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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

rief sie ungeduldig hinab. „Ihr wollt mich immer noch als Patientin behandeln – und nun wollen wir einmal sehen, wie viel später Ihr oben beim Feldsteine anlangt, als ich.“

Noch ehe eine Einsprache von unten erfolgen konnte, war sie am Waldessaum verschwunden.

„Hier war es also,“ sprach bebend Frau Margret, „und, o Gott! wenn Sie nicht zur Stelle waren – ich wage den Gedanken kaum zu fassen – dann war Alles vorbei – dann blieb mir Nichts, Nichts mehr in der öden Welt!“

„Nichts?!“ stieß Kern erregt hervor. „Nichts, Frau Margret? – Ich hätte gern mein Leben hingegeben für das liebe Kind, um dieses theure Leben Ihnen zu retten.“

„O Herr Kern,“ rief Margret, „wie beschämen Sie mich! Ja, Sie sind der beste, treueste Freund, der mir jemals lebte.“

„Margret! – nichts soll mir jetzt den Mund verschließen – kann Margret Stephan verstehen, daß dieses rauhe Herz in seinen alten Tagen noch mehr für sie empfindet, als bloße Freundschaft? Daß es hier heiß und stürmisch unter den Rippen pocht und daß endlich, nach Jahrzehnten noch, das verhaltene Geständniß hervorbricht: Margret, ich liebe Dich; ich habe Dich immer geliebt? Ich habe mir Jahrzehnte lang genügen lassen an dem Glücke, Dich mit einem Anderen glücklich zu wissen. Aber nun Du frei und wieder glücklich bist, Margret, laß mich an Deiner Seite für den Rest meiner Lebenstage das reichste Glück finden, das mir je beschieden sein kann!“

Er hatte die Erröthende leidenschaftlich umschlungen. Sie blickte ihm in das ehrliche treue Gesicht, legte ihre beiden Hände um seinen Hals und empfing und erwiderte so den Kuß des geliebten Mannes.

Unter den wilden Rosenhecken des Wegrandes begann eine verspätete Nachtigall ihre schwermüthigen und doch herzerquickenden Weisen.




Blätter und Blüthen.


Mondnacht im Hafen. (Zu dem Bilde auf S. 709.) Die Natur ist ein unerschöpflicher Born von Schönheit zu allen Tages- und Jahreszeiten. Aber den eindrucksvollsten Zauber gießt sie in der Farbenwirkung des Mondes aus, und die „mondbeglänzten Zaubernächte“, dieser Inbegriff von Geheimnißvollem, halb Verhülltem und halb wieder Blendendem, zugleich Aufregendem und Beruhigendem, werden durch alle Zeiten fortfahren, namentlich jugendliche Künstler – und leider Gottes! auch Nichtkünstler zu Gemälden, Gedichten und musikalischen Stimmungsbildern zu begeistern. Wenn die Pracht der Mondnacht zu vollster Wirkung kommen soll, so gehört Wasser dazu. Was Wunders, daß ein Stück Hafen, wo der himmlische Goldglanz, weithin gespiegelt, wie flüssig von Welle zu Welle springt und die dunklen, massigen Silhouetten der Schiffe das blendende Spiel belebend unterbrechen – wenn solch ein Stück Hafen einer Künstlerhand wirkungsvolle Bilder gleich dem in der heutigen Nummer enthaltenen abzwingt!

Ein respectabler Künstler ist Signor Carlo jedenfalls, wenn auch als solcher im Publicum weniger bekannt, wie als Virtuose der Malerei, eine Virtuosenspecies, welche in Signor Carlo wohl zum ersten Male auf „Kunstreisen“ sich vor der Oeffentlichkeit präsentirt. Eine Anzahl größerer deutscher Städte hat bisher Gelegenheit gehabt, das Seltsame zu beobachten, wie der noch junge Künstler – er ist 1848 zu Mailand aus armer Familie geboren, die 1850 nach Ungarn übersiedelte, und hat seine künstlerische Bildung in Wien genossen – vermöge einer geradezu wunderbaren technischen Sicherheit in noch nicht 50 Minuten eine große leere Leinwand mit einem wirksamen Landschaftsbilde, und in noch nicht 20 Minuten einen noch größeren Carton mit einer stimmungsvollen Kohlenzeichnung bedeckt. Daß es sich hierbei nicht um durchgebildete Kunstwerke handelt, um monumentale Schöpfungen, das liegt klar auf der Hand, ebenso wie das Andere: daß von solchen Bildern nicht eines wie das andere gelingt. Immerhin ist die Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit, mit welcher Signor Carlo arbeitet, als solche phänomenal, wenn auch das Ehrenvollste für den Künstler jedenfalls der Umstand bleibt: daß er, wie beispielsweise unser Bild zeigt, auch noch Besseres leisten kann, als blos Concert- und Schnellmalen!




Das plötzliche Zerspringen von Glasgefäßen. Ein alter Abonnent theilt uns folgende kleine Geschichte mit:

„In unserem Familienzimmer hatte sich eines Abends gegen zehn Uhr folgende Scene entwickelt: Meine Frau nahm mit unserem jüngsten Töchterchen das Sopha ein, vor welchem ein sogenannter Sophatisch stand. Auf demselben befand sich außer der Lampe, auf einer glatten Porcellantablette stehend, ein Glas von der Form der gewöhnlichen cylindrischen Wassergläser, welches einen kleinen, den Boden reichlich bedeckenden Rest Bier enthielt. Da dieser Bierrest schon lange dastand, so läßt sich annehmen, daß die Temperatur desselben annähernd die der Zimmerluft gewesen ist. Ich selbst saß an einem in der Nähe stehenden Flügel und begleitete unsere beiden neben mir stehenden älteren Mädchen zu einem Duettgesange aus ihrem Schulliederbuche. Der Zufall wollte es, daß das Blatt, von welchem ich die Begleitung spielte, lose im Buche und nicht an seiner gehörigen Stelle steckte, sodaß beim Uebergange von einer Seite zur andern plötzlich die Begleitung mit dem mehr auswendig vorgetragenen Gesange zur allgemeinen Heiterkeit arg disharmonirte. In demselben Augenblicke aber hatten wir ein Geräusch vernommen, ähnlich dem, welches das Springen eines Lampencylinders hervorbringt, vielleicht etwas intensiver. Der Lampencylinder war unversehrt; dagegen ergab sich, daß das erwähnte Glas genau über der Oberfläche des darin enthaltenen Bieres ringsum zersprungen war, sodaß man den darüber befindlichen ganz unbeschädigten, leeren Glascylinder einfach abheben konnte.“

Soweit die Mittheilung unseres Abonnenten, dessen Familienangehörige nicht abgeneigt waren, darin ein „Zeichen“ zu sehen, und trotz seiner Beruhigung, daß der disharmonische Ton allein schuld sein möge, wahrscheinlich mehrere Tage auf eine von außen eintreffende Unglücksnachricht gewartet haben. Es ist sehr möglich, daß unser Correspondent Recht hat, besonders, wenn das Glas schon vorher einen kleinen Schaden gehabt haben sollte. Die Kunst des Gläserzerschreiens ist bekannt, und auch im gewöhnlichen Leben muß das öfter beobachtet worden sein, denn schon der Talmud bestimmt, daß, wenn ein Hahn durch sein Krähen, Pferde und Esel durch ihr Wiehern Gläser zerbrechen, ihr Besitzer die Hälfte des Schadens zu tragen habe. Man findet in physikalischen Werken gewöhnlich angegeben, daß die erwähnten Stimmkünstler durch Hineinsingen des Eigentones der Gläser ihr Wunder verrichten, wahrscheinlich ist aber ein nur wenig dissonirender Ton, wie er „beim besten Willen“ dabei herauskommt, noch wirksamer, und darum soll das Experiment leicht gerathen.

Es giebt aber auch Gläser, die gar nicht so starker Anregung von außen bedürfen, die schon ein leiser Lufthauch oder eine geringfügige Temperaturveränderung unter Umständen zum Springen bringen kann, nämlich die schlechtgekühlten Gläser. Bei ihnen besteht zwischen den einzelnen Schichten eine Art Spannung, die sich, wie der Physiker Seebeck schon vor vielen Jahren beobachtete, durch Farbenerscheinungen verräth, wenn man sie durch ein Polariskop betrachtet. Gut gekühlte Gläser zeigen hierbei keine Farben. Der Physiker Hagenbach untersuchte vor einigen Jahren die Stücke eines Weinglases, welches ohne rechtschaffene Veranlassung gesprungen war, und fand es stark farbenspielend, weshalb er auch vorschlug, beim Einkaufe von Glaswaaren dieselben durch ein Taschenpolariskop zu untersuchen, um ihre geheimen Fehler zu erkennen.

Am stärksten stellen sich diese Mißstände bei dem allerschlechtest gekühlten, dem sogenannten Hartglase heraus. Zwar hindert bei ihm eine äußerst zähe Oberflächenschicht die innere Spannung an einem Ausbruche, aber wenn der letztere dennoch eintritt, zerspringt das Hartglas in lauter kleine Partikel. Eine Londoner Dame hörte in einer Nacht stundenlang nach dem Auslöschen der Gasflamme eine gehärtete Glasglocke wie zum eignen Plaisir zerspringen, und die auf den Teppich gefallenen Stücke fuhren die ganze Nacht hindurch fort in kleinere Stücke zu zerspringen, bis wieder alles zu Sand geworden, von dem es genommen war. „Merke, lieber Leser: wenn vor Deinen Augen und Ohren ein Glasgesäß zerspringt, ohne daß Du ihm Ursache dazu gegeben, so sollt Du nit glauben, daß ein Geist Dir damit ein Zeichen habe geben wollen, sondern daß das Gefäßlein von seinem Meister schlecht gekühlt worden sei; ihm allein sollst Du die Schuld zuschreiben.“



Kleiner Briefkasten.


Dr. Machiky (?), Telok Betong in Sumatra. Sie schreiben uns, die auf Seite 292 („Blätter und Blüthen“ Nr. 17) des laufenden Jahrgangs der „Gartenlaube“ enthaltene Angabe, daß die Rafflesia auf Wurzeln schmarotze, sei nicht richtig, sie komme nur auf den Stengeln der Cissusarten vor. In dem Originalbericht des Entdeckers, Dr. Arnold, heißt es, daß er sie auf einer Cissuswurzel fand, und Grisebach in seiner classischen Pflanzengeographie läßt sie (Band II. S. 30) auf Wurzeln und Stengeln der Cissusarten schmarotzen. Wir werden demnach wohl beiderseits Recht haben. Dankbar sind wir für die Mittheilung, daß man diese pilzartige Riesenblume neuerdings in dem botanischen Garten zu Buitenzorg auf Java cultivirt und zum Blühen gebracht hat und zwar Rafflesia Patina, auf Cissus serrulata. – Von einem andern Orte Ihrer überseeischen Heimath übrigens, aus Padang, meldet man uns betreffs der zugleich mit der Rafflesia erwähnten Riesenblume, daß Knollen dieses Ungethüms bisher in nur sehr geringer Anzahl ihren Weg nach Europa fanden, nämlich die durch den Entdecker der Pflanze, den italienischen Botaniker Beccari, mitgebrachten , welche in den Treibhäusern des Marquis Salviati bei Florenz gepflegt werden, und ferner einige Knollen, welche neuerdings zum öffentlichen Verkaufe nach London gesandt wurden. Außerdem werden jetzt wiederum solche Knollen zu gleichem Zwecke per Segelschiff nach New-York verladen, womit die bisherigen Versendungen von Sumatra genannt sind. Die Kosten der Beschaffung bis an Bord des Schiffes zu Padang belaufen sich pro Riesenknolle von circa anderthalb Meter Durchmessen inclusive Verpackung, auf etwa fünfzig bis sechszig Gulden holländisch, und der Transport per Steamer bis nach Europa beträgt etwa ebenso viel. Liebhaber können diese Wunderpflanze beziehen durch H. D. Schlüter, Padang (Sumatra).



Verantwortlicher Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_712.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)