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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 52. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig• – In Heften à 50 Pfennig.


Ein Seebad.
Von Otto Girndt.
(Schluß.)


Jetzt konnte Angela sich zwanglos der Freude über ihr Schelmenstück hingeben und küßte ihre mitverschworene Tante so oft und stürmisch, daß die bejahrte Frau den Liebkosungen der kleinen Hexe schier erlag. Nun aber mußte das Mädchen nach Venedig zurück, um ihrer Herrin zu verkünden, was sie ausgeführt. Sie flog die etwa acht Minuten lange Chaussee über den Lido bis zum Landungsplatze des Dampfboots in der halben Zeit hinunter, die Aeuglein rechts und links umherschickend. Ihr Opfer entdeckte sie nirgends; vermuthlich war es in eins der Gasthäuser an der Lagune geflüchtet und wollte den Sonnenuntergang zur Fahrt in die Stadt abwarten. Auch von Fabbris gewahrte sie nichts. Doch ja: das Dampfboot ging ihr vor der Nase ab, und auf dem Decke saß Antonio, ihr und dem ganzen Lido den Rücken zukehrend. Aergerlich stampfte sie mit dem Füßchen, daß sie zu spät gekommen. Wie gern hätte sie ihn unter dem rauchenden Schornstein angeredet, um zu hören, wie er jetzt von der schönen Fremden dachte, nachdem er Zeuge der Entwerthung ihres herrlichsten Kleinods gewesen.

Es blieb dem Mädchen nichts übrig, als in einer Gondel dem brausenden Dampfer langsam nachzufahren.

Fabbris erreichte in einer Viertelstunde die Riva. Noch einmal so lange, und er ließ sich im Palast Bevilacqua melden. Der Herzog war wiederum abwesend, doch Erminia befand sich zu Hause und empfing den heimlich Geliebten. Beim ersten Blick fiel ihr seine eigenthümliche Verstörtheit auf.

Kommen Sie, mich an mein Versprechen zu mahnen, Signor Antonio?“ begann sie.

„Hat Ihnen die Gräfin schon Visite gemacht, Hoheit?“ fragte er schnell zurück.

„Allerdings! Aber –“

„Und Sie haben sie eingeladen?“ unterbrach er.

„Nein!“

„Dem Himmel sei Dank! Ich ersuche Sie inständigst, es unter keiner Bedingung zu thun.“

„Welche Sinnesänderung! Was ist geschehen?“

„Ich beschwöre Sie, Hoheit, fragen Sie nicht! Ich kann Ihnen nicht mehr sagen.“

„Ihre Weigerung macht mich erst recht wißbegierig.“

„Ich kann nicht sprechen, bei Gott nicht! Ich schäme mich der Raserei, die mich für ein Weib ergriffen, das –“ er stockte und wiederholte: „ich kann nicht mehr sagen.“

Was Erminia gehört, war genug, sie heiter zu stimmen.

„Setzen Sie sich doch! Sie scheinen sehr aufgeregt; kommen Sie zur Ruhe! Ich als Ihre Freundin, der Sie Ihre Schwärmerei nicht vorenthalten, habe ein gewisses Recht, Ihre Reuebeichte zu hören; nehmen Sie Platz!“

Sie setzte sich – er blieb stehen.

„Ich bin auf Ehre nicht im Stande, Ihnen mitzutheilen, was ich erlebt; liegt Ihnen aber daran, Hoheit –“

„Sie sollen mich ja nicht so unterthänig tituliren,“ fiel sie ihm in’s Wort. „Freilich liegt mir an einer Erklärung!“

„Ich könnte Ihnen, wenn Sie gnädigst gestatten, ein junges Mädchen schicken, eine Fioraja –“

„Angela?“

Er stand frappirt:

„Sie wissen?“

Lächelnd erwiderte sie:

„Ich weiß, daß Angela Sie dankbar verehrt und von der Polin Schaden für Sie fürchtete.“

„Was sagen Sie? Nun wird mir Manches klar. Aber woher Ihre Kenntniß?“

„Das Mädchen kam zu mir mit dem Ansinnen, ich sollte Sie, weil Sie ein Freund unseres Hauses, vor der Gräfin Bariatinska warnen. Das war nun nicht meines Amtes; indeß Angela’s Manieren gefielen mir; ich nahm das Kind in Dienst.“

Antonio’s Verwunderung stieg immer mehr.

„In Ihren Dienst? Wie kam Angela dann diesen Nachmittag auf den Lido?“

„Sie hatte mich gleich gestern und heut nochmals gebeten, ihre Tante, die Badewärterin, besuchen zu dürfen. Es kam so heraus, als wünschte sie die Erlaubniß in Ihrem Interesse, Signor Antonio, deshalb hielt ich sie nicht zurück; allein, was Angela dort vorgehabt, werde ich vielleicht nun von Ihnen erfahren.“

Zum ersten Mal ruhte Antonio’s Blick mit einem Ausdruck von Innigkeit auf Erminia:

„In Ihnen wohnt kein Falsch.“

„Ich denke, nein!“ sagte sie ruhig, und die Augen Beider trafen sich.

Errieth er jetzt, wie es um ihr Herz stand? Es ward ihm heiß in der Brust, aber nicht wie auf dem Marcus-Platz beim ersten Erscheinen der Polin, sondern es war ein wohlthätiges Feuer, das ihn durchströmte.

„Darf ich fragen,“ hob er von Neuem an, „was Sie abhielt, die Gräfin zum Wiederkommen aufzufordern?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 861. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_861.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)