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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Walter schämte sich und that, was er gleich hätte thun sollen: er wendete sich an die Polizei mit dem Auftrage, die Entflohenen zurückzubringen.

Die Sache verzögerte sich. Allerlei Formalitäten, von deren Erfüllung die Polizei ihr Eingreifen dem zugereisten Fremdling gegenüber abhängig machte, verhinderten ein rasches Aufnehmen der Spur, und nachdem so der junge Mann länger als eine Woche in vergeblichem Warten höchst unbehaglich zugebracht und nichts als falsche Meldungen erhalten, benutzte er den nächsten Zug nach London, unterrichtete seine Mutter durch ein paar Zeilen von seiner nahen Ankunft und schiffte sich ohne weiteren Aufenthalt nach Deutschland ein. Was ihn früher oft genug gepeinigt, daß nämlich kein Mensch in der Heimath auch nur die leiseste Ahnung von seiner unseligen Heirath hatte, war ihm jetzt, bei der lächerlichen Wendung, welche die Angelegenheit genommen, eine unsägliche Erleichterung.

Zu Hause fand er Zerstreuung. Es konnte nicht fehlen, daß der junge Forscher, als er die wissenschaftlichen Kreise Einblicke in die reichen Schätze seiner Entdeckungen thun ließ, mit Gunst und Ehren überhäuft wurde. Die Ernennung zum ordentlichen Professor der Botanik an der Universität des Ländchens, in welchem Walter’s Vaterstadt lag, war die erste reife Frucht, die vom Baum der Erkenntniß herab dem jungen Gelehrten in den Schooß fiel. Das lenkte auch die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn; der „Urwaldreisende“ wurde der Modeheld des Tages. Eine Reihe öffentlicher Bankete feierte ihn, und um dem Mädchenflor des Städtchens ebenfalls Gelegenheit zu geben, sich vor dem wohlbesoldeten jungen Professor zu entfalten, veranstaltete der galante Magistrat zuletzt noch einen Ball. Neben den officiellen Festlichkeiten fehlte es selbstverständlich nicht an privaten, und nachdem der dankbare Held derselben sich durch dies Alles hindurch gegessen, gesprochen und getanzt, dankte er Gott, als er endlich in sein Studirzimmer und in den ungestörten Kreisgang seiner Berufspflichten einlandete.

Es folgte nun eine Zeit ruhigen genußreichen Schaffens. Seine Notizen und Tagebücher durchzusehen, die Lücken auszufüllen das flüchtig Entworfene zu vollenden, manchen Irrthum zu berichtigen und die letzte ordnende Hand an seine Sammlungen zu legen, das war seine nächste Aufgabe, und mit voller treuer Liebe gab er sich ihr hin.

Das hinderte jedoch seine Gedanken nicht, von Zeit zu Zeit nach Englands grünen Fluren abzuschweifen und dort nach etwas zu suchen, das er nicht mit Namen zu nennen wußte, das aber jedenfalls in seinem letzten Tagebuche als „Meine Frau“ hätte figuriren sollen, wenn dasselbe ganz erschöpfend gewesen wäre.

Die letzte Nachricht, die er von dort erhalten, war, daß die Gesuchte nirgends zu finden sei. Zugleich sprach sich der englische Polizeichef sehr ungehalten über die Ungenauigkeit der Angaben aus, welche der suchende Ehemann hinterlassen. Hatten seine Organe doch mehrmals junge Mädchen aus angesehenen Häusern arretirt, blos weil sie sich mit Dienerinnen farbigen Blutes auf der Gasse gezeigt. Ein paar Aufrufe, welche Walter unter der Hand in größere europäische Zeitungen hatte einrücken lassen, lieferten keinen besseren Erfolg. Die Wunde, welche das Entweichen der Niebesessenen seinem Herzen geschlagen, war allerdings nicht sehr tief. Und doch blieb in ihm eine Leere, ein unbestimmtes Sehnen, nicht gerade nach der Entschwundenen, aber doch von ihr herstammend.

Und zu der geheimen Peinlichkeit seiner Lage gesellte sich noch das Komische, daß er, der früher nie an den Eindruck gedacht, den seine Persönlichkeit etwa da oder dort machen könne, jetzt in der beständigen Angst schwebte, selbst durch die geringste Aufmerksamkeit vielleicht ein Mädchenherz unglücklich zu machen für seine ganze Lebenszeit.

Er vermied daher Frauengesellschaft, wo es sich nur thun ließ, und wo es sich nicht thun ließ, zeigte er sich so vornehm wortkarg und so langweilig unnahbar, daß er für so viel Tugend sehr bald als Lohn den Ruf erntete, ein beschränkter, verbissener Weiberhasser und obendrein ein eitler Geck zu sein – zwei Behauptungen, die seiner Mutter eine arge Demüthigung und ein bitterer Kummer waren.

Sie selbst konnte nicht viel um ihn sein. Bei acht Kindern, welche fast sämmtlich wiederum Familien hatten, gab es für eine Mutter der Ansprüche gar viele zu befriedigen. Zudem war ihr die eine Tochter kürzlich gestorben, und deren vier kleine Waisen nahmen natürlich der Großmutter Zeit und Gedanken fast völlig in Anspruch. Walter sah förmlich mit einer Art von Neid, wie der Schwager, der doch ein geliebtes Weib verloren, in seinen Kindern und in der warmen Fürsorge, welche sich von den Verwandten her um diese und um den Wittwer sammelte, noch immer glücklicher war, als er, der Vereinsamte.

Das ärgerte ihn. Er war überhaupt in diesem Punkte sehr empfindlich geworden. Sogar die zwei kleinen pausbackigen Schreihälse, welche dem einst für ihn bestimmten, nun anderweit vermählten blonden Bäschen ihre lärmende Existenz verdankten, ärgerten ihn jedesmal, wenn er sie sah.

So lebte er denn in sein Studirzimmer gebannt, nur mit seinen Büchern beschäftigt, und stärkte sich an dem Troste: für einen Gelehrten sei dies das würdigste Loos.

Aber auch hier verschonte man ihn nicht mit Versuchen, ihn zu verheirathen. Von allen Ehestifterinnen war seine Mutter die eifrigste. Trotz der schwarzen Melancholie, welche ihre Schleier täglich dichter über sein Gemüth breitete, mußte Walter lachen über diese allgemeine Sucht, ihn unter die Haube zu bringen, dann ärgerte er sich, und zuletzt hielt er es nicht mehr aus. Was alles Zureden seines Arztes nicht vermocht hatte, das vermochten die guten Freunde und das Heer sehnender Schönen, das hinter ihnen drein marschirte – wenigstens in Walter’s Phantasie – und an einem schönen Sommermorgen beschloß er, nolens volens sich der über ihn verhängten wohlgemeinten, aber unerträglichen Plage durch eine Badereise zu entziehen.

(Fortsetzung folgt.)




Album der Poesien.
„Du Ring an meinem Finger –“


Du Ring an meinem Finger,
   Mein goldnes Ringelein,
Ich drücke dich fromm an die Lippen,
   Dich fromm an das Herze mein.

Ich hatt’ ihn ausgeträumet,
   Der Kindheit friedlichen Traum;
Ich fand allein mich, verloren
   Im öden unendlichen Raum.

Du Ring an meinem Finger,
   Da hast du mich erst belehrt,
Hast meinem Blick erschlossen
   Des Lebens unendlichen Werth.

Ich werd’ ihm dienen, ihm leben,
   Ihm angehören ganz,
Hin selber mich geben und finden
   Verklärt mich in seinem Glanz.

Du Ring an meinem Finger,
   Mein goldnes Ringelein,
Ich drücke dich fromm an die Lippen,
   Dich fromm an das Herze mein.

Adelbert von Chamisso.



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