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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

klagen an, und, was die Hauptsache: es ging Zeit, viel Zeit verloren. Das Boot holte sie wieder ein und bog in einen der schmalen Wasserläufe – da fuhr es plötzlich auf und war nicht von der Stelle zu bringen.

Noch betrug die Entfernung 200 Yards; bei einer Verfolgung zu Fuß wären die Bären noch immer weitaus im Vortheil gewesen. Es blieb nur die Aussicht auf den günstigen Erfolg eines Schusses. Die Büchse Lord Kennedy’s donnerte und – in das Rückgrat getroffen und völlig gelähmt, sank die alte Bärin nieder. So rasch wie möglich sprang Alles durch Schlamm und Eisstücke bis zu der Stelle; ein zweiter Schuß tödtete die Bärin, und da kauerten nun die Jungen, ganz schwarz von Schlamm und zitternd vor Kälte, auf dem riesigen Körper der Mutter, grimmig knurrend und jeden Versuch, sie zu ergreifen, hartnäckig abwehrend.

Endlich wurden ein paar Walroßleinen geholt, den beiden kleinen Teufeln Schlingen um den Hals geworfen und sie hart an einander gekoppelt, worauf sie alsbald über einander herfielen und in wüthendem Kampfe, mit Beißen, Strampeln und Gebrüll, sich rundum im Schlamme wälzten, bis zur Erschöpfung. Inzwischen war die Bärin geöffnet worden, und man hatte begonnen, ihr das Fell abzuziehen – und was geschah? Diese kleinen Musterbilder kindlicher Undankbarkeit krochen, sobald ihre Differenz ausgeglichen war, unbekümmert um die Menschen in ihrer Nähe, heran und begannen, sich an den sterblichen Ueberresten der Mutter eine Güte zu thun. Alsdann setzten sie sich auf die abgezogene Haut und weigerten sich so entschieden, dieselbe zu verlassen, daß nichts übrig blieb, als sie auf derselben zum Boote hin theils zu tragen, theils zu schleifen. Es gab noch einen harten Kampf, bei dem mehrere Bootsleute arg zerbissen und zerkratzt wurden, ehe es gelang, die beiden Unholde unter einer Sitzbank des Bootes festzubinden und zur Schaluppe zu befördern. Hier witterten sie schnell die Haut des Tags zuvor erlegten Bären – vielleicht war es ihr Papa – heraus, legten sich darauf nieder und schliefen beruhigt ein, um bald nachher in einem schnell hergestellten starken Holzkäfig untergebracht zu werden.

Einige Wochen später lag das Schiff nahe beim Ufer vor Anker; die Mannschaft war Eier suchen gegangen und nur der Koch zurückgeblieben, um das Mittagessen zu bereiten. Da hört er plötzlich den schlürfenden Schritt der Bären auf dem Decke. Er nimmt eine Hundepeitsche und eilt hinauf; aber die ziemlich herangewachsenen Thiere fallen ihn mit solcher Wuth an, daß er Hals über Kopf auf den Hauptmast flüchten und nun unthätig zusehen muß, wie die Beiden einen für das Diner bestimmten Rennthierbraten vom Haken zerren und zerreißen. Endlich klettert der eine auf den Schiffsbord; der andere folgt, und bald darauf plumpsen Beide in das Wasser und schwimmen dem Lande zu.

Durch einen seltsamen Zufall traf indessen die auf der Heimfahrt begriffene Mannschaft mit ihnen zusammen; schon schickte man sich an, auf sie zu schießen, da man sie für wilde Bären hielt, als ein Matrose wegen ihres furchtlosen Benehmens auf den Einfall kam, daß man wohl die Gefangenen vor sich habe. Die Bären machten auch keinen Versuch zur Flucht, aber sie widersetzten sich dem Einfangen mit solcher Wuth, als ahnten sie, daß mit dem Ausgang dieses Kampfes ihr Schicksal für immer besiegelt sei. Endlich waren sie gefesselt, und bald darauf saßen sie wiederum in ihrem Holzkäfige.

Mr. Lamont, welcher auf der Heimfahrt nach England sich Mühe gab, die Wildlinge zu civilisiren, sandte sie später an den Director des Zoologischen Gartens in Paris und hatte später noch die Genugthuung, sie völlig erwachsen, aber genau so unliebenswürdig wie früher wiederzusehen. Und nun kommt der tragische Abschluß der Geschichte: Als die deutsche Belagerungsarmee den eisernen Gürtel um Paris geschlossen hatte, fiel der gesammte Bestand des Zoologischen Gartens dem hungerigen Magen der Pariser zum Opfer, und wenngleich wir trotz unserer Bemühungen nicht mit Gewißheit erfahren konnten, ob auch unsere Eisbären dieses Schicksal erfahren haben, so sind doch bei jener Gelegenheit wahrscheinlich noch undelicatere Bissen verspeist worden als Eisbärcoteletten, und es bleibt kaum eine andere Annahme, als daß die Aermsten, welche unsere Abbildung im Flügelkleide zeigt, in der That mit zu den vielen Opfern jener großen weltgeschichtlichen Katastrophe zählen.




Das Wickersheimer’sche Conservierungsverfahren, über dessen an’s Wunderbare grenzende Erfolge die „Gartenlaube“ in Nr. 22 dieses Jahrgangs ausführlich berichtete, indem sie zugleich den staatlichen Ankauf zum allgemeinen Besten dringend befürwortete, ist nunmehr wirklich dem Erfinder vom preußischen Cultusministerium abgekauft worden, und der „Reichs- und Staatsanzeiger“ hat die Bereitungsweise veröffentlicht. Da die „Gartenlaube“ in weitere Kreise dringt, als das erwähnte Regierungsorgan, so wollen wir die Bereitungsweise der in ihren Wirkungen an obiger Stelle ausführlich geschilderten Flüssigkeit im Folgenden ebenfalls wiedergeben. Es werden, nach der Patentschrift, in 3000 Gramm kochendem Wasser 100 Gramm Alaun, 25 Gramm Kochsalz, 12 Gramm Salpeter, 60 Gramm Potasche und 10 Gramm arsenige Säure aufgelöst. Die Lösung läßt man darauf abkühlen und setzt der neutralen farb- und geruchlosen Flüssigkeit nach der Filtration auf je 10 Liter 4 Liter Glycerin und 1 Liter Methylalkohol hinzu. Die Anwendungsweise dieser Flüssigkeit ist je nach der Natur der zu conservirenden Körper verschieden. Sollen anatomische Präparate, ganze Thiere etc. in trockenem Zustande aufbewahrt werden, so werden dieselben je nach ihrem Umfange sechs bis zwölf Tage in die Conservirungsflüssigkeit gelegt, dann herausgenommen und an der Luft getrocknet. Die Bänder an Skeleten, die Muskeln etc. bleiben dann weich und beweglich, sodaß an ihnen jederzeit die natürlichen Bewegungen ausgeführt werden können. Hohlorgane, wie Lungen, Eingeweide etc., werden vor der Einlage in die Conservirungsflüssigkeit erst mit derselben gefüllt und später nach dem Herausnehmen und Ausgießen am besten in aufgeblasenem Zustande getrocknet. Kleinere Thiere, wie Krebse, Käfer, Eidechsen, Frösche etc., ferner Vegetabilien, bei denen es darauf ankommt, die Farben unverändert zu erhalten, werden nicht getrocknet, sondern in der Flüssigkeit aufbewahrt. Sollen menschliche Leichen oder Thiercadaver für längere Zeit liegen bleiben, bevor sie zu wissenschaftlichen Zwecken gebraucht werden, so genügt schon ein Injiciren derselben, wozu je nach der Größe, z. B. für ein zweijähriges Kind anderthalb Liter, für einen Erwachsenen bis fünf Liter erforderlich sind. Das Muskelfleisch erscheint dann selbst nach Jahren beim Einschneiden wie bei frischen Leichen. Wenn injicirte Leichen an der Luft aufbewahrt werden, so verlieren sie allmählich das frische Aussehen und die Oberhaut wird etwas gebräunt; auch dies kann verhindert werden, wenn sie vorher mit der Flüssigkeit äußerlich eingerieben und dann möglichst luftdicht verschlossen gehalten werden. Diese letztere Behandlungsweise empfiehlt sich für Leichen, welche öffentlich ausgestellt oder doch längere Zeit erhalten werden sollen, ehe sie begraben werden, weil sie dann, statt den gewöhnlichen abschreckenden Anblick zu gewähren, Gesichtszüge und Farben unverändert und frisch zeigen und nicht den geringsten Geruch haben. Zur wirklichen Einbalsamirung wird Injiciren und Einlegen mit einander verbunden, und die Aufbewahrung geschieht dann nach Einhüllung in mit der Flüssigkeit befeuchtete Tücher in gutschließenden Behältern.




Instinct oder Ueberlegung? Zuweilen möchte man auf den Verdacht kommen, daß Haus- und Hofthiere im engeren Verkehr mit höher organisirten Geschöpfen diesen etwas abgelauscht haben. Einen Anstoß zu dieser Ansicht erhielt ich neulich beim Besuche eines langjährigen Freundes in dem Forsthause eines Elbreviers. Die Hauskatze hatte vor etwa acht Wochen vier Jungen das Leben gegeben, die Hausbewohner erhielten indeß erst einige Tage darnach die Gewißheit hiervon durch den Umstand, daß leises Wimmern die Räume des stillen Hausbodens durchzog; die Mutter hatte, wie sich herausstellte, die jungen Katzen verlassen. Der Satz wurde nun auf zwei schwarze Exemplare reducirt und der nachlässigen Mutter unter eindringlichen Ermahnungen wiederholt untergeschoben. Vergebens! Die Thierchen fanden weder Liebe noch genügende Beachtung; sie entbehrten fast gänzlich der Muttermilch und wurden nur durch unzureichende künstliche Mittel etwa vierzehn Tage hindurch nothdürftig am Leben erhalten. Da begab es sich, daß Belline, eine durch ihre Guthmüthigkeit in Ansehen stehende gelbe Dachshündin, die Hausbewohner mit nur einem Sprößling gleichfalls freudig überraschte. Man verfiel darauf, die schlecht bemutterten Wesen neben den kleinen Hofbürger zu placiren, und siehe da: die kohlschwarzen Kätzlein fanden nicht allein einen duldsamen Stiefbruder, sondern auch eine opferfreudige, liebevolle Mutter; sie tranken in gierigen Zügen am Born des Lebens und gediehen zu Aller Freude nicht minder gut, als der kleine drollige, auf den Namen „Steiger“ getaufte Hund.

Weitere vierzehn Tage vergingen. Da erhob sich eines Tages die gute, treue Belline von ihrem Lager, packte ihren Einzigen beim Kragen, trug ihn in das nahe Gebüsch, setzte ihn sanft nieder, kratzte dann eine tiefe Grube und legte ihn hinein.

Steiger nieste; er scharrte sogar mit den kurzen Läufen. Nichts wollte helfen – die gute Belline fuhr fort, ihr einziges Söhnchen mit dem ausgeworfenen Erdgeröll zu überschütten. Endlich, als seinem jungen Hirn die Situation doch bedenklich vorkommen mochte, gab er „Laut“.

Jung Steiger entstieg mit menschlicher Hülfe der Grube: er war dem Leben wiedergegeben.

Belline, die Gute, erhielt eine gehörige Zurechtweisung, und dank dieser erfreute sich der also gemaßregelte Steiger wieder derselben Rechte, wie solche seinen beiden Milchschwestern bisher zu Theil geworden und noch jetzt zu Theil werden; denn gestern noch sah ich das drollige Kleeblatt in rührend zärtlicher Gemeinschaft hangen – an der Mutter Brust.

Wer erklärt ihn nur – diesen Zwiespalt der Natur?

Schönebeck an der Elbe, den 6. October 1879.

J. Köhr.




Kleiner Briefkasten.

G. L. in B. Sie fragen uns, ob wir den Natronkaffee der Firma Thilo und von Döhren in Wandsbeck, welcher den Schlußrathschlägen unseres kleinen Artikels über Kaffee-Surrogate (1879, S. 91) entgegenkommt, wirklich empfehlen können. Wir riethen Denen, welche den Kaffee, sei es aus ökonomischen, sei es aus gesundheitlichen Rücksichten, verdünnen oder ersetzen müssen, statt der Röstproducte aus unbekannten Wurzeln oder zweifelhaften Südfrüchten das Röstbitter unserer gewöhnlichen Getreide-Arten, was man sich selbst in jeder beliebigen Kaffeetrommel bereiten kann, an. Die genannte Wandsbecker Firma stellt laut der Patentschrift dieses Product nach einem insofern verbesserten Verfahren dar, als sie das Getreide vor dem Rösten durch Auskochen und Auslaugen von einem den Geschmack beeinträchtigenden Bestandtheil befreit: Nach dem Rösten setzt sie ihrem Präparate außerdem einen kleinen Procentsatz doppeltkohlensauren Natrons hinzu, der sich namentlich dann nützlich erweist, wenn man dieses Surrogat als Zusatz zu der doppelten oder dreifachen Menge reinen Kaffees benützt. Die winzige Menge des Natronsalzes begünstigt nämlich die Aufschließung und Lösung der Kaffeebestandtheile, weshalb man die Natronsäuerlinge gewisser Badeorte als das beste Kaffeewasser schätzt. Die Anwendung des natronhaltigen Surrogates hat dabei den Vortheil, daß man nicht leicht des Guten zu viel nimmt, während beim directen Zusatz des Natronsalzes zum Kaffeewasser sehr leicht die zweckmäßige, sehr geringe Dosis überschritten und dann das Getränk verschlechtert statt verbessert wird.

Stiftsfräulein Aurelie. Schade, daß wir Ihnen einen confessionellen Schrecken einjagen müssen: der mit Ihrer Theilnahme Beehrte betet den Gott Abraham’s, Isaak’s und Jacob’s an, befindet sich aber, wie er uns jüngst persönlich dargethan, außerdem wohl.

H. N. in W. Geben Sie vor Allem Ihre volle Adresse an!



Verantwortlicher Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 844. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_844.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)