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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


sie um und marschirten unter Musik friedlich wieder zurück. Diese Spielerei wiederholte sich täglich. Nebenbei wurde aber die politische Lage immer ernster. Aus Berlin kam die Nachricht von dem Tode des Grafen Brandenburg, dem der Schmerz über das Auftreten des Kaisers von Rußland als Schiedsrichter in der schwebenden Frage schwer zu Herzen gegangen war. Bald darauf erschien die Mobilmachungsordre für die gesammte preußische Armee, Linie und Landwehr. Damit schien die Kriegsfrage für uns entschieden. Die Morgenbesuche der Baiern bei unseren Vorposten sollten nun ihr Ende erreichen. Unser Obercommandirender, der General der Cavallerie Graf von der Groeben, ließ dem baierischen Befehlshaber, Fürsten von Thurn und Taxis, eine Art von Ultimatum überreichen, in welchem er diesem ankündigte, daß er künftig das Ueberschreiten einer gewissen Schlucht, die sich vor unseren Vorposten hinzog, und der Brücke, auf welcher die Chaussee nahe dem Dorfe Bronnzell über dieselbe führte, als eine Herausforderung ansehen würde, auf die er mit Eröffnung des Feuers antworten müsse. Das war ein anderer Stil, als der bisher gewohnte. Am Abend ließen uns die Baiern mit der von Hanau kommenden Post sagen, sie würden den andern Morgen in Fulda Kaffee kochen, worauf wir mit umgehender Post antworteten, wir würden ihnen die Bohnen dazu liefern.


Der Schimmel von Bronnzell.
Originalzeichnung von H. Lüders.


In der Nacht (vom 7. zum 8. November) bezog ich mit der Compagnie wieder einmal das bewußte Bivouac in der Nähe des Klosters, im Repli der Vorposten. Mein Capitain hatte diesmal wegen eines dienstlichen Auftrages, der ihn in Fulda zurückhielt, die Führung der Compagnie mir übergeben. Es war ein trüber Abend mit Regen und Novemberschauern. Ich ließ mir mein Lager möglichst genau an derselben Stelle einrichten, wo ich das erste Mal in der Nacht unserer Ankunft campirt hatte, und war im Begriffe, mich auf das nasse Stroh zur Ruhe zu strecken, als eine Ordonnanz mir vom Vorposten-Commandeur den Befehl brachte, im Falle es stärker regnen sollte, mit den Mannschaften im Kloster selbst Quartier zu nehmen.

Obgleich der Regen im Augenblicke unbedeutend war, hielt ich es doch für meine Pflicht, die Oberin des Klosters auf die Möglichkeit der Einquartierung vorzubereiten. Ich klingelte an der geheimnißvollen Pforte, ließ mich durch die mir öffnende Alte bei der Oberin anmelden und wurde in ein Sprechzimmer geführt, in welches die Oberin bald nach mir eintrat. Sie war durch die Mittheilung meines Auftrages keineswegs überrascht und zeigte mir die Räumlichkeiten zu unserer Unterbringung, nämlich einen bedeckten Schuppen, auf dessen Boden eine reinliche Streu mit Decken ausgebreitet werden sollte für die Mannschaften, und ein Zimmer im Hauptgebäude mit bequemem, breitem Sopha zur Lagerstätte für mich.

Da ich mich mit diesen Einrichtungen vollkommen einverstanden erklärte, forderte sie mich auf, die Räumlichkeiten sogleich zu beziehen, und da es gerade in diesem Augenblicke etwas heftiger zu regnen begann, so zögerte ich nicht, von der Einladung Gebrauch zu machen. Ich führte meine Mannschaften in den ihnen zugewiesenen Schuppen, nicht ohne ihnen vorher noch einmal die strengste Mannszucht anempfohlen zu haben, und nachdem ich mich überzeugt, daß hier Alles in guter Ordnung zuging, begab ich mich auf mein Zimmer und streckte mich mit geschlossenen Augen behaglich auf dem breiten, weichen Sopha, weniger um zu schlafen, als um zu probiren, wie sich's hier schlafen würde. Da hörte ich Geräusch, die Zimmerthür ward geöffnet, und leise Tritte näherten sich meinem Lager. Ich hütete mich wohl, die Augen zu öffnen, um nicht die lieblichen Bilder, welche die Einbildung mir vorgaukelte, durch die Eindrücke der Wirklichkeit wieder verlieren zu müssen, und ließ es mir wohl gefallen, wie der Kopf mir von weichen Armen gehoben und gestützt und ein Kissen nach dem anderen untergelegt ward, während andere Hände damit beschäftigt waren, eine Decke über mich auszubreiten. Dann glaubte ich zu hören, wie die Tritte sich allmählich wieder entfernten, wie die Thür noch einmal geöffnet ward und sich wieder schloß. Jetzt glaubte ich, die Augen öffnen zu dürfen, aber wie erstaunte ich, als ich sie aufschlug und die holde Bekannte von jenem Abend meiner Ankunft vor mir stehen sah – es war nicht Traumbild, sondern Wirklichkeit; es war Charitas mit den sanften, lieblichen Gesichtszügen, und mit derselben weichen Stimme wie damals fragte sie: „Ist dem Herrn vielleicht eine Stärkung gefällig?“

Auf dem Tische stand eine Tasse Thee, daneben lag ein aufgeschlagenes Gebetbuch. Ich schob das Brevier etwas bei Seite und rückte den Thee näher.

„Warum thun Sie das?“ fragte sie mit Bezug auf die erstere Bewegung.

„Ich bin andern Glaubens als Sie,“ antwortete ich etwas verlegen.

„Sie sind ein Irrgläubiger, ein Preuße,“ sagte sie mit einem Tone, der mehr mitleidig als vorwurfsvoll klang.

Ich leugnete nicht, konnte jedoch nicht unterlassen zu bemerken: „Ach, Irrgläubige giebt es wohl überall, wohl auch in –“

„Wohl auch in diesen Klostermauern“ wollte ich sagen, aber ich besann mich, daß dies weder zart noch tactvoll, und daß die Klosterzelle wohl überhaupt nicht die geeignete Stätte wäre, um meine Lessing’sche Weisheit anzubringen. Sie schien aber auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_033.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)