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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

wieder zu mir kam. Die Schmerzen sowie das nahe Donnern der brandenden See gaben mir die volle Besinnung wieder zurück. Es war rabenfinstere Nacht. O welch eine Wirklichkeit! Ueber und über dick mit Blut bedeckt, schienen mir alle Glieder gebrochen, und ich fühlte das Blut warm aus meinen Wunden quellen.

Ich lag neben dem getödteten Büffel. Wie ich unter demselben hervorgekommen war, weiß ich nicht. Mehrere Male versuchte ich aufzustehen, doch vergeblich; ein schneidender Schmerz in meinem linken Oberschenkel erlaubte es mir nicht. Mit schwacher Stimme rief ich wiederholt nach meinen Leuten um Hülfe. Die feigen Burschen hatten mich verlassen. Unheimlich umschwirrten mich die hier in Menge vorkommenden großen Flederhunde (Pteropus vulgaris), und Gedanken der schwärzesten Art stiegen in mir auf.

Ich beschloß, bei dem hoffnungslosen Zustande und den fürchterlichen Schmerzen, meinem Leben ein Ende zu machen. Ich führe in Fläschchen stets auf allen meinen Streifereien Salmiakgeist, Chinin und Morphium bei mir. Das Morphium sollte mich erlösen. Schon hatte ich eines der Fläschchen entkorkt, es war aber zu meinem Heile Salmiakgeist. Da kam mir der Gedanke, bevor ich zum Letzten schritt, meinen Zustand einer genaueren Prüfung zu unterwerfen.

Ich fand ihn weniger hoffnungslos, als ich vermuthet. Das viele Blut schien von dem Büffel herzurühren; keine edleren Theile schienen verletzt, wennschon ich nur mühsam und mit großen Schmerzen Athem schöpfen konnte und mein linker Oberschenkel gebrochen schien. Die Schmerzen rührten wohl mehr von den allerdings bedenklichen Contusionen her. Die Lust zum Leben erwachte in mir. Um die tiefe Hornwunde an meinem linken Unterschenkel, aus der ich noch immer das Blut fließen zu fühlen glaubte, band ich mein Taschentuch und versuchte abermals, aufzustehen – doch wieder umsonst. Der erwähnte schneidend brennende Schmerz verhinderte es. Vorsichtig faßte ich mein Bein am Knie und drehte es ganz leise, jedoch kein Knirschen von Knochentheilen ließ sich fühlen und hören, dagegen stellte sich, wie bei jeder drehenden Bewegung, dieser fürchterlich in’s Mark schneidende Schmerz ein. Der Knochen war unzweifelhaft ein-, wenn auch nicht durchgebrochen.

Nochmals rief ich um Hülfe. Vergebliche Mühe! Das nahe Geräusch der brüllenden See übertönte es. Fürchterliche Situation!

Leoparden konnten in der Nähe sein, durch den Blutgeruch angezogen werden und mich, hülflos wie ich war, zerreißen. Hatte ich sie doch am Morgen längs der Lagune ganz frisch gespürt. Da mit einem Male fiel mir ein, daß ich einen Revolver bei mir führte, und obschon ein solcher im Kampf mit einem Büffel oder Leoparden nur ein armseliges Spielzeug ist, konnte ich doch durch Schüsse dieselben verscheuchen und meine feigen Schufte von Schwarzen zu meiner Hülfe heranbringen. Mit dem beruhigenden Gefühl, bewaffnet zu sein, kehrte mir meine ganze Energie wieder zurück.

Auf der rechten Seite liegend, kroch ich, den Revolver zu sofortigem Gebrauch in der Linken, mit Hülfe des rechten Beines und rechten Armes wohl nahe an eine englische Meile unter unsäglich qualvollen Schmerzen wie eine Schnecke nach der Richtung zu meinem Lager hin. Da – war es Einbildung oder Wirklichkeit? – schimmern die phosphorescirenden Lichter eines Leoparden aus der Dunkelheit. Natürlich mußte es ein Leopard sein, denn in solchem Zustande glaubt man immer an das Schlimmste.

Der erste Schuß kracht. In kleinen Zwischenräumen feuere ich den zweiten, den dritten Schuß ab. Weiter kann ich nicht mehr; über und über bin ich mit Schweiß und Blut bedeckt. Die Kräfte sind erschöpft; es beginnt mir wieder vor den Augen zu flimmern. In der Gegend meines Lagers laufen Feuerscheine durch einander. Noch einmal halte ich den Revolver hoch über den Kopf und gebe den vierten Schuß ab. Gott sei gedankt! Ich sehe Gewehre aufblitzen; die Feuerscheine nähern sich. Die Hülfe ist nahe.

Endlich sind meine durch einander laufenden und toll schreienden Leute mir so nahe, daß sie meine schwachen Rufe hören können. Er war die höchste Zeit; meine Kräfte, von dem Kampfe, dem starken Blutverlust, den Schmerzen und der übergroßen Anstrengung und Aufregung erschöpft, brachten mich einer zweiten Ohnmacht nahe. „Wasser, Wasser!“ stöhnte ich den in ungeheuchelter Freude und Rührung laut weinenden oder vielmehr heulenden, guten, aber bodenlos feigen schwarzen Burschen zu. Jeder stellte in dem gebrochenen Küstenenglisch Fragen und suchte Trostgründe vorzubringen. „Master!“ sagte Edute, „wir glaubten, Du todt. O, mein guter Master! Edute ist blöde, Edute hat keinen Muth. Master – Du ein wirklich starker Mann. Teufel, Teufel! Wahrhaftig, wahrhaftig!“ – „O Herr,“ sagte ein Anderer, „niemals stirbst Du. Du bist ein starker Mann. Du hast gewiß einen guten Fetisch. Mein armer Herr, hast Du viel Schmerzen?“ – „O! mein guter, mein armer Herr,“ schrieen entrüstet die beiden Galoa und hauptsächlich der Kru. „Dieses verd … te alte Fetischweib hat Dich verhext, wir wollen es tödten.“

Solche und ähnliche Aeußerungen fielen in Masse, doch Keiner dachte daran, mir zu helfen, bis ich es endlich durch Drohungen mit meinem Revolver dahin brachte, daß sie mir in einem alten Filzhut, der einem der Leute gehörte, Wasser brachten und eine Tragbahre improvisirten, auf welche ich mich hinaufschob; nun erst ging es unter fortwährendem Geschrei und Erzählen nach dem Lager vorwärts. Schon auf halbem Wege kam uns das arme alte Fetischweib heulend entgegen, wurde aber, wenn sie sich mir nähern wollte, von den Leuten barsch zurückgestoßen.

So erschöpft ich war, hielt ich es doch für geboten, das thörichte Volk von seiner Meinung, die Alte habe mich verhext, abzubringen, ja ich mußte ihnen sagen, daß ich unfehlbar von dem „Niari“ getödtet worden wäre, wenn mich die Medicinfrau nicht in guter Absicht mit der Farbe des Eviva bemalt hätte. Bei dem Lager angekommen, ließ ich mich auf einige Matten und wollene Decken im Sande niederbetten. Der Tag begann zu grauen, bevor ich in einen kurzem unruhigen Schlaf verfiel. Als ich erwachte, stand ein Theil meiner Leute vor mir, mich mitleidig betrachtend. Mein Aeußeres mochte ihre schlimmsten Erwartungen übertroffen haben. Ich sah, soweit ich mich betrachten konnte, gräßlich aus. Alle meine Glieder waren bis zur Unförmlichkeit geschwollen; kaum vermochte ich eines derselben zu regen. Bart und Kleider waren durch das geronnene Blut zusammengeklebt. Obwohl ich am liebsten gestorben wäre – denn die Ermattung überwog selbst die Schmerzen – riß ich mich doch aus meiner Lethargie empor, ließ mir warmes Wasser bringen, weichte die angeklebten Kleider auf, zog die zerrissenen Lumpen vom Leibe, verband meine vielen, zum Theil schweren Wunden, schiente mein gebrochenes Bein mit einer saftigen, ledergleichen Rinde, hüllte mich, nur mit einem reinen Hemd bekleidet, in ein Betttuch und fragte nach den übrigen Leuten.

The boys go for mainland side and look for canoe. Master can never go by bush”. („Die Jungen sind nach dem Festlande zu gegangen, um nach einem Canoe zu sehen, denn Master kann so niemals durch den Busch kommen.“)

Nachdem ich den Befehl ertheilt, alle Sachen wieder zusammenzupacken, sowie eine bessere Tragbahre zu fertigen, und nachdem das alte, ängstlich besorgte Weib zwar brennende, aber, wie ich mich früher überzeugt hatte, heilsame Kräutersäfte in die noch immer blutenden Wunden eingeträufelt hatte, fiel ich in einen tiefen Schlaf, aus dem ich, nachdem die Sonne schon hoch am Himmel stand, gewaltsam erweckt wurde. Meine Leute hatten wirklich ein Canoe mit vier Comi-Leuten gefunden. Dieselben waren weit hergekommen, um auf der großen, öden Sandbank, die Mangi mit dem Festlande verbindet, Seeschildkröten zu fangen und nach deren pergamentartig weichen rundlichen Eiern zu suchen. Zwischen ihnen und meinen Leuten, welche jene nur unter großen Versprechungen hergekirrt hatten, war ein ernstlicher Streit ausgebrochen, und die kaum Angelangten würden auf und davon gegangen sein, wenn meine Leute nicht mit den Waffen in der Hand von ihrem Canoe Besitz ergriffen hätten. Das alte Fetischweib suchte vergeblich die Parteien zu beschwichtigen. Als ich nach der Ursache des Streites fragte, mußte ich meinen Leuten vollständig Recht geben, denn die vier Comi verlangten, um mich auf weiten und allerdings sehr beschwerlichen Umwegen nach meinem jenseits der Halbinsel gelegenen Heim zu bringen, nicht mehr und nicht weniger als fünfzig Dollar. Ohne mich auf weitere Auseinandersetzungen einzulassen, sagte ich ihnen gebieterisch:

„Ihr seid in meiner Gewalt; meine Lage erheischt Hülfe; Ihr seid nichtswürdige Schurken, die sich das zu Nutze machen wollen. Ich werde Euch nach Gebühr bezahlen, den Ersten aber, der mir einen Streich zu spielen versucht, wie einen tollen Hund niederschießen“ – und gewiß hätte ich meine Drohung erfüllt. Während des ganzen Transports, welcher einen Tag und eine Nacht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_772.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)