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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


stellt sich auf diese lebende Brücke.[1] Die Einbiegung, welche der Körper solcher Starrsüchtigen bei einer so bedeutenden Belastung erfährt, ist deutlich wahrnehmbar, aber nicht sehr erheblich. Ferner kann man sich auf die horizontal ausgestreckten Füße eines auf einem Stuhle Sitzenden und dort durch Niederdrücken Festgehaltenen stellen (Fig. 1), nachdem man Unterleib, Schenkel und Beine in diesen Zustand der Starre gebracht hat.


Hansen’sche Experimente. (Fig. 1.)


Sind die, welche zu diesen Experimenten brauchbar sind, während des Versuches in leidlich zurechnungsfähigem Zustande geblieben, was, wie schon mehrfach erwähnt, durchaus nicht immer der Fall ist, so geben sie an, nur einen mäßigen Druck von der kolossalen Last zu empfinden, ungefähr den, welchen sonst einige Pfunde Gewicht ausüben würden.

Diese Versuche, durch welche der Magnetiseur Hansen in seinen öffentlichen Productionen stets stürmischen Beifall erregte, sind übrigens durchaus nicht so erstaunlich, wie sie dem Publicum erscheinen. Jeder kräftige Mann, zumal ein guter Turner, ist im Stande, ohne Weiteres genau dasselbe zu leisten, wie ich mich oft durch eigene Versuche und Anschauungen überzeugt habe. Der Unterschied ist nur der, daß solche in den Zustand der Starrsucht Versetzte keine wesentliche Anstrengung dabei empfinden oder eine solche wenigstens nicht äußerlich kund geben.

In den steif gemachten Muskeln wird Kneipen mit den Nägeln nicht mehr als Schmerz wahrgenommen, und ich habe selbst oft Nadeln ziemlich tief in sehr empfindliche Stellen des Körpers eingestochen, ohne daß man eine unangenehme Empfindung äußerlich an den Versuchspersonen bemerken konnte. Bei Manchen ging die Empfindungslosigkeit so weit, daß man die Nasenschleimhaut mit Federn kitzeln konnte, ohne daß die normale Reaction des Niesens oder sonst irgend eine Wirkung eintrat; selbst die Pupille, welche sonst bei momentanen Einwirkungen grellen Lichts sich jäh zusammenzieht, zeigte kaum merkliche Verengungen, wenn plötzlich ein heller Lichtstrahl in das Auge geworfen wurde.


Hansen’sche Experimente. (Fig. 2.)


Ich will jedoch nicht verschweigen, daß bei einigen Leuten, die sonst zu den meisten Versuchen brauchbar waren, es nie gelang, die Empfindsamkeit in ähnlicher Weise vollständig zu unterdrücken.

Neben diesen fast ausschließlich den Körper betreffenden immerhin sehr überraschenden Erscheinungen lassen sich jedoch mit vielen Personen noch weit auffallendere, vorzugsweise dem geistigen Gebiete angehörende Versuche anstellen. Zu denselben eignen sich keineswegs immer gerade die, mit welchen die Versuche der vorher beschriebenen Art gelungen waren, wie denn überhaupt unter den Empfindlichen eine überraschend reiche Mannigfaltigkeit der Abstufung und Qualifikation existirt.

Ich beschreibe zunächst eine Reihe von Versuchen, die ich mehrfach vor einer großen Zahl von Zeugen mit einem siebenzehnjährigen, gesunden und kräftigen Mädchen angestellt, mit anderen männlichen und weiblichen Personen unter zum Theil wesentlich abgeänderten Umständen öfters wiederholt habe. Jenes Mädchen erwies sich als zu allen für ihr Geschlecht sich eignenden Experimenten der theilweisen und totalen Körperstarre brauchbar, und es hatte sich bei ihr die volle Ueberzeugung festgesetzt, daß ich eine besondere, geheimnißvolle Einwirkung auf sie auszuüben im Stande sei; es genügte daher ein vorübergehendes festes Ansehen meinerseits, um sie vollständig jedes eignen Willens zu berauben und in einen lebenden, meinem Willen vollkommen unterworfenen Automaten zu verwandeln.

Zeigte ich in die Höhe und sagte ihr, über ihr hingen an einem Baume schöne, rothbackige Aepfel von besonderem Wohlgeschmack, so richtete sie ihre Blicke verlangend nach den Stuckverzierungen der Decke, und auf meine Aufforderung langte sie, wie ein moderner Tantalos, vergeblich darnach. Als ich ihr nunmehr eine rohe geschälte Kartoffel oder eine Zwiebel in die Hand gab und ihr sagte, es sei dies einer dieser delicaten Aepfel, sie möge ihn nur kosten, so aß sie mit allen Zeichen des Wohlgeschmacks von dieser Kartoffel oder Zwiebel, und die Geschmacksnerven straften die ihr eingeredete Ueberzeugung nicht Lügen.

Eine unter dem Nähtische der Hausfrau stehende vierbeinige Fußbank hielt sie für einen Hund, nachdem ich ihr gesagt, es sei ein schwarzer Pudel, und sie verrieth in ihren Mienen deutlich Furcht, als ich äußerte, der Hund wolle sie beißen. Hierauf trank sie mit größtem Behagen farbloses Salzwasser für Rothwein, einen scharfen Liqueur für Weißwein, nachdem ich ihr gesagt hatte, es sei dies oder jenes. Ein Glas reines, brunnenkaltes Wasser kostete sie mit größter Vorsicht und nahm ängstlich nur kleine Schlucke, weil ich ihr versichert hatte, es sei heißer Kaffee.

Als ich ihr hierauf befahl ihrem Bräutigam zu schreiben, der doch so lange schon vergeblich auf einen Brief warte, nahm sie ein ihr als Feder gereichtes Messer, tauchte dies in ein ihr als Tintenfaß vorgestelltes Wasserglas und schrieb mit Riesenlettern, aber immerhin deutlich erkennbar auf den Tisch, dessen schwarze Decke ich für weißes Briefpapier ausgegeben hatte: „Lieber Gustav“. Weiter setzte ich diesen Versuch nicht fort, um nicht widerrechtlich in die Geheimnisse des jungen Herzens einzudringen.

Ich ließ sie einstweilen stehen und versetzte ein zweites junges Mädchen, welches ebenfalls empfindlich und von meinen geheimnißvollen Kräften felsenfest überzeugt war, durch einige Secunden dauerndes scharfes Ansehen in denselben Zustand, worauf ich sie als den gleichfalls anwesenden Dr. X. begrüßte. Ich versicherte diesem Herrn Pseudo-X., der heutige Ballabend sei doch höchst amüsant, und fragte, ob er schon mit Frau M. getanzt habe? Nachdem ich ihn alsdann zu der andern Magnetisirten geführt, welche regungslos stehen geblieben war, und diese gefragt hatte, sie wisse doch, daß sie Frau M. sei, was sie bejahte, eröffnete ich der Pseudo-M., Herr Dr. X. wollte sie zum nächsten Tanze engagiren.

Inzwischen hatte ein mit anwesender Herr auf einem in der Nähe befindlichen Flügel leise und dann mit allmählich zunehmender Stärke begonnen, einen Walzer zu spielen. Auf

  1. Daß dieses Experiment an sich nichts mit der vorausgegangenen Manipulation zu thun hat und keinerlei Vorbereitung erfordert, beweist der Umstand, daß es schon vor länger als einem halben Jahrhundert durch den „starken Mann“ Johann Karl von Eckeberg aus Harzgerode lediglich als Kraftproduction gezeigt wurde. Man findet es denn auch bereits in Brewster’s „Briefen über natürliche Magie“, deutsch von Wolf (Berlin, Enslin) abgebildet. Schon damals zeigte Dr. Desaguliers, daß dieses Kraftstück Jeder produciren könne.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_129.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)