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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ihrer Firma. Ferner ist in dem Gesetze das strenge Princip der Solidarität durchgeführt, indem jeder Genossenschafter bei eingegangenen Verbindlichkeiten für die Aufbringung der ganzen Schuldsumme, also nicht nur für die ihn bei der Vertheilung treffende Quote, sondern zugleich für die auf seine Mitverhafteten fallenden, dem Gläubiger mit seinem ganzen Vermögen aufkommen muß.

Dieser Punkt der Genossenschaftsgesetzgebung ist, wie leicht erklärlich, derjenige, welchen die Gegner vorzüglich als Bresche für ihre Angriffe auszunutzen suchen. Doch gerade die Solidarhaft ist die Creditbasis des ganzen Genossenschaftswesens. Denn um dem in Folge seiner geringen Mittel Creditlosen die Creditfähigkeit zu verschaffen, muß derselbe, nach den unanfechtbaren Grundsätzen von Leistung und Gegenleistung, einen Einsatz machen, und wie die Creditfähigkeit für ihn unbedingt Lebensfrage ist, so wirft er mit Fug und Recht sein gesammtes Hab und Gut für sie in die Wagschale. Außerdem aber – und dies ist durchaus kein unwesentliches Moment – erhöht die Solidarhaft das Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den Genossen und wirkt so fördernd auf die sittliche Seite der Vereinigung. Nicht nur die Hoffnung auf den Gewinn, sondern auch die Sorge vor einem wenn auch unwahrscheinlichen Verlust läßt den Einzelnen ein wachsames Auge auf die Geschäftsleitung lenken und veranlaßt ihn erforderlichen Falls zu gemeinsamem Vorgehen mit den Genossen.

So weit es mit seinen Grundsätzen vereinbar war, hat außerdem das Gesetz selbst die Folgen der Solidarhaft durch die weitgehenden Rechte der Mitglieder zur Berufung von Generalversammlungen, zur Stellung von Anträgen in denselben sowie durch die dem Genossenschafterausschuß zustehende Befugniß zur Suspension der Vorstände beschränkt. Auch hat das deutsche Genossenschaftsgesetz, abweichend von dem ehemaligen preußischen, den Vereinen die Möglichkeit gegeben, durch executivische Zwangsumlagen vor Beendigung des Concursverfahreus den Ausfall zu decken und so die Schuldsumme zu vertheilen.

Selbstständigkeit und Solidität – so nennen sich die beiden Grundsteine, auf welchen Schulze sein durchdachtes System aufbaut und die ihm den sichersten Schutz für etwaige Unfälle bieten, und diesen Grundsätzen getreu trat er mit voller Energie in seiner Schrift: „Die Abschaffung des geschäftlichen Risico durch Herrn Lassalle“ ebenso dem berühmten Agitator und seiner Forderung, daß der Staat für die Associationen die nöthigen Capitalien unter seiner Garantie schaffen solle, entgegen, wie er neuerdings die Raiffeisen’schen Darlehnscassen bekämpft, welche die Bildung der Geschäftsantheile durch allmähliche Beisteuern verwerfen und durch die Beschaffung ihrer Betriebsfonds mittelst Anleihen von dritten Personen den streng soliden Boden verlassen. Daß diese Principien zu einer tief innerlich gesunden Entwickelung der Genossenschaften geführt haben, lehrt der Erfolg. Die schwere Geschäftskrisis, welche seit nunmehr bald sieben Jahren auf dem Markte mit erdrückender Wucht lastet, ist, wenn auch nicht spurlos an den Genossenschaften vorübergegangen, so doch von ihnen überstanden worden. An Concursen, einschließlich der bloßen Auflösungen im Wege der Liquidation, wurden die Genossenschaften in einem Zeitraume von über 20 Jahren von etwa 100 bis 120 betroffen, einer im Verhältniß zu den fallirten Unternehmungen handelsgesellschaftlicher Natur wahrhaft verschwindenden Summe.

Nach den Rechnungsabschlüssen des letzten Jahres von 948 Creditvereinen, welche in dieser Hinsicht statistische Erhebungen ermöglichen, ist bei 743, also fast vier Fünfteln derselben, aus dem Reingewinn eine Dividende von 6 Procent und darüber an die Mitglieder von der Summe ihrer Geschäftsantheile gezahlt worden, während der durchschnittliche Dividendensatz dieser Vereine 71/5 Procent beträgt. Trotzdem sind von denselben Genossenschaften dem Reservefonds fast 2 Millionen Mark überwiesen worden.

Die Creditgenossenschaften, auf welche diese Ziffern sich beziehen, stellen allerdings, insbesondere ihrer 1841 Vereine umfassenden Zahl nach, den blühendsten Zweig des gesammten Genossenschaftswesens dar. Doch ist damit die Wirksamkeit der Genossenschaften keineswegs erschöpft: die bekannten Consumvereine (621) besorgen den gemeinsamen Einkauf von Lebensbedürfnissen im Ganzen in möglichst guter und durch den Großbezug dennoch billiger Qualität und lassen dieselben in kleinen Posten an ihre Mitglieder ab; die Baugenossenschaften (49) stellen, abgesehen von einigen Vereinen, die ihren Mitgliedern Baucredite gewähren, Häuser mit einer Anzahl Wohnungen zum Vermiethen an die Genossen her; die Rohstoffgenossenschaften (211) vermitteln den Großbezug der Rohstoffe für die Handwerker und verschaffen so ihren Mitgliedern eine um mindestens 10 bis 20 Procent billigere Waare; die landwirthschaftlichen Werkgenossenschaften (135) schaffen theuere Maschinen an, deren Benutzung von den Genossen nach Zeit und Raum bezahlt wird; die Magazingenossenschaften (54) richten gemeinsame Verkaufsläden ein, in welchen die Mitglieder ihre Waaren auf eigene Rechnung verkaufen, und verbinden diese Unternehmung häufig mit einem Rohstoffgeschäft für die Genossen; die Productivgenossenschaften endlich (198), nach Schulze selbst die höchste Stufe seiner Schöpfungen, vereinigen eine Anzahl von Kleinmeistern oder von Lohnarbeitern zum Geschäftsbetriebe auf eigene Rechnung und Gefahr.

Schon die Aufzählung dieser so verschiedenen Arten der Schulze’schen Vereine weist darauf hin, zu wessen Gunsten dieselben hauptsächlich geschaffen sind. Der kleine Landwirth, der selbstständige Handwerker, der Fabrikarbeiter und Kleinkaufmann nehmen ist gleichem Maße an dem Segen dieser Institutionen Theil. Der über 706 Vorschuß- und Creditvereine vorliegenden Mitgliederstatistik zufolge gehören in denselben unter 347,000 Genossen 92 Procent dem männlichen und 8 Procent dem weiblichen Geschlechte an. Von der Gesammtzahl sind 111,336 Personen, also fast ein Drittel, als selbstständige Handwerker thätig, während 80,401 Personen, also beinahe ein Viertel, als selbstständige Landwirthe, Gärtner, Förster und Fischer sich bezeichnen. Es folgen die selbstständigen Kaufleute mit 35,151 und die Fabrik-, Bergarbeiter und Handwerksgesellen mit 16,779 Personen. Anders stellt sich das Verhältniß bei den 145 zur Beurtheilung kommenden Consumvereinen dar. Hier sind von 79,106 Mitgliedern 88½ Procent männlich und 11½ Procent weiblich. Die Fabrikarbeiter etc. machen mit 29,199 Personen über ein Drittel, die selbstständigen Handwerker mit 13,303 etwa ein Sechstel der Gesammtsumme aus. Es folgen als neues Element die Aerzte, Apotheker, Lehrer, Künstler, Schriftsteller und Beamte mit 10,048 Personen. Die übrigen Arten der Genossenschaften entziehen sich leider durch die Spärlichkeit der eingegangenen Verzeichnisse der Beurtheilung.

Daß ein Mann wie Schulze seinen von den socialistischen Agitatoren vielverketzerten Grundsatz: „Die Fähigkeit der Capitalansammlung bei den Menschen ist gleichbedeutend mit ihrer Culturfähigkeit“ nicht in dem niedern, gänzlich aus dem Zusammenhang gerissenen Sinne, in welchem man ihn auszubeuten suchte, verstanden wissen wollte, hat er durch seine neueste Schöpfung, an welche er seine volle Kraft setzt, durch die Gründung der Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung bewiesen.

In ähnlicher Weise, wie Schulze bei den Genossenschaften die Centralisirung durch den Allgemeinen Verband hergestellt hat, beabsichtigte er mit dieser Gesellschaft den Mittelpunkt für die vielfachen bisher von einander unabhängigen und in ihrer Vereinzelung schwachen Vereinsbestrebungen für die Hebung der Volksbildung zu schaffen. Die noch junge Schöpfung nimmt bereits den erfreulichsten Aufschwung: am Ende des Jahres 1878 zählte die Gesellschaft 4339 persönliche und 772 körperschaftliche Mitglieder, von welchen die letzteren wiederum zum größten Theil eine bedeutende Anzahl von Personen umschließen.

Der Vorstand, welcher aus Schulze selbst, den bekannten Abgeordneten Löwe (Calbe) und Hammacher, dem Justizrathe Makower und dem Generalsecretär der Gesellschaft Lippert besteht, ist unablässig bemüht, für die segensreiche Institution immer weiteren Boden zu erkämpfen. Wanderlehrer ziehen von Ort zu Ort, um vornehmlich der Culturgeschichte und Wirthschaftslehre entnommene Gegenstände in öffentlichem Vortrag zu besprechen, während die Einzelvereine selbst außerdem geeignete Vortragskräfte für diese Bemühungen gewinnen. So wurden allein in einem der acht verschiedenen Provinzial- und Bezirksverbände, dem Preußischen, in dieser Art 826 Vorträge gehalten.

Das in neun Abtheilungen nach Wissensgebieten geordnete Volksmuseum wird den Einzelvereinen zur Veranschaulichung geliehen, vor Allem aber den Volks- und Vereinsbibliotheken die ausgiebigste Unterstützung zu Theil. In gleichem Sinne fördert die Gesellschaft die Pflege der Fortbildungsschulen insbesondere für Lehrlinge und Mädchen der arbeitenden Classen mit Rath

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_809.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)