenschläge niedergefallen. Darauf war die Atelierthür zugeschmettert worden, daß die Wände gezittert hatten, und die lange graue Gestalt war unter den Platanen hingehuscht, wesenlos und schattenhaft wie der böse Geist, den der Sieg des Rechts aus einem lange behaupteten Seelenwinkel vertrieben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_627.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)