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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

und begeisterten Cultus widmen, so fand meine Erbitterung immer neue Nahrung, und nachdem Alphons Paris verlassen hatte, zog ich mich mehr und mehr von der Gesellschaft zurück. Mit einem Menschen jedoch war ich auch dann noch oft zusammen; er zog mich an, weil er das Schöne weniger liebte als das Fremdartige, das Seltsame. Dennoch blieb er in den Kunstsälen manchmal vor Bildern stehen, welche nur die Schönheit zum Gegenstande hatten. Wenn ich ihn dann seiner Abtrünnigkeit wegen schalt, sagte er jedes Mal: „Das Schöne ist eben doch schön.“ Manchmal dachte ich über dieses Wort nach und verglich Theresa mit den jungen Mädchen, die ich sah, und dann sagte ich mir wohl, daß Theresa ohne Kränkung sich nicht neben sie stellen könnte, allein ich sagte mir auch: sie hat mehr, als die Schönheit ist. Ich gäbe sie nicht um Venus selber hin. Und nie schrieb ich ihr innigere Briefe, als nach solchen Stunden.

Aber Venus warf einen Brand in mich, und er zündete.

Nach einem warmen Gewitterregen ging ich eines Tages über den Pont neuf; ich ging langsam in süßen Gedanken an Theresa, die mir geschrieben hatte: „Ich bin eine ganz schlechte Philosophin. Eine Haupttugend des Philosophen, die Geduld, habe ich verloren, und wie ängstlich ich sie auch suche – ich finde sie nicht mehr.“

Ich blickte nach Westen zu den Hügeln hin, die in frischem, starkem Grün unter grauen, mit sanfter Eile hintreibenden Wolken hervortraten. Nach Westen zogen die Wolken, nach Rouen, zu Theresa, zum Hause am Meeresstrande. Der Traum meines Herzens zog mit ihnen und noch weiter; er schlich sich in das einsame Haus, in den hohen Saal und in die lauschigen Gemächer, wo ein süßes, heiliges Glück beim Rauschen der Meeresbrandung in stolzer Verborgenheit selbstgenügend der übrigen Welt vergaß. Da plötzlich ergriff Jemand meinen Arm – es war Roudel, der manchmal sagte: das Schöne ist eben doch schön.

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen ein Bild, ein Portrait. Sie müssen es sehen.“

Er führte mich in ein Atelier, wo nur ein Knabe zugegen war; ein Bild stand auf einer Staffelei in der Mitte des Raumes. Nach einem ersten Blicke auf dieses Bild fühlte ich, wie wenn eine fremde Gewalt über mich käme und sich mit sanftem, wohligem Drucke meines inneren und äußeren Menschen bemächtigte. Ich hörte Roudel sprechen, aber ich verstand nicht, was er sagte; das Bild verschwamm vor meinen Augen in ein rosenrothes pulsirendes Luftmeer, das einer schwarzen Nacht entstieg – ich fühlte die Schläge meines Herzens bis in die Stirn hinauf. „Ich muß mich setzen,“ konnte ich noch sagen, und dann saß ich eine Weile mit geschlossenen Augen und in tödtlicher Angst. Was war mir geschehen?

Es wurde nach und nach wieder klar in mir, aber ich wagte noch immer nicht, die Augen zu öffnen. – Wenn es das Bild war, das diese Wirkung auf mich hervorgebracht hatte?! Aber es konnte ja nicht anders sein. Und doch hatte ich es kaum angesehen. Ich hatte kein anderes Bewußtsein davon, als daß es eine Frauengestalt bis zu den Knieen darstellte und daß die vorherrschende Farbe des Bildes rosenroth war. – Wenn ich es jetzt ansehe – dachte ich – und es hat wieder diese Gewalt über mich, dann bin ich ein verlorener Mensch. Aber vielleicht war ich zu schnell die Treppe hinauf gegangen, vielleicht war es nur das Blut. Ich öffnete die Augen: Roudel stand vor mir und reichte mir ein Glas Wein.

„Nein,“ sagte ich, „keinen Wein! Ich hatte einen Blutandrang nach dem Kopfe – ich habe dies öfters – jetzt aber ist es vorüber und mir ist ganz wohl.“

Ich trat vor das Bild – Alles in mir schwoll, und jener sanfte, wohlige Druck bemächtigte sich meiner wieder, doch nicht bis zur Ohnmacht. Ich konnte stehen und schauen; es blieb mir sogar die Fähigkeit des aufmerksamsten, feinsten Blickes.

O, dieses junge Weib war göttlich schön. Sie stand, als träte sie aus einer rothschwarzen Nacht dem Lichte entgegen. Das feine, weiche Gewand, welches ihr Brust und Hüften eng umschloß, war nicht eigentlich rosenroth, sondern von der Farbe des allerhellsten, des allerzartesten Geraniums; Goldfäden schlangen sich durch das Gewebe und weiße flockige Knötchen. Ihr braunes Haar lag wie eine schlafende Schlange um den Kopf gewunden und war auf dem Scheitel mit einem Dolche von blaßrother Koralle befestigt. Ihre Brauen waren geschwungen wie ausgespannte Schmetterlingsflügel, und von den zart eingesenkten Schläfen führte das rosige Oval der Wangen zu einem feinen, kaum merklich gespaltenen Kinn herab. Der Ausdruck ihrer Züge war der einer heiteren Ruhe. Sie sah mich mit großen stahlblauen Augen an, und ihres Mundes Siegeslächeln sagte: Ich habe Dich!

Ich stand bebend vor dem Bilde, und als Roudel sagte: „Das Original ist noch mächtiger als das Bild,“ da fühlte ich mein Herz schmerzhaft zucken.

„Wer ist sie?“ fragte ich.

„Eine Russin, oder eigentlich eine halbe Tscherkessin – mehr weiß ich nicht.“

„Wo haben Sie dies Weib gesehen?“

„Hier, als sie zu dem Bilde saß.“

„Wie heißt sie?“

„Sie hat einen russischen Namen, den ich vergaß, aber ihren Vornamen vergaß ich nicht; sie heißt: Suhra.“

Ich hielt mit meinen hastigen Fragen inne und sagte leichthin: „Sie muß ein sehr schönes Geschöpf sein – auch das Bild ist schön; ich meine: schön als Malerei.“

„Das ist Alles, was Sie darüber zu sagen wissen?“

„Alles!“ erwiderte ich, das Atelier verlassend.

„Sie sind ein Barbar,“ rief mir Roudel nach, als ich, um allein zu sein, eiligst davonging.

Ich hatte in tiefster Seele die Ueberzeugung, daß ein Wetterstrahl in mein Leben gefahren war. „Ich bin verloren,“ rief ich. „O Theresa, Stern des Friedens, gehe mir nicht unter!“ –

Es zog mich zu dem Bilde mit dämonischer Gewalt, und ich floh es mit der Angst, mit welcher glückliche Menschen den Tod fliehen. Ich floh das Haus und die Straße, wo es war; ich floh Paris – ich floh zu Theresa.

„Theresa, ich habe Fieber und Angstträume – laß mich bei Dir gesund werden!“ sagte ich und sank in ihre Arme.

Und als ich in ihren Armen lag, bemächtigte sich meiner eine verrätherische Empfindung: Ich war unendlich selig, denn ich fühlte Theresa’s Herz an meinem klopfen und bildete mir ein, sie habe Suhra’s Gesicht.

„O Uebermaß von Glück! O selige, allerseligste Liebe!“ stammelte ich und bedeckte geschlossenen Auges ihr Angesicht mit Küssen.

„O Maurus,“ hauchte sie und entzog sich mir, und ihr Haupt sank auf den Nacken. Da schaute ich sie an, und obgleich ihr Gesicht von Liebe beseelt war, zog sich alles Feuer von meinen Lippen zurück – es preßte mir etwas das Herz zusammen – ich erwachte wie aus einem Rausche.

Ich führte sie zu einem Stuhle und setzte mich neben sie; meine Hand erkaltete in der ihren – ich blickte in’s Leere und wünschte mir den Tod.

„Maurus, Du bist krank, ernstlich krank,“ sagte sie.

Und ich, der gekommen war, um lange bei ihr zu bleiben und mich von ihr heilen zu lassen, ich erwiderte:

„Nein, Theresa, ich hatte nur in den letzten Tagen ein wenig Fieber. Aber es ist mir schon besser, da ich Dich gesehen habe, und ich werde morgen nach Paris zurückgehen und meine Studien fortsetzen können.“

„Morgen? O, das ist zu bald.“ Und sie umschlang mich. O reines Herz von Liebe – dachte ich – eher als Dir wehe thun, will ich Dich belügen, süß belügen. Und ich schloß die Augen und träumte, ich hielte Suhra in meinen Armen, und ich küßte in Wirklichkeit Theresa und sprach Worte süßer Leidenschaft zu ihr. Mein Gewissen klagte mich an, mein Herz sprach mich frei, und im Zwiespalt meiner Gefühle fand ich Wonne und Qual. Als es dunkel ward, holte Theresa Licht und führte mich in das Zimmer, wo die Bücher standen.

„Was machen Deine Philosophen?“ fragte ich sie.

„Meine Philosophen? Ach, ich glaube, sie sind sehr unzufrieden mit mir. Sie haben auch Recht; ich lasse sie hier im Staube verkommen. Neulich, als ich einen herausnahm – es war Montesquieu – schämte ich mich des Staubes, der auf ihm lag, und als ich eine Weile darin gelesen hatte, schlug sich das Buch wie von selber zu, und in mir sagte es: Ach, Deine Gedanken sind ja ganz wo anders, verliebte Thörin!“

Mir drangen diese Worte in’s Herz , und ich drückte einen Kuß auf Theresa’s reine Stirn. Dann lasen wir und tauschten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_854.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)