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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 3.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ledige Kinder.
Erzählung aus dem oberbairischen Gebirg.
Von Herman v. Schmid.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten; Ueber-
setzung vorbehalten.


2. Hinum.

Trotz der sonstigen Beständigkeit des Herbstwetters hatte der Abend die Verheißungen des Morgens nicht erfüllt. Bald nach der Abfahrt des Königs waren Wolken über den Bergen aufgestiegen, und die Landleute wußten wohl, was es zu bedeuten hat, wenn der Wachterkopf seinen Hut aufsetzt. Die auf dem Kogelhofe versammelte Menge verlief sich so rasch, wie an einem Abhange verschüttetes Wasser; Alle eilten, um ihre Heimath zu erreichen oder doch den größten Theil ihres Weges dahin zurückzulegen, ehe das Ungewitter losbräche, das sich in gelblich grauen Massen immer dichter ballte und immer näher heranschob, bis auch der Kogel in einem Wolkenschleier verschwand, als wäre er nie hinter dem Bauernhofe gestanden. Auch das Fuhrwerk des Herrn von Steinerling sauste die Bergstraße hinunter, wie sehr dieselbe auch Aehnlichkeit mit dem verlassenen Rinnsal eines Bergbaches hatte und wie wenig die mageren Pferde auch an der raschen Bewegung Gefallen zu finden schienen.

Bald war es um den Hof wieder so einsam und still, wie in seinen gewöhnlichen ruhigen Tagen; nur hier und da war noch eine einzelne Person beschäftigt, die Spuren der stattgehabten Festlichkeit zu beseitigen oder vor dem drohenden Sturme zu bergen. Der Kogelhofer stand unter der Thür und sah mit der bedenklichen Miene, mit welcher der Landmann solche Erscheinungen zu betrachten pflegt, in das rasch ziehende Gewölk hinauf und schüttelte das kahle Haupt.

„Das giebt am Ende gar noch ein verlegenes Gewitter,“ sagte er, „das sich vom Sommer her verspätet hat. Wenn's nichts thut als blitzen und donnern, dann mag's angehen, aber wenn's etwa gar schauern wollt', das können wir nicht brauchen. Unten auf den Bergleiten und im Thal steht noch viel 'Treid' auf den Halmen. ... Mach', daß Du hineinkommst!“ rief er dann Nannei zu, die mit einer Magd eifrig daran war, die Rinder von der Weide in den Stall zu treiben. „Es kann jeden Augenblick losgehn; wie der Wind anhebt, ist das Wetter da. Sollte man doch nicht glauben, daß ein so schöner Tag im Handumkehren so umschlagen könnt'!“

„Ja, ja,“ entgegnete Nannei, die noch nicht Zeit gehabt hatte, ihren Sonntagsstaat abzulegen, „es geschieht wohl diemalen, daß ganz andere Sachen als das Wetter im Handumkehren umschlagen – es geht mit Glück und Unglück auch nicht anders.“

Die Nutzanwendung, die das Mädchen aus dem Wetter zu ziehen wußte, belustigte den Bauer.

„Was Du gescheidt bist!“ sagte er lachend, „könntest alle Stund' einen Pfarrer abgeben und mußt wenigstens einen Schulmeister heirathen. Aber wie schaust Du denn aus?“ fuhr er fort, als sie näher kam. „Du bist ja todtenblaß! Wirst Dich doch nicht vor dem Wetter fürchten? Oder ist Dir sonst nicht gut?“

„Kann schon sein,“ entgegnete das Mädchen, indem sie unter der Stallthür verschwand, „es trifft sich leicht, daß man ruttengesund ist und im Handumdrehen wird einem schlecht, daß man sich hinlegen und sterben könnt'.“

„Recht hast allemal,“ rief der Bauer, der gleichfalls rasch ernst geworden war, indem er sich über Stirn und Kopf fuhr, „es geht mir im Augenblick auch nicht anders. Ist mir wieder wie vorhin, als wenn mir schwindlig werden wollt'; es ist just, als wenn ich mir heut ein Bischen zuviel zugetraut hätte.“

Im Begriffe, in das Haus zu treten, wurde er des Lenz gewahr, der an der Scheune stand, um sie zu schließen.

„Laß nur Alles stehen wie's steht!“ rief er ihm zu, „morgen ist auch noch ein Tag zum Aufräumen.“

Er hatte das Wort noch nicht völlig ausgesprochen, als die längst erwartete Windsbraut herangesaust kam. Den kräftigen Händen des Burschen entfuhren die Thorflügel und schlugen schmetternd und krachend in einander, daß das Haus in seinen Grundvesten erbebte. Lenz hatte vollauf Zeit gehabt, das Thor ordentlich und gemächlich zu verschließen, allein er hatte einen Augenblick innegehalten, als Nannei mit den Thieren herangekommen war. Auch ihm entging das verstörte Aussehen und die Todtenfarbe des Mädchens nicht, aber es war nicht Mitleid und nicht Bedauern, was sich dabei in ihm regte, er empfand vielmehr eine Art schadenfroher Genugthuung, daß er ihr ihre Widerspänstigkeit so empfindlich heimgegeben hatte. Mochte sie zürnen und sich kränken: in einigen Tagen, meinte er, werde das schon wieder einschlafen, und wenn er ihr vollends ein gutes Wort gebe, werde sich wohl das frühere fröhliche freundliche Zusammenleben wieder einstellen, das unter den langjährigen Hausgenossen zur angenehmen Gewohnheit geworden war.

Wohl der einzige Fremde, der den Hof noch nicht verlassen hatte, war der rußige Pechler Kaspar, der sich in jedem Winkel des Hofes und seiner Umgebung herumdrückte, um Nannei aufzusuchen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_041.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)